Für Autofahrer ist es die Hölle", schimpft einer der Einwohner von Glasgow über die Klimakonferenz, die gerade in seiner Stadt stattfindet. Es ist aber nicht das Aus von Verbrennungsmotoren in Autos, das am Rande des Klimagipfels diskutiert wird, das ihn ärgert – sondern die Konferenz an sich. Denn ein Teil der schottischen Stadt wurde für das Event zwei Wochen großräumig abgesperrt.

Knapp ein Dutzend teils mehrstöckige, temporäre Gebäude aus Stahl und Glas hat das Gastgeberland Großbritannien rund um den Scottish Event Campus aufgestellt. Riesige Wärmeaggregate sorgen trotz schottischen Novemberwetters für heiße Luft in den Verhandlungsräumen. Betrieben werden sie mit nachhaltigem Treibstoff, das verspricht ein Aufkleber auf dem Tank. Schließlich will man hier den nachhaltigen Lebensstil vorleben – mit wiederverwendbaren Kaffeebechern, fleischarmer (dafür mayonnaisetriefender) Kost und wiederverwendbaren Masken.

Die 26. Klimakonferenz geht zu Ende.
Foto: AFP

In den Gängen tummeln sich so viele Teilnehmer wie noch nie. Rund 40.000 Verhandler, Beobachter, Aktivisten, Lobbyisten und Medienvertreter machen die 26. COP – Conference of the Parties, wie die Klimagipfel im offiziellen UN-Sprech heißen – zur größten aller Zeiten. Es gibt viel nachzuholen, nachdem die sonst seit 1992 im Jahrestakt stattfindende Klimakonferenz 2020 Corona-bedingt ausgefallen war. Inzwischen ist es sechs Jahre her, seit sich 192 Staaten in Paris auf ein wegweisendes Klimaabkommen geeinigt haben. Doch seitdem übertragen die Staaten Jahr für Jahr offene Punkte von der aktuellen To-do-Liste auf die des nächsten Jahres.

Schummeln bei den Emissionen

Dazu gehören einerseits technische Details, etwa in welcher Weise Staaten ihre Emissionen melden müssen. Jeder Experte, der davon wirklich etwas versteht, ist derzeit in Glasgow anwesend. "Wir verhandeln im Grunde, was Staaten in welche Spalte welcher Excel-Tabelle schreiben müssen", sagt ein Verhandler schmunzelnd zum STANDARD. Das klingt zwar etwas nerdig, soll aber verhindern, dass Staaten weiter bei ihren Emissionen schummeln.

Doch in den in der Messehalle aufgezogenen, labyrinthartig anmutenden Verhandlungsräumen geht es auch um knallharte Politik – und vor allem natürlich um Geld. Hier diskutierten dann keine Bürokraten, sondern Minister und ihre Mitarbeiter. Es geht etwa dar um, wie viel Geld der Globale Süden vom Norden bekommen soll, um Klimaschutz und Klimafolgen finanzieren zu können. Ohne die Milliarden könne man die Klimawende nicht schaffen, argumentieren die einen – die Zahlungen würden sich zum Fass ohne Boden auswachsen, die anderen.

Die Klimakonferenz ist eine kleine Stadt in der Stadt. Auf dem langgestreckten Gelände – vom Eingang geht man einige Minuten, bis das Pressezentrum am anderen Ende erreicht ist – gibt es Snack-Ständchen, Arbeitsplätze, Telefonzellen für ein bisschen Ruhe beim Telefonieren. Sicherheitskräfte kontrollieren genau, wer in den Plenarsaal kommt und wer nicht. In der anschließenden Halle befinden sich die Büros der Delegationen, nur ein paar Schritte sind es von dort zur Ausstellung.

