Sara Marita Kramer wünscht sich eine Tournee für die Skispringerinnen, "aber nicht als Anhängsel bei den Herren".

Foto: APA/EXPA/JFK

Sara Marita Kramers Trainingssprünge gaben zu den schönsten Hoffnungen Anlass.

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Schon in ihrer ersten vollen Weltcupsaison gab Skispringerin Sara Marita Kramer gleichsam das Versprechen ab, in eine neue Dimension vordringen zu können. Nur die Auslauflängen schienen der Salzburgerin Grenzen zu setzen. In die neue Saison, die am 26. November, eine Woche nach jener der Herren, ebenfalls in Nizhny Tagil, Russland, beginnt, nimmt Kramer zudem einen reichen Erfahrungsschatz mit. Bei den Weltmeisterschaften in Oberstdorf im vergangenen März brachten sie auch zweifelhafte Juryentscheide um Einzelgold.

Den Gesamtweltcup verlor die Siegerin von sieben Konkurrenzen wegen einer Zwangspause infolge eines falsch-positiven Corona-Tests in Rumänien sowie einer Disqualifikation wegen eines Anzugvergehens in Hinzenbach. Kramer reagierte bemerkenswert abgeklärt, suchte die Fehler eher bei sich selbst. So erfolgreich, dass ihr, den Trainingsleistungen nach zu schließen, eine großartige Olympiasaison bevorsteht.

STANDARD: Es ist noch nicht lange her, da wollten Sie mit dem Skispringen schon aufhören. Sie haben nach dem Schulabschluss überlegt, in der niederländischen Heimat Ihres Vaters eine Ausbildung zu beginnen. Ist es nicht erstaunlich, wie sich danach Ihre Karriere entwickelt hat?

Kramer: Schon, aber genau dieser Punkt war in meiner Karriere sehr wichtig, denn davor war ich gut, aber nicht sehr gut. Ich konnte mich im Weltcup nie wirklich etablieren, konnte nie etwas zeigen. Dann hat mich mein Trainer Philipp Amon gefragt, ob noch ein Feuer in mir brennt. Da habe ich nachgedacht und es für schade gefunden, einfach hinzuschmeißen, weil Skispringen kann ich ja, das ist eben wirklich das, was ich machen möchte. Dann haben wir meinen Grundsprung neu aufgebaut, haben den Weg zurück zur Basis gesucht. Dadurch habe ich einen Grundsprung, der immer funktioniert. Ich habe die Stärken behalten und bei den Schwächen angesetzt.

STANDARD: Ihre vergangene Saison war sehr turbulent, es gab große Siege, aber auch zum Teil unverschuldete Rückschläge. Wie haben Sie das über den Sommer verdaut?

Kramer: Ich habe das schon im Winter mit dem letzten Wettkampf abgehakt. Natürlich war es in diesen Momenten zäh, aber ich habe sehr viel daraus gelernt. Man kann sich noch so gut fühlen und ist dennoch auf ein gewisses Maß an Glück angewiesen. Und man muss performen, was man draufhat. Ich habe Dinge erlebt, die manche nicht in zehn Jahren erleben, trotzdem habe ich nie aufgegeben und hätte fast noch den Gesamtweltcup gewonnen. Das zeigt, dass ich unterbewusst dann doch eigentlich sehr stark war.

STANDARD: Sie haben auf Rückschläge überraschend gelassen, viele sagen, für Ihr Alter sehr reif reagiert und nicht die Schuld bei anderen gesucht. Ist das ein Charakterzug?

Kramer: Ausreden oder die Ursache bei anderen suchen, das tut man nicht. Und es hilft mir auch nichts. Ich habe grundsätzlich auch Fehler gemacht, ich muss immer schauen, was ich verbessern kann. Darauf, was andere tun, habe ich ja keinen Einfluss. Die Konzentration auf das eigene Tun ist wichtiger, auf den eigenen Sprung. Und den kann ich ja.

STANDARD: Ihre Einstellung wird förderlich sein, vor allem wenn es in Peking um Olympiamedaillen geht. Fürchten Sie die Umstände, die die Pandemie mit sich bringen wird?

Kramer: Bei uns sind die allermeisten geimpft, das hilft uns sehr. Ich hoffe nur, dass alles wie geplant stattfinden kann. Wir haben einen sehr guten Wettkampfkalender, sollten in dieser Saison viel unterwegs sein. Natürlich wird es schwierig, vor allem in China, dort wird das Regime sehr hart.

STANDARD: Sie springen oft weiter als die Konkurrenz. Dann wird die saubere Landung zum Problem. War das der Trainingsschwerpunkt?

Kramer: Wir haben uns sehr auf den Telemark konzentriert, ich habe mir vorgenommen, jeden Sprung zu setzen. Natürlich war es im Weltcup schwierig, weil mit dem Anlauf ziemlich großzügig umgegangen wurde. Mir kommt vor, dass da mehr auf die anderen als auf mich geschaut wurde hin und wieder. Ich war einfach in Topform, da hätte man darauf achten müssen, dass es auch für mich passt. Ich darf mich nicht darauf konzentrieren, dass es zu weit gehen könnte. Gerade dass es weit geht, ist das Schöne im Skispringen. Im muss mich eben auf die Landung konzentrieren.

STANDARD: Weite ist schön. Sollen die Frauen auch möglichst bald Ski fliegen?

Kramer: Viele werden mich für diese Antwort hassen, aber in meinen Augen ist es fürs Damenskispringen noch nicht die richtige Entscheidung, Fliegen zu organisieren. Es wäre wichtiger, mehr Wettkämpfe auf Großschanzen zu bekommen. Wir sind ja immer noch vor allem auf K90, also Kleinschanzen, unterwegs. Wenn wir dann einmal auf Großschanzen springen, ist das schon ein Highlight. Sehr interessant wäre für uns so etwas wie eine Tournee, das könnte viele Zuschauer interessieren. Aber nicht als Anhängsel bei den Herren. Vielleicht verlieren dadurch beide an Qualität. Das muss man aufbauen, das kommt nicht von heute auf morgen. Das Skifliegen ist noch zu weit weg. Es ist wichtig, dass die Dichte vom ersten bis zum 30. Platz stimmt, bei den Herren ist das Feld doch viel knapper beisammen, es springen ja auch mehr Herren. Bei uns haben andere Sachen eine höhere Priorität als das Fliegen.

STANDARD: Für Sie persönlich welche?

Kramer: Ich hoffe, dass ich auf einem Level weiterspringen kann, das mich sukzessive näher ans Level der Herren heranbringt. Ich möchte das Damenspringen pushen, möchte einfach die beste Skispringerin werden und damit Kinder und Jugendliche inspirieren.

STANDARD: Haben Sie Vergleiche mit Herren?

Kramer: Ich schaue zu, denn da will ich ja eigentlich hin. Natürlich haben die Herren andere körperliche Voraussetzungen. Aber wenn man die gleiche Luke fährt, den gleichen Anlauf hat und sieht, dass man eigentlich nicht ganz weit weg ist, treibt das schon an. (Sigi Lützow, 13.11.2021)