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Ein Burger für wenige Cent, ein Transatlantikflug für drei Euro, ein ganzes Leben für unter 1.000 Euro. So viel bezahlt man auf der offiziellen Seite der UN-Klimarahmenkonvention UNFCCC, wenn man CO2-Emissionen des eigenen Lebensstils ausgleichen will. Ab 2,50 US-Dollar (2,20 Euro) bezahlt man dort für ein Zertifikat, das die Einsparung einer Tonne des Treibhausgases bezeugen und dem Käufer so ein grünes Gewissen bescheren soll.

Wer dort einkauft, zahlt an ein Wasserkraftwerk in Chile, einen Windpark in Südkorea oder eine Abfallbehandlungsanlage in Indien. Denn dort wird das CO2 eingespart – oder besser gesagt: wurde. Denn bei den feilgebotenen Zertifikaten handelt es sich um Credits aus dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) des Kioto-Protokolls, das im Wesentlichen durch das Pariser Abkommen abgelöst wurde. Wer seinen Flug dort kompensiert, gleicht seine heute entstandenen CO2-Emissionen also mit solchen aus, die schon vor Jahren eingespart wurden.

Kritik an mangelnder Kontrolle

Aber wer garantiert, dass ein Zertifikat wirklich haargenau einer Tonne entspricht? Wäre das Kraftwerk vielleicht ohnehin gebaut worden, auch ohne Zertifikategeschäft? Und was ist, wenn sich nicht nur der Käufer des Zertifikats, sondern auch Chile, Südkorea oder Indien die Einsparung auf die Fahne heften?

Wegen solcher Probleme steht die CO2-Kompensation seit jeher in der Kritik. Hinter der grünen Fassade von Unternehmen stecken oft nur Tausende dieser manchmal zwielichten Zertifikate, ohne dass diese ihre Geschäft selbst nachhaltig gestalten. Nun sollen nicht nur Firmen und Privatpersonen, sondern auch Staaten wieder mit CO2 handeln dürfen, um ihre Klimaziele zu erreichen. Bereits im Kioto-Protokoll war das möglich – doch dieses umfasste bekanntlich bei weitem nicht alle Staaten.

Bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow, die noch bis Freitag läuft, sind die sogenannten Marktmechanismen eines der heißesten Eisen. In Paris hat man sich auf solche Märkte für Treibhausgase geeinigt, ohne näher darauf einzugehen. Seither ringt man aber darum, wie sie aussehen sollen.

Kaufen statt machen

Im Wesentlichen geht es darum, ob ein Staat die versprochenen Klimaziele nur innerhalb der eigenen Grenzen erreichen muss, oder ob – und wie – die Staaten andere Länder für Klimaschutzmaßnahmen bezahlen und die Einsparung dafür in ihre eigene Bilanz schreiben dürfen.

Im Grunde klingt es sinnvoll und verlockend: Warum in Europa aufwendig und teuer umrüsten, wenn im Globalen Süden die Einsparungen viel günstiger zu haben sind? Dem Klima ist es schließlich egal, wo CO2 in die Luft geblasen wird – und eben auch, wo man es einspart. Das ist auch der Hintergedanke des EU-Emissionshandels, der allerdings mit einem Cap-and-Trade-System funktioniert. Dabei wird im Vorhinein festgelegt, wie viel in einem Jahr ausgestoßen werden darf – alles unter diesem Cap darf gehandelt werden. So sollen zuerst jene Industrien CO2 einsparen, die das am günstigen schaffen.

Doch auf globaler Ebene gibt es keine verbindliche Obergrenze für CO2. "Das, woran hier gearbeitet wird, ist eigentlich ein riesiges Kompensationssystem", sagt Gilles Dufrasne, Policy Officer bei Carbon Markets Watch. Und das bringe eben die ganzen Probleme mit sich, die auch am freiwilligen CO2-Ausgleich kritisiert werden.

