Mit "Dunkelblum" hat Eva Menasse einen der Romane dieses Herbsts vorgelegt. Er spielt im Burgenland.

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In ihrem jüngsten Roman Dunkelblum schreibt Eva Menasse anhand eines burgenländischen Dorfes über das Schweigen, das den heimischen Umgang mit der Nazizeit geprägt hat. Wie aber beurteilt Menasse die offizielle Erinnerungskultur heute? Erst diese Woche wurde vor der Nationalbank eine Gedenkmauer für die Opfer der Shoah ihrer Bestimmung übergeben.

STANDARD: Sie leben seit vielen Jahren in Berlin, schreiberisch sind Sie Österreich aber sehr verbunden. "Vienna" war ein Wien-Roman, "Dunkelblum" könnte man als österreichische Mentalitätsgeschichte lesen. Warum kommen Sie von Österreich nicht los?

Menasse: Es ist andersrum. Der Schriftsteller schreibt über das, was er kennt: Proust über Frankreich, Tschechow über die russische Provinz. Ich kann noch so lang in Berlin leben, die Mentalität und die Sprache, die ich bis in die letzte Pore verstehe, ist die österreichische.

STANDARD: Der Philosoph Rudolf Burger hat von der "zähnefletschenden Herzlichkeit" Österreichs gesprochen. Ist dieser Widerspruch für eine Schriftstellerin besonders lohnend?

Menasse: Für mich ist vor allem lohnend, dass ich beide Sprachebenen kenne, das Österreichische und das Deutsche, wobei es natürlich viele regionale Unterschiede gibt. Ich habe zwei Deutsch in mir. Der Deutsche geht eher mit einer sprachlichen Axt durch die Welt, er sagt, was er will, und das so knapp als möglich. Der Österreicher ist umwunden, "schliaferlt" herum.

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DER STANDARD

STANDARD: Das zentrale Thema von "Dunkelblum" ist das Schweigen, das Durchlavieren durch die österreichische Geschichte. Wie beurteilen Sie die österreichische Erinnerungskultur?

Menasse: Das ist ein Punkt, an dem ich Österreich in Deutschland mittlerweile oft verteidige. Jedes Land hat einen Klischeestempel: Für Deutsche ist Österreich jenes Land, das sich davongestohlen hat, mit der Geschichte nichts zu tun haben wollte. Seit 1986 hat sich gesamtgesellschaftlich aber viel geändert. Komischerweise ist diese Entwicklung nicht kongruent mit der politischen Situation Österreichs, deren Amoral heute wieder erschütternd ist.

STANDARD: Warum hält sich bei österreichischen Intellektuellen hartnäckig der Ruf Österreichs als ein Land der Ewiggestrigen. Ein Stück Folklore?

Menasse: Es gibt ein ritualisiertes Schimpfen in jedem Land. Das finden Sie in Deutschland genauso. Wann immer man versucht, die Deutschen für ihre Aufarbeitung der Vergangenheit zu loben, dann sagen auch die aufgeklärtesten Intellektuellen: Ja, aber das kam alles zu spät, und die Leute wählen schon wieder die AfD.

STANDARD: Ist es nicht anachronistisch, dass Sie angesichts Ihrer Worte das Thema Vergangenheitsbewältigung aufgegriffen haben? "Dunkelblum" spielt in Rechnitz …

Menasse: … Pardon, der Roman spielt im Burgenland, nicht in Rechnitz: Die Dunkelblumer Gruft stammt aus Güssing, die Pestsäule aus Deutschkreuz. Einige Massakerdetails kommen aus Jennersdorf und aus Deutschschützen.

STANDARD: Ein Burgenlandroman also. Dennoch: Warum das Thema?

Menasse: Der Roman spielt im Jahre 1989. Seither hat sich viel zum Guten verbessert. Ich beschreibe aber die Zeit zwischen 1938 bis 1989. Mein Roman versucht, die tektonischen Verschiebungen in dieser Zeit zu beschreiben. Auch da hat sich viel verändert. Zuerst ist vieles mit großer Gewalt, auch physischer, beschwiegen worden. Aber irgendwann werden die Haltekräfte jener, die dabei waren, schwächer, und das Schweigen bricht. Durch die Ereignisse am Eisernen Vorhang ist Bewegung in eine Region gekommen, die zuvor in einer Art Todesstarre verharrt ist. Ich wähle im Übrigen nicht ein Thema, weil ich etwas sagen will, sondern ein Thema packt mich. So entstehen meine Bücher.

STANDARD: Die sprachliche Ebene Ihres Romans vollzieht etwas, das auch die inhaltliche Ebene abbildet: Das Beschönigende im Umgang mit der Vergangenheit bildet ihre Sprache ab, zumal jene Dialektsprache, die Sie im Roman verwenden.

Menasse: Ich bin in diese Sprache richtig reingekippt. Ich saß in Berlin und schwelgte im österreichischen Dialekt. Eine Beobachtung trifft aber zu, wobei mir das während des Schreibens nicht klar war: In einer Region, wo jeder jeden kennt, schmiert die Sprache wie ein Pflaster alles zu. Diese österreichischen Diminutive gibt es ja wirklich, das ist das Charmante an unserer Sprache, genau das mögen die Deutschen. Wenn eine Gemeinschaft etwas vergessen machen will, ist dieses Darüberhinwegreden hilfreich.

STANDARD: Bildet das Österreichische mit all seinen Verkleinerungsformen unseren "schlawinernden" Umgang mit der Vergangenheit ab?

Menasse: Ich weiß es nicht, die Österreicher haben ja nur diese Sprache. Nazis in Hollywoodfilmen haben immer ein schnarrend preußisches Deutsch gesprochen. Hitler war aber Österreicher. Insofern ist es vielleicht stimmig, dass Dunkelblum in diesem gemütlichen Österreichischen daherkommt. Wir wissen alle, dass Österreicher in einem überproportionalen Verhältnis an den NS-Verbrechen beteiligt waren.

STANDARD: Sie haben die österreichische "Lockerheit des Denkens" gerühmt. Fühlen Sie sich in dieser Lockerheit wohler als in der puritanischen Strenge vieler Deutscher?

Menasse: Bis jetzt hatte ich mit dieser Strenge kein Problem. Derzeit verändert sich aber etwas. Die Zunahme von Rigorismus und Extremismus bei vielen Themen macht Deutschland zunehmend ungemütlich. Die Österreicher haben eher ein Talent, fünfe grade sein zu lassen, mit allen Vor- und Nachteilen. Das verschafft uns österreichischen Schriftstellern jedenfalls einen Vorsprung am deutschen Markt: Mit unserer Flexibilität des Denkens, der Ironie und dem Sarkasmus haben wir in einem eher humorlosen Land einen Startvorteil.

STANDARD: Als Schriftstellerin beeinflusst Sie dieser Rigorismus besonders. Die strenge Political Correctness hat zuletzt schon Schriftsteller bewogen, nach Wien zu ziehen.

Menasse: Meine These ist, dass diese Strenge konfessionell beeinflusst ist. Je protestantischer Deutschland ist, desto bereiter ist es, den aus den USA importierten Rigorismus aufzunehmen. Berlin ist als internationalste Stadt Europas eine Insel. Aber ja: Diese Zunahme an puritanischem Denken ist nicht angenehm, vor allem wenn man schreibt. (Stephan Hilpold, 14.11.2021)