Der einstige grüne Planungssprecher Christoph Chorherr ist gemeinsam mit neun anderen Personen angeklagt worden.

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"Darauf können wir stolz sein", kommentierte die "Kronen Zeitung" zu Weihnachten 2006: Junge Architekturstudenten, vorwiegend aus Österreich, hatten in Südafrika Kindergärten, Schulen und Werkstätten gebaut. All das lief über den Verein S2Arch, den das grüne Urgestein Christoph Chorherr gegründet hatte. Der war als nicht amtsführender Stadtrat in den 1990er-Jahren vom damaligen Bürgermeister Helmut Zilk nach Südafrika geschickt worden, um dort Kontakte zu knüpfen.

Jahrzehnte später werden Chorherrs Projekte ihn aller Voraussicht nach vor Gericht bringen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat gegen ihn Anklage wegen Bestechlichkeit und Missbrauchs der Amtsgewalt erhoben. Neben ihm sind neun Persönlichkeiten aus der Bau- und Immobilienbranche angeklagt, sie sollen Chorherr bestochen haben. Wie wurde ein Charity-Projekt in Südafrika zur breitflächigen Korruptionsaffäre?

Stadtplanung und Charity

All das hängt mit dem politischen Erfolg der Grünen in Wien zusammen. Die Ökopartei wurde in der Bundeshauptstadt immer mächtiger, im Jahr 2010 dann sogar Teil der Stadtregierung. Geprägt wurde diese Ära von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, die das mächtige Ressort für "Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und BürgerInnenbeteiligung" übernommen hatte. Im Wiener Gemeinderat kümmerte sich Chorherr als Planungssprecher um diese Agenden. Gleichzeitig blieb er aber Obmann des Vereins S2Arch, mit dem er weiterhin Spenden für Projekte in Südafrika sammelte.

Als "Fehler" bezeichnet Chorherr das mittlerweile: "Mir ist heute klar, dass aufgrund meiner Tätigkeit als Obmann des Vereins und Gemeinderat der Eindruck entstehen konnte, dass es einen Zusammenhang zwischen Spenden und meinem politischen Handeln geben könnte." Das sei aber "nie der Fall" gewesen, sagt Chorherr. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sieht das anders.

"Gehören aus dem Verkehr gezogen"

Die Ermittlungen beginnen im Herbst 2017, als erstmals eine Liste von Spendern an Chorherrs Verein an die Öffentlichkeit gelangt. Sie liest sich wie das "Who's who" der Immobranche: Darauf stehen unter anderem René Benkos Signa Holding mit 100.000 Euro, der Unternehmer Erwin Soravia, die Investoren Günther Kerbler und Michael Tojner sowie der Investmentbanker Wilhelm Hemetsberger. Laut Anklageschrift versuchte Tojner nach Bekanntwerden der Spenden, "etwas zur Ehrenrettung von Chorherr zu machen"; eine "Anzeigenkampagne" zu starten. Leute wie ein Wiener Rechtsanwalt, der eine Sachverhaltsdarstellung in der Sache eingebracht hatte, "gehören aus dem Verkehr gezogen", schrieb Tojner.

Offenbar ahnten die Beteiligten schon damals, dass zumindest die Optik fatal ist. Laut WKStA ließen sich Spenden an den Verein mit großen Bauvorhaben in Verbindung setzen; zum Beispiel mit den Hochhaustürmen "Triiiple", dem Business-Center am Hauptbahnhof und mit Tojners Projekt am Wiener Heumarkt. Dessen Immobilienunternehmen Wertinvest hatte 2012 das dortige Hotel Intercontinental gekauft. Das sollte umgebaut werden, ein neuer und höherer Turm errichtet werden. Nach jahrelangem Streit entschieden die Grünen in einer Urabstimmung eigentlich, gegen das Projekt zu sein – doch Vassilakou und Chorherr setzten sich weiterhin dafür ein; der Gemeinderat beschloss die Umwidmung.

"Betreuung von V" nicht vergessen

Die WKStA vermutet hier eine massive Beeinflussung der Grünen durch Tojner. In der Anklageschrift heißt es, dass beispielsweise die frühere grüne Abgeordnete Monika Langthaler bei Maria Vassilakou "lobbyiert" haben soll. Sie soll bei Tojner eine Spende für den Präsidentschaftswahlkampf von Alexander Van der Bellen im Jahr 2016 angeregt haben; in diesem Schriftverkehr schrieb ihr Tojner, sie solle "die Betreuung von V" – wohl Vassilakou – nicht vergessen, weil das Projekt "gehe in die heiße Phase", wie es in der Anklageschrift heißt.

Langthaler sieht das gänzlich anders. "Ja, mein Unternehmen Brainbows hatte einen Auftrag der Wertinvest Beteiligungs GmbH bezüglich des Bauprojektes Heumarkt. Die Aufgabenstellung war klar definiert, nämlich die Abklärung der ökologischen 'musts' bei einem neuen Gebäudekomplex dieser Größenordnung", sagt sie dem STANDARD. "Lobbying war in diesem Projekt keine Aufgabenstellung, und auch ich selbst habe kein Lobbying betrieben." Und was ist mit der Spende an Van der Bellen? "Ich habe damals wohl hunderte Menschen gefragt, ob sie den Wahlkampf von Alexander Van der Bellen unterstützen würden – diese Anfragen standen absolut nie in irgendeinem Zusammenhang mit einem Projekt. Diese Annahme ist vollkommen absurd", sagt Langthaler.

