Wiens Grünflächen eignen sich zur Entspannung – mitunter kann es aber auch zu hitzigen Situationen kommen, die dann vor dem Strafgericht landen.

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Wien – Für Günter W. geht es in seinem Prozess vor Richterin Anna Marchart um sehr viel. Denn der 56-Jährige ist mehrmals, zum Teil einschlägig, vorbestraft. Sollte er tatsächlich am Abend des 25. Juli in einem Wiener Park den 31-jährigen Ümit V. (Name geändert, Anm.) mit einem Messer bedroht haben, würde W. wohl eine heftige unbedingte Haftstrafe ausfassen.

Der ohne Verteidiger erschienene geringfügig beschäftigte Angeklagte bekennt sich teilschuldig: Er habe einen Schuhlöffel in der Hand gehabt, als er V. an der Schulter berührt und weggedrängt habe. Es gebe dazu aber eine Vorgeschichte, die er auch bereitwillig erzählt.

Zwei Wochen vor der inkriminierten Tat sei der Hund seiner Ex-Partnerin in dem Park von einem Pitbull gebissen worden, die notwendige Behandlung beim Tierarzt kam auf 450 Euro. Die Ex-Freundin sei auch mit der Pitbullbesitzerin in telefonischem Kontakt gestanden und habe ihr die Veterinärrechnung geschickt, da das Ganze über eine Versicherung geregelt werden sollte. Nach Versand der Rechnung habe allerdings Funkstille geherrscht.

Disput um Tierarztrechnung

Am fraglichen Nachmittag saßen der Angeklagte, seine Ex-Freundin und zwei weitere Bekannte wie so oft im Park, als sie V., den Lebensgefährten der Pitbullbesitzerin, sahen. "Meine Ex-Freundin ist hingegangen und hat ihn gefragt, was jetzt mit dem Geld ist. Er hat geschimpft, sie ist zurückgekommen, er ihr nach- und hat uns alle beschimpft", erinnert sich der Angeklagte. Die Situation sei so bedrohlich geworden, dass die Ex-Freundin ankündigte, die Polizei zu alarmieren, worauf V. sich entfernte – kurz. Denn fünf Minuten später tauchte er wieder auf.

"Er ist wieder her und hat geschrien, dass wir ,Proleten' und ,Nazis' sind ", schildert W. seine Erinnerung. Als V. die Ex-Freundin des Angeklagten als "Hur" und "Schlampen" bezeichnet habe, sei die von der Parkbank aufgestanden und habe gefragt, wie sie gerade genannt worden sei. "Da hat ihr der Herr mit der flachen Hand einen heftigen Stoß gegeben, dass sie zwei, drei Schritte zurückgetaumelt ist und zurück auf die Bank fiel." Er habe dann den Schuhlöffel aus seinem Rucksack genommen und V. damit weggedrängt, gibt der Angeklagte zu. Eine Morddrohung sei aber nicht gefallen. "Wieso haben Sie eigentlich einen Schuhlöffel dabei?", wundert sich die Richterin. "Wegen meiner Arbeitsschuhe", lautet die Antwort.

"I drah eich jetzt olle eini!"

V. habe daraufhin gesagt: "I drah eich jetzt olle eini!", habe sein Handy genommen, die Polizei angerufen und von einer versuchten Messerattacke gesprochen. Als die alarmierte Exekutive erschien, wurde tatsächlich ein Messer sichergestellt: Im Plastiksackerl eines anderen Mitglieds der Parkrunde, einem Rollstuhlfahrer. "Das hat er immer für Äpfel oder eine Jause dabei", erklärt eine Zeugin aus der Runde, die sich um den Gehbehinderten kümmert. Gezückt sei dieses Küchenmesser in der ganzen Situation nie worden, behauptet diese Zeugin.

Zeuge V. widerspricht in seiner Aussage. Der Angeklagte habe die Waffe nicht nur in der Hand gehabt, sondern beinahe auch letal eingesetzt. "Ich sage Ihnen ehrlich, ich würde nicht hiersitzen, wenn ich nicht ausgewichen wäre", demonstriert V., wie W. mit einer ausholenden Handbewegung seinen Hals treffen wollte. Zum Hintergrund sagt der 31-Jährige, es gehe "um einen angeblichen Hundebiss", der ihm dubios vorkomme. "Meine Freundin ist ein bisschen naiv", sagt er und gibt sich überzeugt, dass die Tierarztrechnung gefälscht sei.

