Am Donnerstagvormittag wurde diskutiert, ob – wie die Staatsanwaltschaft forderte – die Öffentlichkeit vom Prozess ausgeschlossen werden soll, da es um Details und die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes geht. Der Senat entschied sich nur für einen teilweisen Ausschluss der Medienvertreter.

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Am Donnerstag startete am Wiener Landesgericht für Strafsachen jener Prozess, bei dem die Überbleibsel der sogenannten BVT-Affäre verhandelt werden. Denn viel ist von den schwerwiegenden Vorwürfen, die im Februar 2018 zu der – im Nachhinein für rechtswidrig erklärten – Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) führten, nicht mehr übrig.

Wie die Vorwürfe lauten

Vor Gericht verantworten müssen sich nun der ehemalige Leiter des Referats für Nachrichtendienste, sein Schwiegervater und ein weiterer Verfassungsschützer. Den einstigen Verfassungsschützern wird vorgeworfen, die Rechte nordkoreanischer Touristen, zweier irischer Staatsbürger und eines russischen Rechts-außen-Politikers verletzt zu haben. Der Rechtsschutzbeauftragte sei über Observationen nicht informiert worden. Außerdem soll der Referatsleiter mehrere Kaffeehausrechnungen falsch abgerechnet haben sowie für seinen Schwiegervater in zwei Fällen Abfragen getätigt haben.

Beim Hauptangeklagten ehemaligen Referatsleiter geht es dabei um Amtsmissbrauch und Betrug, dem Schwiegervater wird Anstiftung zum Amtsmissbrauch und dem Verfassungsschützer Amtsmissbrauch vorgeworfen. Alle drei Angeklagten weisen die Vorwürfe zurück.

Geheim oder nicht

Zunächst wurde im Großen Schwurgerichtssaal aber darüber beraten, ob die Öffentlichkeit – sprich Medienvertreter – vom Prozess auszuschließen ist. Das forderte die Staatsanwaltschaft, weil es um sensible Informationen gehe, deren Veröffentlichung die öffentliche Sicherheit gefährden könnten. Die Verteidiger plädierten hingegen nur für einen teilweisen Ausschluss. Immerhin habe die Staatsanwaltschaft durch ihre Arbeit – gemeint war wohl die Razzia – schon genügen BVT-Interna an die Öffentlichkeit befördert, so der Tenor. Der Senat stimmte nach kurzer Beratung diesem Vorschlag zu. Die anwesenden Journalistinnen und Journalisten mussten also während des Plädoyers der Anklage den Saal verlassen, konnten dem restlichen Prozess aber ungestört folgen. Im gesamten Gericht herrscht am Donnerstag und am Freitag, wo der Prozess fortgesetzt wird, Foto- und Filmverbot.

Wie sich der Hauptangeklagte verteidigt

Der Verteidiger des Hauptangeklagten, Otto Dietrich, sieht die Rechte seines Mandanten mehrmals verletzt. Dass die Razzia für rechtswidrig erklärt wurde, habe keinerlei Konsequenzen gehabt. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) habe trotzdem alle sichergestellten Daten auswerten können – dabei habe es dann Zufallsfunde gegeben – wie den, der nun zur Anklage gegen den ehemaligen Referatsleiter führte. Weil sein Mandant entlassen wurde, habe er die Akten nicht einsehen können. "Wie soll man da verteidigen?", fragt Dietrich. Die WKStA habe sich schlichtweg "nicht an die Spielregeln gehalten".

Die Gefahr aus Nordkorea

Punkt für Punkt nahm Dietrich dann auch zur Anklage Stellung. Dort heißt es unter anderem, dass nordkoreanische Touristen, die in Wien ein Konzert von Eric Clapton besuchten und im Zuge dessen observiert wurden, "in ihren Rechten gemäß Datenschutzgesetz §1 und Artikel 8 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention" verletzt wurden. "Es gibt keine Reisegruppen oder Touristengruppen aus Nordkorea", sagt Verteidiger Dietrich, der in der Folge zu einem kleinen Referat über das Regime und die dortige Unterdrückung der Bevölkerung ausholte. Die Gruppe sei nicht wegen der Mitglieder überwacht worden, sondern weil es zuvor den Hinweis gegeben habe, dass der Bruder des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un zum Konzert kommen könnte. Ob er in Österreich war oder nicht, wisse man bis heute nicht, sagt Dietrich. Aber die Vergiftung von Kim Jong-uns Halbbruder 2017 in Malaysia zeige, wie groß die Gefahr bei einem solchen Besuch sein könnte. Auch bei der Observation einer anderen nordkoreanischen Gruppe – hier ging es um Treffen mit einem österreichischen Unternehmer – seien die Voraussetzungen für eine Observation vorgelegen.