"Erwin versucht Chorherr für sich zu gewinnen"

Als Zeugin gegen Tojner und Chorherr hat die WKStA allerdings eine prominente Politikerin auserkoren: Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Sie leitete einst die Wiener Landespartei und gab bei ihrer Zeugeneinvernahme an, sie habe den Eindruck gehabt, "dass bei entsprechender Anregung ihrerseits Tojner durchaus willens gewesen wäre, der Partei eine Spende im Gegenzug für eine Zustimmung zum Heumarkt-Projekt zu leisten".

Auch Nachrichten von Tojner selbst legen laut WKStA nahe, dass die Spenden als Einflussmöglichkeit gesehen wurden. Über Soravia schrieb er: "Erwin versucht Chorherr (Planungschef der Grünen) für sich zu gewinnen", und zwar über Spenden für dessen Schulprojekte. Soravias Firmengruppe sagte zu den Vorwürfen, die Spende sei "korrekt und im Sinne unserer sozialen Verantwortung" geleistet worden. Benkos Signa sagt auf Anfrage: "SIGNA weist die unrichtigen und nicht haltbaren Vorwürfe der Staatsanwaltschaft in Zusammenhang mit einer Spende aus 2011 an den Verein S2Arch für das gemeinnützige Schulprojekt Ithuba entschieden und mit Nachdruck zurück. Im Rahmen des sozialen Engagements unterstützt SIGNA regelmäßig nationale und internationale Projekte, so insbesondere im Bereich der Förderung von Kindern und Jugendlichen und qualitativ hochwertiger Bildung. Die Spende an das gemeinnützige Schulprojekt war eine von vielen Beiträgen an gemeinnützige Organisationen von SIGNA; sie steht in keinerlei Zusammenhang mit einem Amtsgeschäft. Die erhobenen Vorwürfe treffen nicht zu. Wir gehen davon aus, dass das Verfahren dies bestätigen wird."

Tojners Anwalt sagt, man nehme die Entscheidung zur Anklage "zur Kenntnis", sei "jedoch überzeugt davon, dass die von unseren Mandanten geleisteten Spenden nicht strafbar sind, und vertrauen auf eine für unseren Mandanten positive Klärung durch die Gerichte." Außerdem verweist er darauf, dass Tojner nicht zu den Vorwürfen einvernommen worden ist. Hemetsbergers Anwalt Michael Rami erklärte im "Profil", dass die Anklage "auf Unterstellungen und Indizien" beruhe, die sein Mandant entkräften werde. Auch Kerblers Anwalt gab an, dass die Vorwürfe "zur Gänze falsch" und "leicht zu widerlegen" seien.

"Klandestin"

Chorherr selbst verwies auf Twitter darauf, dass Ermittler mehr als ein Dutzend Mitarbeiter der zuständigen Magistratsabteilung einvernommen hatten und sich dadurch keine Indizien für pflichtwidriges Handeln ergeben hätten. Alle hätten bestätigt, "dass die Bearbeitung sämtlicher Projekte ihren üblichen Lauf nahm und keinerlei rechtswidrige Interventionen durch Politik, Vorgesetzte oder sonst am Projekt interessierte Personen erfolgten". Die WKStA denkt hingegen, dass ein "korrupter Amtsträger externe Einflüsse auf seine Tätigkeit immer klandestin umsetzen muss". Auch andere Umstände sorgten für politische Kritik an Chorherr: etwa dass er selbst für eine öffentliche Förderung der Gemeinde Wien für seinen Verein mitgestimmt oder dass er nach seiner Abgeordnetentätigkeit beim nun mitangeklagten Investor Soravia angedockt hat.

Den Angeklagten bleiben nun zwei Wochen Zeit, die Anklageschrift zu beeinspruchen. Das könnte passieren, weil der WKStA einige faktische Fehler passiert sind: So wird Chorherr einmal als "Stadtrat" bezeichnet, einmal als "Planungsstadtrat", was er aber nie war – nur nicht amtsführender Stadtrat in den 1990er-Jahren.

Erfolgt kein Einspruch, wird die Anklage rechtskräftig und 2022 ein spektakulärer Prozess erfolgen. Chorherrs Anwalt Richard Soyer hatte das im Mai, vor der Anklageerhebung, zu verhindern versucht, indem er einen Diversionsantrag stellte. In diesem hätte Chorherr sinngemäß die schiefe Optik eingeräumt, aber Pflichtwidrigkeiten ausgeschlossen. Der einstige Grünen-Politiker, der im Zuge der Affäre aus der Partei ausgetreten war, hofft nun, dass der Richter diese Diversion annimmt, statt ihn zu verurteilen. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. (Fabian Schmid, Renate Graber, 11.11.2021)