Am Freitag endet die Begutachtungsfrist, ab 1. Jänner soll das neue Sterbeverfügungsgesetz in Kraft treten. Doch das dafür vorgesehene Präparat ist nicht unumstritten.

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Innsbruck/Zürich – Am Freitag endet die Begutachtungsfrist für das Sterbeverfügungsgesetz, mit dem in Österreich ein assistierter Suizid ermöglicht werden soll. Ab 1. Jänner 2022 können Schwerkranke, die das wünschen, dazu das Präparat Natrium-Pentobarbital (NaP) in Apotheken beziehen. Um eine solche Sterbeverfügung zu errichten, müssen Betroffene vorab einen ausführlichen Informations- und Dokumentationsprozess durchlaufen.

Doch um dieses Präparat, das auch bei Exekutionen eingesetzt wird, ist nun eine Diskussion entbrannt. Denn die österreichische Gesellschaft für Palliativmedizin hegt Zweifel, ob NaP "im gewünschten Sinne wirkt", wie Präsident Dietmar Weixler erklärt. Der Facharzt für Anästhesie will mit seinen Bedenken hinsichtlich des Präparates keinesfalls das Sterbeverfügungsgesetz an sich infrage stellen, wie er betont: "Aber es ist wichtig, den Patienten alle Informationen transparent zur Verfügung zu stellen."

Es fehlen wichtige Daten

Und genau da liegt das Problem, wie Weixler ausführt. Denn es fehlen belastbare Studien zum Einsatz und zur Wirkung von NaP im Zusammenhang mit assistiertem Suizid. "Es gibt keine Daten dazu, welche Dosis nötig ist und wie lange vorher man das den Brechreiz lindernde Mittel verabreichen muss", sagt der Anästhesist. Heftiger Brechreiz ist eine oft beschriebene Nebenwirkung des Präparates.

Angelika Feichtner, die das Hospizwesen in Tirol mitaufgebaut hat und selbst im Ethikrat der Gesellschaft für Palliativmedizin sitzt, hat die Stellungnahme der Organisation zum Gesetzesentwurf mitverfasst. Auch sie betont, dass es dabei "nicht um ein Pro oder Contra der Sterbeverfügung" gehe: "Die Frage ist nur, ob Natrium-Pentobarbital das geeignete Mittel dazu ist."

Beunruhigende Berichte aus den USA

Feichtner hat sich im Zuge ihrer Recherchen zum Thema mit Berichten aus dem US-Bundesstaat Oregon befasst, dessen geltendes Sterbeverfügungsgesetz eines der Vorbilder des nun in Österreich geplanten ist. Dabei stieß sie auf alarmierende Daten, sagt sie: "Im Jahresbericht 2020 wird zum Einsatz von NaP festgehalten, dass zwischen Einnahme und Einsetzen des Todes durchschnittlich 50 Minuten vergehen."

Zudem verweist sie auf Untersuchungen des Anästhesisten Joel Zivot von der Emory University School of Medicine in Atlanta. Zivot bestätigt gegenüber dem STANDARD, dass er den Einsatz von NaP bei Hinrichtungen über Jahre hinweg untersucht habe. Dazu habe er Autopsieberichte von mehr als 200 Delinquenten studiert. In vielen Fällen seien Lungenödeme festgestellt worden. Das komme einem Tod durch Ertrinken gleich, erklärt Zivot. Die Betroffenen seien noch am Leben gewesen, als diese Ödeme auftraten. Der US-Arzt sagt, die Öffentlichkeit habe ein Recht zu erfahren, unter welchen Umständen die Menschen sterben, die NaP verabreicht bekommen.

Mehr Vorlaufzeit gefordert

Ob Betroffene diese Komplikationen noch spürten, sei aber unklar, sagt Weixler. Er plädiert dennoch für weitere Untersuchungen, bevor man das Präparat einsetzt. Auch Feichtner fordert mehr Zeit: "Ich fürchte, man übersieht hier einen wichtigen Punkt." Nur der Gesundheitsminister könnte per Verordnung verfügen, dass ein anderes Mittel zur Abgabe herangezogen wird.

Im Nachbarland Schweiz wird NaP seit langem beim assistierten Suizid eingesetzt. Jürg Wiler vom Verein Exit erklärt dazu auf Nachfrage, dass es "in der jahrzehntelangen Erfahrung von Exit das bestgeeignete Medikament für die Suizidhilfe" sei. Komplikationen würden "äußerst selten auftreten". Nur in wenigen Einzelfällen habe sich die Dauer vom Eintritt des Tiefschlafes bis zum Eintritt des Kreislaufstillstands gegenüber der Norm etwas verlängert. Obduktionen werden in der Regel aber nicht durchgeführt. (Steffen Arora, 12.11.2021)