"Zerstörte Existenz"

Dass die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten außerdem vorwerfe, dass er in diesen Fällen nicht den Rechtsschutzbeauftragten informierte, entbehre jeder Grundlage, so Dietrich. Denn einerseits sei der ehemalige Referatsleiter gar nicht zuständig gewesen für die Meldung an den Rechtsschutzbeauftragten. Das gehe auch aus den Einvernahmen hervor. Andererseits hätte der Verfassungsschützer, wenn er eine solche Meldung hätte verhindern wollen, insgesamt 14 Personen, die involviert gewesen seien, daran hindern müssen.

Auch der Angeklagte selbst nahm ausführlich zu den verschiedenen Vorwürfen Stellung und entschuldigte sich im Vorhinein, "falls ich irgendwann emotional werde. Aber die Vorwürfe treffen mich, weil meine gesamte Existenz zerstört wurde." Der 49-Jährige wurde im Mai 2018 entlassen. Im BVT-Untersuchungsausschuss kritisierte er damals diese Entlassung, die damit begründet wurde, dass geheime Arbeitsunterlagen bei dem Mann zu Hause gefunden wurden – der Dienstgeber sah darin eine Verletzung der "Geheimschutzordnung" und des "Informationssicherheitsgesetzes", der Mann und sein Anwalt einen ganz normalen Vorgang – auch andere Mitarbeiter hätten Arbeitsunterlagen mit nach Hause genommen.

Drei Jahre und acht Monate nach den Hausdurchsuchungen – auch wie schlimm der Besuch der Ermittler bei ihm zu Hause gewesen sei, führte der Angeklagte aus – haben sich nicht nur die Vorwürfe der Hauptbelastungszeugen, darunter der ehemalige Vorgesetzte des Hauptangeklagten, nicht bestätigt. Die Belastungszeugen stehen heute selbst im Fokus der Ermittler, weil sie in Verbindung zum gesuchten Wirecard-Manager Jan Marsalek stehen sollen.

Vorwürfe "unverständlich"

Zu den Anklagepunkten sagte der Mann, nachdem er zunächst ausführlichst auf die Struktur des BVT, seine Abteilung und seine konkreten Aufgaben mitsamt Powerpoint-Präsentation eingegangen war: "Wenn mir heute vorgeworfen wird, dass es in den angeführten Situationen keine Gefahr gegeben hat, dann verstehe ich das nicht." Die Observationen seien notwendig gewesen, sagte der Ex-Verfassungsschützer und holte ebenfalls zu einem langen Vortrag über Nordkorea aus, beschrieb die Österreich-Vorliebe der Herrscherfamilie Kim und weshalb von Besuchern aus diesem Land eine Gefahr ausgehen könne. Er würde gerne noch ausführlicher die möglichen Gefahren begründen, meinte der Angeklagte, das gehe aber nicht, weil er keinen Zugang zu seinem Datenmaterial habe. Jedenfalls habe die Herrscherfamilie Kim eine Österreich-Vorliebe.

Für die Meldung an den Rechtsschutzbeauftragten sei nicht er zuständig gewesen, führte nach seinem Anwalt auch er selbst noch aus. "Das ist nicht über meinen Schreibtisch gegangen. Für mich war von Anfang an klar – ich bin nicht für diese polizeiliche Sache zuständig." Das erkenne man auch im Ermittlungsakt. Allerdings stimme es schon, dass man es besser hätte regeln müssen. Ganz allgemein habe er immer Vorgesetzte und andere Mitarbeiter über seine Tätigkeiten informiert. Der Vorwurf, er habe etwas dem Rechtsschutzbeauftragten verschweigen wollen, sei daher unverständlich. "Jeder in der Abteilung wusste davon."

Auch Zweit- und Drittangeklagter weisen Vorwürfe zurück

Neben dem ehemaligen Spionagechef steht auch ein ehemaliger BVT-Gruppenleiter vor Gericht, der sich ebenso wegen der fehlenden Meldung an den Rechtsschutzbeauftragten verantworten musst. Sein Anwalt weist eine Zuständigkeit aber zurück: "Mein Mandant ist kein Jurist, er ist ein einfacher Vollzugsbeamter."

Der dritte Angeklagte ist der Schwiegervater des Hauptangeklagten. Diesen bat er, nachdem er von einer dubiosen russischen Organisation zu einem Kongress vor Ort eingeladen worden war, sich die Sache anzusehen. Die Staatsanwaltschaft sieht ihn deswegen als Anstifter – auch in einem weiteren Fall: Via Mail hat er seinen Schwiegersohn gebeten, die Daten eines Mieters zu überprüfen, der nach einem monatelangen "Urlaub in Libyen" nach Wien zurückgekehrt war. Sein Mandant habe dem Ex-Spionagechef lediglich Sachverhalte zur Kenntnis bringen wollen, sagt dessen Verteidiger Wolfgang Polster. Es mangle klar an einem Vorsatz. Gewinnen habe er im Mietrechtsverfahren nämlich ohnehin nichts können: "In Mietrechtsverfahren ist auch ein offizieller Terrorist geschützt."

Die Verhandlung wird am Freitag mit den Einvernahmen der anderen Angeklagten fortgesetzt. (Lara Hagen, 11.11.2021)