Richterin hat keinen Bedarf an Artikel

Das habe er der Rechnungslegerin auch beim ersten Aufeinandertreffen erklärt. Als er auf dem Heimweg wieder durch den Park ging, "ist die Frau auf mich losgegangen. Und dann ist der Herr mit seinem Messer auf mich los!", schildert V. dramatische Szenen. Nachdem er die Polizei gerufen habe, habe W. die Waffe im Gebüsch versteckt. "Das habe ich den Beamten auch gesagt, sie haben sie dort dann gefunden!", behauptet der Zeuge – und bietet an, das zu untermauern: "Ich habe auch einen Zeitungsbericht dabei, in dem das drinnen steht." – "Ein Zeitungsbericht ist kein Beweismittel", zweifelt die Richterin offenbar an der Seriosität der heimischen Journaille und lehnt dankend ab.

"Haben Sie gesehen, dass W. das Messer versteckt hat?", will sie statt dessen vom Zeugen wissen. "Oder er hat es weggeschmissen, das weiß ich nicht mehr so genau." – "Haben Sie das sicher gesehen?" – "Ich glaube schon, dass er es weggeschmissen hat." Diese Schilderung wird von einem weiteren Zeugen bestätigt, der hatte damals allerdings zwei Promille und kam nach Darstellung des Angeklagten und seiner Freunde erst am Ende der Situation dazu. Dafür berichtet der alkoholkonsumierende Zeuge, der Rollstuhlfahrer sei im Zuge der Auseinandersetzung "aufgesprungen", und die Polizei habe ihm das im Gebüsch gefundene Messer gezeigt. Worauf Marchart anmerkt, dass die Polizei in ihrem Einsatzbericht extra festhält, dass kein Messer im Gebüsch gefunden wurde, sondern eben im Sackerl des Rollstuhlfahrers.

Dramaturgisch geschickt hat die Richterin sich die Ex-Freundin des Angeklagten bis zum Schluss aufgespart. Die berichtet zunächst aufgebracht, Zeuge V. habe nach seinem Abgang vor dem Gerichtssaal wieder "Du Hure!" zu ihr gesagt, ehe sie die Angaben ihres Ex-Partners bestätigt. Um dann mit einer Überraschung aufzuwarten: Sie habe den zweiten Vorfall im Park nämlich teilweise mit ihrem Mobiltelefon gefilmt.

Verblüffendes Video

Dass jemand vor Gericht die Wahrheit selektiv einsetzt, da er oder sie nicht weiß, dass eine Situation aufgenommen wurde, ist nicht so ungewöhnlich. Wie man aber beim Abspielen dieser Aufnahmen verblüfft feststellen kann, hat Zeuge V. offensichtlich gelogen, obwohl er wusste, dass die Szene dokumentiert wird. "Deine Schlampe nimmt das auf!" ist nämlich zu hören. Wie Marchart protokollieren lässt, ist auch zu sehen und zu hören, dass V. sagt: "Geh weg da, geh weg da, ich hab Angst!", obwohl er mehrere Meter entfernt von der Gruppe steht, ehe er sich nähert und behauptet: "Ich hab Angst vor dir, ich rufe jetzt die Polizei." Ein Messer erwähnt er dagegen nicht.

"Das Video hat mich jetzt endgültig überzeugt, es gab aber auch vorher schon genügend Zweifel", begründet die Richterin ihren Freispruch. W. Aussage sei immer gleich geblieben, während V. den Ablauf bei der Polizei anders geschildert hatte als vor Gericht und er vor allem nicht mit den erhobenen Fakten übereinstimmen würde. Selbst sollte W. verbal gedroht haben, sei das durchaus eine Nothilfesituation gewesen, da V. zunächst die Ex-Freundin des Angeklagten gestoßen habe.

Die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. Allerdings beantragt die Anklägerin gleichzeitig eine Protokollabschrift, um zu prüfen, ob sich V. wegen falscher Beweisaussage und Verleumdung verantworten muss. (Michael Möseneder, 12.11.2021)