Am 17. August 2018 wurde Minna geboren. Bei der Geburt erlitt das Mädchen schwere Hirnschäden. Die Eltern haben geklagt.

Foto: Regine Hendrich

"Minna hat nie geschrien." Mit diesen Worten erinnert sich der Vater des heute rund dreijährigen Mädchens in einer seiner vielen Niederschriften und Briefe, die er und die Mutter des Kindes seit jenem 17. August 2018 geschrieben haben, an dem Minna zur Welt kam. Im Gedächtnisprotokoll einer Kinderkrankenschwester, die herbeigeeilt war und erste Reanimationsmaßnahmen ergriff, liest sich das so: Als sie das Kind auf dem Bett im Kreißsaal gesehen habe, sei es leblos und schlaff gewesen, habe keine Mimik, keine Reflexe, keinen Herzschlag gehabt. "Avital" sei es zur Welt gekommen, sollte es ein von den Eltern beauftragter Privatgutachter später zusammenfassen.

Reanimation

Ein Kinderarzt übernahm dann die weitere Reanimation, das Baby wurde von einer Privatklinik in Wien-Döbling, wo es mit der Nabelschnur um den Hals auf die Welt gekommen war, in die Intensivstation des AKH gebracht. Heute lebt Minna mit ihren Eltern, sie ist schwerstbehindert. Sie kann nicht schlucken, trinken, essen, sie kann nicht sitzen, gehen, nicht sprechen: Pflegestufe sieben. Davon, dass sich ihr Gesundheitszustand wesentlich verbessert, ist kaum auszugehen, sagen Ärzte. Sprich: Minna wird ihr Leben lang ein Pflegefall bleiben.

Inzwischen ist Minna auch ein Fall fürs Gericht. Seit Herbst 2018 bemühen sich ihre Eltern um nachhaltige finanzielle Unterstützung für den riesigen pflegerischen, medizintechnischen und finanziellen Aufwand, den sie täglich zu stemmen haben. Sie werfen dem Gynäkologen K., der bei der Geburt dabei war, vor, nicht rechtzeitig reagiert zu haben, als sich die Herztöne des Kindes immer mehr verschlechtert haben.

Gegen Wände gelaufen

Das freilich bestreitet der Arzt: Die werdende Mutter habe den von ihm empfohlenen Kaiserschnitt (Sectio) abgelehnt, obwohl er sie auf die Risiken fürs Kind hingewiesen habe, sollte die Geburt nicht schnellstens beendet werden, also eben per Sectio. Das bestreitet die Mutter, sie sei gar nicht auf die lebensgefährliche Situation hingewiesen worden, und auch zum Kaiserschnitt sei ihr nicht geraten worden.

Bis Februar 2020 bemühten sich Minnas Eltern bei der Klinik, bei der Haftpflichtversicherung des Arztes, beim Arzt um außergerichtliche Lösungen, Minnas Leben finanziell langfristig abzusichern. An einer außergerichtlichen Lösung sei ihnen gelegen gewesen, wie sie betonen. Zwar habe es immer wieder Hoffnungsschimmer gegeben, viel mehr aber nicht.

Doch, die Haftpflichtversicherung des Arztes hat ein A-Konto von 400.000 Euro bezahlt, dieses genau gewidmete Geld ist aber schon zu einem Gutteil aufgebraucht. Jeder Ausgabe muss das Pflegschaftsgericht zustimmen. 100.000 Euro sind als Schmerzensgeld gewidmet, die dürfen nicht angerührt werden, bis Minna großjährig ist.

Kostenintensive Anschaffungen

Abseits dessen musste ein Bus angeschafft werden, in den ein Rollstuhl passt. Mit eigenen Ersparnissen und geborgtem Geld hätten sie zur eigenen kleinen Wohnung die noch kleinere Nachbarwohnung dazugekauft, erzählen die Eltern, damit auch die tagsüber anwesenden Helfer und Pfleger Platz haben. Ein größerer Aufzug muss her, in den auch ein Rollstuhl reinpasst, und die Wohnung muss barrierefrei gemacht werden – wobei der Betreiber der Privatklinik Hilfestellung geleistet habe, wie sie auch dazusagen.

Zu fixen vertraglichen Vereinbarungen für die Absicherung des Mädchens kam es aber nicht. Deswegen haben Minna und ihre Eltern Anfang 2020 Klage eingereicht: gegen den Arzt und seine Haftpflichtversicherung, die für maximal fünf Millionen Euro geradesteht. Die drei Kläger wollen 270.000 Euro für diverse bereits getätigte Ausgaben sowie die Feststellung, dass die Beklagten für alle Schäden und Folgen haften. Die Beklagten haben die Abweisung der Klage beantragt – wobei sich nach den ersten zwei Tagsatzungen am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen (ZRS) sogar eine Chance auf einen Vergleich abgezeichnet hat.

Dazu gekommen ist es dann aber "trotz vieler Gespräche" nicht, wie die Richterin in der Verhandlung am Donnerstag konstatierte. Minna und ihre Eltern sind in einer Art juristischen Teufelskreis gelandet. Bevor nicht über den Grund der Klagsforderung entschieden ist (warum ein "Schaden" eintrat), kann auch nicht über die Höhe entschieden werden. Der Arzt weist aber den Vorwurf eines Kunstfehlers zurück (das wäre der Grund für die Zahlung), wenngleich ein Gerichtsgutachter festgestellt hat, dass er nicht "lege artis" gehandelt habe und bei einem "vorherigen" Agieren (Kaiserschnitt) die "schwere Schädigung des Mädchens" zu verhindern gewesen wäre.

Versicherer will Gutachten

Die Haftpflichtversicherung würde ja gern alles in Bausch und Bogen zahlen, wie ihr Anwalt beteuerte – dürfe das aber ohne genaue Kenntnis des lebenslangen Pflegebedarfs für Minna (der Versicherer geht von einer Lebenserwartung von rund 83 Jahren aus) nicht tun. Ohne Gutachten gehe da nichts, schließlich verwalte man fremdes Geld. Dazu kommt noch die Frage, ob und wie sich die Versicherung etwaige Zahlungen mit dem Arzt teilen würde.

Nach langer Debatte über diese hochkomplexen Themen war der Kreis geschlossen, trotz des "schmerzhaften Themas" begann die Richterin Zeugen zur Geburt zu befragen. Eine Anästhesistin sagte, sie habe gehört, dass die Gebärende "keine Sectio!" gerufen habe, Minnas Mutter sagte das Gegenteil. Im Jänner geht die Verhandlung weiter. Minna wird warten müssen. (Renate Graber, 11.11.2021)