Es reicht: Ungeimpfte verdienen keine Nachsicht, sagt unser Autor.

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Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat in seiner Ansprache zum Nationalfeiertag das Land aufgefordert, der Spaltung in Geimpfte und Ungeimpfte entgegenzuwirken und "doch das Gute im jeweils anderen" zu sehen.

Das klingt vernünftig, und ich weiß, ich sollte dem folgen. Es gibt unter den Millionen Impfverweigerern viele anständige und liebenswerte Menschen. Aber ich kann derzeit nicht das Gute in ihnen sehen. Verblendet durch irrationale Ängste, ein irregeleitetes Verständnis von Freiheit und bewusste Falschinformationen schaden sie nicht nur sich selbst, sondern auch jenen 5,4 Millionen Menschen in Österreich, die dem Rat der seriösen Fachleute gefolgt sind und sich gegen Covid-19 immunisiert haben. Die anderen machen mich wütend. Ich bin damit nicht allein. Diese Wut ist weitverbreitet, sie ist vielleicht nicht konstruktiv, aber gut nachvollziehbar.

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Das sind Fakten

Es gibt keine stichhaltigen Argumente gegen die Corona-Impfung. Die Technologie wurde bereits milliardenfach erprobt, die Nebenwirkungen sind meist gering und temporär, das Risiko einer schweren Erkrankung viel niedriger als bei einer Covid-Infektion. Vakzine mit einem Totimpfstoff, auf den viele warten, bieten keinerlei Vorteile gegenüber den bereits zugelassenen Vakzinen.

Das sind keine wissenschaftlichen Hypothesen, die hinterfragt werden können. Das sind Fakten, unterstützt von einem breiten Konsens in der Fachwelt. Mediziner, die dies anzweifeln, handeln ebenso unverantwortlich und verlogen wie jene Wissenschafter, die den Klimawandel leugnen.

Keine private Entscheidung

Nun hat jeder Mensch das Recht, Unsinn zu glauben, aber nicht zum Schaden der Gesellschaft. Anders als Impfgegner so gerne behaupten, ist die Impffrage keine private Entscheidung. Wenn sich ein Drittel der Bevölkerung gegen jede Vernunft nicht impfen lässt, leiden die anderen zwei Drittel massiv. In der Ökonomie nennt man dieses Phänomen Externalität – individuelles Verhalten, dessen Kosten auf andere abgewälzt werden. Das gilt für Umweltverschmutzer und Autoraser genauso wie für Impfgegner.

Das liegt einmal an der tatsächlichen Wirksamkeit der Impfstoffe. Diese bieten sehr viel Schutz, aber keinen absoluten. Das tut keine Impfung. Bei diesen neuen Wirkstoffen kommen auch noch Unsicherheiten dazu, die erst nach und nach schlagend werden. So wirken die Vakzine etwas weniger gut gegen die Delta-Variante, so weiß man erst seit kurzem, dass die Zahl der Antikörper nach dem zweiten Stich rascher sinkt als gedacht. Deshalb landen auch immer mehr Geimpfte im Krankenhaus und auf Intensivstationen. Aber auch dafür ist vor allem die niedrige Durchimpfungsrate verantwortlich. Je weniger Menschen insgesamt geimpft sind, desto höher die Gefahr, dass Geimpfte sich anstecken, erkranken und in manchen Fällen sogar sterben.

Verschobene Operationen

Noch schlimmer sind die Folgen der Impfskepsis für das Gesundheitssystem. Die mit Covid-Kranken überfüllten Intensivstationen belasten das Personal und verschlechtern die Versorgung anderer Patienten. Es ist ein Skandal, dass tausende wichtige Operationen wieder verschoben werden müssen, weil Impfgegner auf ihre Freiheit beharren. Und wenn das System kollabiert, dann werden manche Menschen sterben, die sonst gerettet hätten werden können.

Die Antwort darauf kann nicht der Ausbau von Intensivbetten sein, den einige Impfgegner nun fordern. Ja, der Staat sorgt auch für jene, die rauchen, fettleibig sind oder ihre Gesundheit in der Freizeit gefährden. Aber das sind entweder schleichende Risikofaktoren oder Einzelfälle, und auf beides kann sich das Gesundheitssystem ohne hohe Zusatzkosten einstellen.

Bei der Corona-Pandemie ist das anders, die Spitzen einer Welle sind zu hoch. Selbst wenn der Staat Milliarden in neue Intensivbetten stecken wollte, wäre das nötige Personal gar nicht verfügbar. Die Ungeimpften bilden ein Massenphänomen, das die Gesellschaft überfordert. Und welches Recht haben diese Unsolidarischen, von den anderen Solidarität einzufordern?

Angst und Isolation

Und sollte es tatsächlich zu einem Lockdown für alle kommen, weil die Spitäler ansonsten kollabieren, würden auch alle Nichterkrankten leiden. Die psychologischen Schäden durch den erzwungenen Verzicht auf Kultur, Unterhaltung und Geselligkeit, durch Ängste und Isolation sind enorm, vor allem für junge Menschen. Die Kosten für die Wirtschaft wären mehr als nur ein paar Milliarden im Budget. Betriebe würden wieder zugrunde gehen, Menschen ihre Arbeit verlieren. Und die Staatshilfen, die dann wieder fließen müssen, würden die Wirtschaft auf Jahre hinaus belasten.

All das ist die Folge eines Verhaltens, das dem Einzelnen nichts bringt. "So viel Dummheit gehört verboten", hätte man früher gesagt. Allerdings ist eine allgemeine Impfpflicht zwar rechtlich, aber offenbar politisch nicht umsetzbar. Der Vorschlag des Chirurgen und Bioethikers Peter Moeschl in der Wiener Zeitung, von Impfgegnern eine Patientenverfügung zu verlangen, mit der sie im Falle einer Covid-Erkrankung auf eine intensivmedizinische Behandlung verzichten, ist zwar inhaltlich überzeugend, aber in der Praxis noch weniger realistisch.

Ob Lockdowns nur für Ungeimpfte kontrolliert werden können, ist offen; ob sich die Betroffenen dadurch umstimmen lassen, ebenso. Aber das Argument, man dürfe niemanden diskriminieren und sollte die Gesellschaft nicht spalten, gilt nicht. All jene, die sich nicht haben impfen lassen, sind schuld an dieser vierten Welle. Sie verdienen keine Nachsicht, sondern Wut. (Eric Frey, 13.11.2021)