Corona-Intensivpatienten sind besonders betreuungsintensiv. Schon das An- und Ausziehen der nötigen Schutzkleidung bindet viel Arbeitszeit.

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Die Situation in Österreichs Spitälern spitzt sich immer weiter zu. Am Donnerstag mussten laut Daten des Gesundheitsministeriums 432 Personen wegen einer Covid-Erkrankung intensivmedizinisch behandelt werden. Das sind 19 Patientinnen und Patienten mehr als am Mittwoch. Und die Prognose der Covid-Kommission lässt vorerst nicht auf Entspannung hoffen: Die Prognoserechnungen zeigen "weiterhin signifikante Anstiege der Auslastung von Intensivstationen auf ein Niveau von 35,5 Prozent" – das sind 748 belegte Intensivstationsbetten – bis zum 24. November.

Laut Analysen der Kommission wird damit mit hoher Wahrscheinlichkeit ein "sehr hohes Systemrisiko" erreicht. "Demzufolge steht die medizinische Versorgung der österreichischen Bevölkerung vor einer ernstzunehmenden Bedrohung", heißt es in der Prognose. Zudem stelle der steigende Belag in den Spitälern das System insgesamt vor Herausforderungen: 1.851 Menschen, das sind um 27 mehr als noch am Tag davor, waren am Donnerstag wegen einer Covid-Erkrankung im Spital.

Ein Schlüsselwort in der Versorgung ist die Intensivbettenkapazität. Doch was bedeutet die überhaupt? Dieses Wort ist eigentlich hochgradig irreführend. Es vermittelt den Eindruck, dass nur genügend Betten da sein müssten, und alle Probleme wären gelöst. Thomas Staudinger, ärztlicher Leiter einer Intensivstation am AKH Wien, meint deshalb: "Ich vermeide den Begriff und spreche lieber von einer Intensivposition."

Was genau passiert auf so einer Position? "Die Intensivmedizin hat drei Aufgaben", so Staudinger. "Eine ist die Überwachung lebenswichtiger Funktionen, die hier wesentlich aufwendiger ist als auf einer Normalstation." Atmung, Blutdruck, Sauerstoffsättigung und mehr werden kontinuierlich über Monitore gemessen. Eine zweite Aufgabe ist das Unterstützen oder sogar Ersetzen von Körperfunktionen wie Atmung, Kreislauf oder die Arbeit einzelner Organe wie Lunge oder Nieren durch Medikamente oder Maschinen.

Schlüsselfrage Personal

Die dritte Aufgabe – und die ist ganz zentral auf den Intensivstationen – ist die Pflege der Patientinnen und Patienten. Denn die Patientinnen und Patienten haben einen deutlich höheren Pflegebedarf, entsprechend ist wesentlich mehr Personal nötig, das spezielle Ausbildungen braucht. Und hier zeigt sich auch das grundlegende Problem, so Staudinger: "Es gibt bereits jetzt viel mehr Intensivpositionen, als betreut werden können. Wenn jetzt in Bezug auf Corona von Bettenanzahl gesprochen wird, werden bauliche Kapazitäten gezählt, aber die personellen Möglichkeiten nicht berücksichtigt." Schon jetzt gibt es keine "leeren" Intensivbetten. "So ein Bett ist niemals frei und wartet auf einen Patienten. Diese Positionen sind dynamisch frei, täglich wird besprochen, bei uns im Haus, aber auch zwischen den Kliniken, wo Platz geschaffen werden kann. Das alles ist ein ziemlicher Organisationsaufwand. Das ist natürlich immer so, aber derzeit ist der Aufwand noch deutlich höher."

Natürlich könne man mehr Patienten vom gleichen Personal betreuen lassen, aber dann sinke konsequenterweise auch die Qualität der Betreuung, betont Staudinger: "Wir kennen das aus anderen Ländern, wo das in extremen Wellen der Fall war. Aber je mehr Patienten das Personal mit den gleichen Kapazitäten betreuen muss, desto mehr Patienten werden auch sterben. Das ist zum Beispiel in den USA passiert."