Einerseits sei es sehr schwer, nachzuweisen, dass wirklich eine Tonne CO2 eingespart wurde. Das hat einerseits technische Gründe, weil etwa nicht überall genau gemessen wird. "Viele Länder drängen aber absichtlich auf schlechte Buchführung. Sie wollen ihre Einsparungen für Geld verkaufen, aber diese trotzdem in ihre eigene Treibhausgasbilanz zählen, um die Klimaziele zu erreichen", sagt Dufrasne. "Wenn wir das tun, verwaschen wir das Pariser Abkommen." Denn auch wenn auf dem Papier die Emissionen an mehreren Stellen gesunken sind – letztlich zählt das, was in die Luft gelangt.

Die Rückkehr der Zombie-Credits

Dazu kommt, dass bestimmte Staaten darauf drängen, ihre CO2-Credits aus dem Kioto-Protokoll in das Pariser Abkommen mitnehmen zu dürfen – mit Erfolg, wie es derzeit aussieht. Diese funktionieren zwar etwas anders als jene, die es im UN-Shop zu kaufen gibt. Ihnen gemeinsam ist aber: Die Einsparungen liegen bereits in der Vergangenheit und sind oft intransparent. "Zombie-Credits" nennt sie ein Verhandler in Glasgow hinter vorgehaltener Hand, "Junk-Credits" ein anderer Teilnehmer. Sollten sie wieder in den Umlauf gelangen, könnten Staaten sich mit diesen näher an ihre Klimaziele herankaufen, ohne selbst weniger zu emittieren.

Organisationen wie Greenpeace fordern deshalb, einen Schlussstrich unter das Kioto-System und auf internationale Kooperation statt auf Marktmechanismen zu setzen. "Die Idee der Kohlenstoffmärkte ist bereits unter dem Kyoto-Protokoll katastrophal gescheitert und darf sich nicht im Pariser Klimavertrag wiederholen", sagt Jasmin Duregger, Klima- und Energieexpertin bei Greenpeace. Unter Umständen könnten Staaten einen Anreiz haben, sich niedrigere Klimaziele zu setzen, um diese dann später zu übertreffen und den Überschuss an andere Staaten verkaufen zu können. Für die NGO ist der Emissionshandel ein Nullsummenspiel, das mit dem Pfad in Richtung null Emissionen in Widerspruch steht.

Nicht per se schlecht

In der Kritik stehen auch die ökologischen und sozialen Folgen mancher Ausgleichsprojekte. In der Vergangenheit konnten auch große Staudämme und sogar Kohlekraftwerke CO2-Credits generieren, wenn diese effizienter gemacht wurden. Bei Aufforstungsprojekten hingegen steht oft im Raum, wie langfristig die Bäume Kohlenstoff binden können. Oft stirbt schon ein Großteil der Millionen, oder Milliarden Setzlinge, mit denen sich Kampagnen brüsten, nach wenigen Monaten ab. Dass Wälder nicht für immer sein müssen, musste diesen Sommer die Firma Microsoft schmerzlich erfahren: In den USA brannten auch Waldflächen, in denen das Unternehmen zum CO2-Ausgleich Bäume pflanzen ließ.

Für viele Umwelt-NGOs gilt bei dieser Klimakonferenz paradoxerweise: Lieber keine Einigung bei den Marktmechanismen als eine schlechte. Derzeit sieht es allerdings danach aus, als würde es einen Pakt geben. Laut Verhandlerkreisen sollen Staaten zumindest einen Teil der alten Kioto-Credits in das Pariser Abkommen mitnehmen dürfen.

Kohlenstoffmärkte müssen aber nicht per se schlecht sein, sagt Gilles Dufrasne von Carbon Markets Watch. Es kommt auf die Umsetzung an: Einerseits könnten etwa nichtpermanente Speicher wie Wälder auf dem Papier auch so behandelt werden. Möglich wären etwa zeitlich begrenzte Zertifikate, die man in der Bilanz irgendwann ersetzen müsste. Zudem müsste sichergestellt werden, dass Einsparungen wirklich nur einmal gezählt werden. Für den privaten Sektor könnte sich Dufrasne etwa eine Regulierung von irreführender Werbung vorstellen. Unternehmen könnten sich mit zugekauften CO2-Credits dann nicht mehr so schnell als grün darstellen wie bisher. (Philip Pramer, 12.11.2021)