Pavillon reiht sich dort an Pavillon, die meisten werden von Staaten unterhalten, manche von Organisationen. Junge Menschen in blauen Jacken erklären Vorbeikommenden die vermeintlichen Vorzüge der Atomenergie. Ein paar Schritte weiter präsentieren die ölreichen Vereinigten Arabischen Emirate, was sie im Kampf gegen den Klimawandel tun – und was sie noch vorhaben. Der brasilianische Stand wieder wird von der dortigen Agrarlobby mitorganisiert. Die Konferenz ähnelt hier mehr einem Branchentreff als einem politischen Gipfel. Manche Beobachter sprechen deshalb sogar von einem Greenwashing-Event. Die Stände sind quasi rund um die Uhr gut gefüllt, Podiumsdiskussion folgt auf Podiumsdiskussion. Nur im pakistanischen Pavillon wurde Donnerstagabend ein Cricket-Spiel übertragen, ausnahmsweise ganz ohne Klimaagenda:_Pakistan spielte.

Diplomatischer Fehltritt

Währenddessen geht es in den Verhandlungszimmern zäh voran. Dass die COP 26, wie ursprünglich geplant, noch am Freitag mit einer gemeinsamen Erklärung endet, hielten Verhandler von Anfang an für unrealistisch. Frühestens in der Nacht auf Samstag, vielleicht sogar erst am Sonntag dürfte das Abschlusspapier stehen. Aber zeitliche Punktlandungen waren Klimakonferenzen ohnedies nie.

Als Bremsklotz, so ist zu hören, erweist sich China. Nicht weil das Reich der Mitte stur auf seinen Punkten beharrt – sondern, so sagt einer, der gut über die Verhandlungen informiert ist, weil auch am Freitag noch niemand wusste, was China beim Klimagipfel in Glasgow überhaupt genau erreichen will. Zu Kompromissen gelangt man damit nicht. Wie soll man Peking entgegenkommen, wenn das Ziel in den Sternen steht? Aber nicht nur China steht auf der Bremse. Vertreter jener Nationen, die bei der Klimakonferenz in Madrid vor zwei Jahren für fossile Energieträger lobbyierten, sind nicht plötzlich als Klimaretter nach Glasgow gereist. Staaten wie Brasilien, Südafrika oder Saudi-Arabien taten viel, um die Absage an Kohle und klimaschädliche Subventionen in der Abschlusserklärung möglichst zu verwässern. Mitte der Woche hieß es sogar, Saudi-Arabien drohe, die Verhandlungen platzen zu lassen. Das sei falsch, hört man aus Verhandlerkreisen. Ein Delegierter Saudi-Arabiens soll einen anderen Delegierten aber angeschrien haben. Ein schwerer Etikettenfehler in der Welt der Diplomatie.

Verwässerte Erklärung

Dass im ersten Entwurf für das Papier Mitte der Woche fossile Energieträger als Ursache für die Erderwärmung angesprochen wurden, verkauften einige bereits als großen Schritt. Das stand bisher in keinem Abschlusspapier einer Klimakonferenz. Dass die britischen Veranstalter neben dem Kohleausstieg auch den Abbau von Subventionen in den Entwurf geschrieben haben, bezeichneten Beobachter sogar als "mutig". Ein neuer Textentwurf am Freitag sprach nur noch vom Ende "ineffizienter" Subventionen. Statt des raschen Ausstiegs aus Kohle sieht das neue Papier nur die Abschaltung von Kraftwerken, deren CO2-Ausstoß nicht gebunden wird, vor. Ein britischer Ausrichter soll die COP 26 schon vor Abschluss als Erfolg bewertet haben, weil erstmals anerkannt wurde, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt.

Am Freitagabend war weiter Bewegung in den Gesprächen, Ausgang offen. Ob Verhandler, Delegierte oder Journalisten: Die bis Freitag gebuchten Hotelzimmer wurden verlängert. Glasgows Autofahrer müssen sich noch den einen oder anderen Tag gedulden. (Philip Pramer und Aloysius Widmann aus Glasgow, 13.11.2021)