Die Personalfrage bestätigt auch Arschang Valipour, Leiter der Inneren Medizin und Pneumologie an der Klinik Floridsdorf: "Gibt es kein adäquates Personal, nützen auch die Betten nichts. Die Pflegekräfte kann man aber nicht so einfach aufstocken, für die Intensivpflege braucht man eine mehrjährige Spezialausbildung. Eine Unterstützung aus anderen Stationen ist da fast nicht möglich." Am ehesten können noch Pflegekräfte aus der Anästhesie einspringen, die eine ähnliche Ausbildung haben. "Aber die fehlen ja dann bei den Operationen. Und das führt dann dazu, dass diese wiederum verschoben werden müssen", betont Valipour.

Hoher Pflegeaufwand

Dazu kommt, dass Covid-Patienten im Verhältnis sehr betreuungsintensiv sind. Staudinger erklärt: "Das hat mehrere Gründe. Medizinisch gesehen ist der Unterschied nicht so groß. Aber das Personal muss sich mit Spezialanzügen vor Ansteckung schützen. Es braucht aber Zeit, diese Ausrüstung anzulegen, und noch mehr, sie wieder sicher zu entsorgen, das ist ein richtiges Ritual. Die Pflegekräfte können dann auch die Corona-Station nicht ohne weiteres verlassen, es braucht außerhalb jemanden, der zureicht. Das muss alles geplant werden."

Je nach Zustand intensiviert sich der Betreuungsaufwand. So gibt es die reinen "Überwachungsbetten" auf den Intensivstationen, die Intermediate Care Unit (IMCU), eine Art Bindeglied zwischen Normal- und Intensivstationen, die aber meistens zu den Intensivbetten gerechnet werden, da sie technisch deutlich besser ausgestattet sind und die Überwachung der lebenswichtigen Funktionen lückenlos ist. Patienten, die dort liegen, sind im Normalfall ansprechbar, sie werden bei der Atmung unterstützt, können aber in der Regel noch selbst atmen, wie Valipour sagt.

Richtig aufwendig wird es, wenn Patienten ein Intensive-Care-Bett (ICU) brauchen, also ein klassisches Intensivbett. Valipour erklärt: "Wenn sich der Zustand verschlechtert und die Lunge die Sauerstoffversorgung nicht mehr leisten kann, werden die Patienten in künstlichen Tiefschlaf versetzt und über einen Beatmungsschlauch künstlich beatmet."

Viele dieser Patienten müssen ein- bis zweimal pro Tag gedreht werden – denn die Bauchlage entlastet die Lunge. "Das klingt so leicht, ist aber ein hochkomplexer Prozess und jedes Mal ein Aufwand von mindestens einer halben Stunde mit drei oder vier Personen. Die Patienten selbst können ja nicht mithelfen. Sie sind aber meist übergewichtig, also sehr schwer, hängen an mehreren Schläuchen und Infusionen. Da darf nichts verrutschen oder abfallen. Zusätzlich ist ihr Zustand oft sehr instabil, es braucht nach dem Drehen auch noch Nachbetreuung wie etwa die Lunge absaugen, damit der Patient wieder stabilisiert wird", betont Valipour.

Dabei beschwert sich der Intensivmediziner nicht: "Das ist unser täglich Brot, da müssen wir jetzt durch." Die Situation sei zwar herausfordernd, es werde wohl ähnlich werden wie schon im vergangenen Herbst und Frühjahr. "Ohne Impfung hätte das Gesundheitssystem die Situation mit der Delta-Variante ganz sicher nicht mehr stemmen können. Aber die vulnerable Bevölkerungsgruppe mit hohem Risiko für Intensivversorgung ist tendenziell doch besser geimpft als der Durchschnitt der Bevölkerung. Insofern hoffe ich, dass wir mit vereinten Kräften auch noch durch diese Welle kommen." (Oona Kroisleitner, Pia Kruckenhauser, 12.11.2021)