Mit stabiler Seitenlage durchs wilde Kansas in Mittelsachsen: Judy Garland (Evamaria Salcher, li.) und Moderatorin (Lisa Birke Balzer).

Lex Karelly

Garland – da kennt der gelernte Hollywoodfan eigentlich nur eine: Judy Garland. Die als rotbezopftes Mädchen Dorothy im Musicalfilm Der Zauberer von Oz zum Star gewordene Schauspielerin mit tragischer Biografie. Und doch ist Garland von Svenja Viola Bungarten alles andere als ein Personality-Theater. Die deutsche Autorin, Jahrgang 1992, deutet den Namen Garland um in eine Landschaft im Landkreis Mittelsachsen. In dieser von anhaltender Dürre gezeichneten, ostdeutschen Gegend arbeitet der Filmstar auf einer Tankstelle und sucht neben ihrem verlorenen Leben auch konkret nach ihrer im Heim aufgewachsenen Tochter.

Und das ist nur ein Bruchteil vom Plot des Stücks, das Anita Vulesica am Schauspielhaus Graz zur Uraufführung gebracht hat. Wir folgen einem nervenaufreibenden Filmdreh (Frieder Langenberger als Hektomatikregisseur Salvatore Brandt), einer nicht weniger aufreibenden Radioshow, es geht zudem um eine alte Ehe, um einen Bruderzwist, natürlich um die Klimakrise; und man kann das Drama auch ein Roadmovie nennen, in dem ein patinierter roter VW Golf ohne Windschutzscheibe an ein Theater erinnert, das noch über eine gut durchblutete Nabelschnur zum Realismus verfügte.

Kansas in Sachsen

An diesem Actionreichtum hat sich Regisseurin Vulesica genüsslich bedient. Auf der Drehbühne von Frank Holldack schachtelt sie diverse Schauplätze ineinander – reale und traumhafte – und gönnt dem Publikum viele Details. Die mit Flauschfedern geschmückten Hausschlapfen der Radiomoderatorin namens Lorna Luft (Lisa Birke Balzer) sind solche Details.

Warum trägt eine Moderatorin im Studio so edle Dinger? Sind sie eine hollywoodeske Spur, die zur verlorenen Tochter führt? Immerhin heißt eine von Judy Garlands Töchtern Lorna Luft. Und einmal sitzt die Tankstellen-Garland im Federboakleid (traumhaft: Evamaria Salcher) der Moderatorin im Radiostudio auch gegenüber. Ohne Erkennen. Tragisch.

Und doch fühlt sich der Abend durch und durch komisch an. Denn was das Stück so fabelhaft gut kann: Es schlägt aus der Verschränkung unterschiedlicher Geschichten und Gegenden, Fantasien und Wirklichkeiten wie verrückt Funken. Die Schauplätze Kansas (wegen des Zauberer von Oz) und Sachsen verschmelzen zu einer amerikanisch-deutschen Zukunftslandschaft, in der sich die Wege aller kreuzen. Hier wohnen die "Farmer:innen" Tante Em (Beatrice Frey) und Onkel Henri (Rudi Widerhofer), deren Kukuruz verdorrt. Hier will ein degradierter Polizist (Lukas Walcher) seinen Job zurück. Hier streunt nach dem Brand eines Waisenhauses ein 13-jähriges Mädchen mit Namen Dorothee (Katrija Lehmann) herum und will die Welt retten.

Hollywoodesk

Dorothee, eine Mischung aus Greta Thunberg und Dorothy aus dem Musical, eine Vertreterin der Generation Z, ist der Geduldsfaden in puncto Klimapolitik, Massentierhaltung etc. längst gerissen. Sie wird zur Brandrednerin ihrer eigenen, düsteren Zukunft, schnalzt die Sätze Pollesch-gleich hinaus: "Ich argumentiere gegen die Emotionalisierung meiner Agenda, gegen die Personalisierung und Psychologisierung meines Aktivismus!"

Dass eine Klimatragödie zugleich eine hollywoodeske Roadmovie-Komödie sein kann, ist im zeitgenössischen Theater üblich, gelingt aber nicht immer so gut wie hier. Oder wie der Hektomatikregisseur sagt: "Hoffnung ist eine Genrefrage". (Margarete Affenzeller, 12.11.2021)