Geschätzte 2000 Flüchtlinge befinden sich aktuell im belarussischen Grenzgebiet zu Polen.

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Bialystok/Grodno/Vilnius – Der russische Präsident Wladimir Putin hat eine Beteiligung Moskaus am Flüchtlings-Konflikt an der belarussisch-polnischen Grenze bestritten. "Ich möchte, dass es alle wissen. Wir haben nichts damit zu tun", sagte Putin in einem am Samstag vom staatlichen Rundfunksender "Rossija 1" ausgestrahlten Interview. Unterdessen erklärte die polnische Polizei, dass in der Nähe der Grenze die Leiche eines syrischen Flüchtlings entdeckt worden sei.

Putin hofft nun auf einen direkten Dialog zwischen Deutschland und Belarus. "Ich habe es aus Gesprächen mit Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko und Kanzlerin Merkel so verstanden, dass sie bereit sind, miteinander zu sprechen", sagte Putin in der Sendung "Westi". Er hoffe, das es dazu bald komme.

Neben politischen und militärischen Ursachen sprach der russische Präsident auch von wirtschaftlichen Gründen, die Menschen insbesondere nach Deutschland streben lassen. "Soweit ich verstanden habe, sind dort Sozialleistungen für Migranten sehr hoch", sagte er. Warum im Nahen Osten leben und arbeiten, wenn man um eine Größenordnung weniger verdiene als ein nicht arbeitender Migrant mit Sozialleistungen in Deutschland, führte er aus.

Ungeplante militärische Übungen der USA und ihrer NATO-Verbündeten in der Schwarzmeerregion bezeichnete der russische Präsident im selben Interview als "ernste Herausforderung". Er habe jedoch einen Vorschlag des russischen Verteidigungsministeriums abgelehnt, in der Region ebenso ungeplante Übungen abzuhalten. "Es gibt keine Notwendigkeit für eine weitere Zuspitzung der Lage", erklärte er. Deshalb würde sich das Verteidigungsministerium auf das Eskortieren von Flugzeugen und Schiffen (der NATO, Anm.) beschränken.

Ein Toter im Grenzgebiet

Polen und weitere westliche Länder hatten Moskau zuvor beschuldigt, Minsk dabei unterstützt zu haben, Migranten an die EU-Außengrenze zu schleusen. Tausende Menschen vor allem aus dem Nahen Osten sitzen dort derzeit bei Temperaturen um den Gefrierpunkt fest. Zehn Menschen kamen laut einem Bericht der polnischen Zeitung "Gazeta Wyborcza" in den vergangenen Monaten im Grenzgebiet bereits ums Leben.

Die polnische Polizei meldete am Samstag einen weiteren Todesfall. "Die Leiche eines jungen Mannes syrischer Nationalität wurde gestern in einem Wald bei Wolka Terechowska entdeckt", erklärte die Behörde. Die Todesursache habe vor Ort nicht festgestellt werden können.

Etwa hundert Menschen hätten in der Nacht erneut versucht, die Grenze zu überwinden, teilte die Polizei weiter mit. Beim Anblick von Polizei und Soldaten seien die Menschen aber auf belarussischer Seite in den Wald geflohen.

Polen rüstet auf

Die EU beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, als Vergeltung für Sanktionen Migranten gezielt an die Grenzen der EU-Staaten Lettland, Litauen und Polen zu schleusen. Bei einer Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats hatten die USA und die europäischen Mitglieder des Gremiums der belarussischen Regierung am Donnerstag eine "orchestrierte Instrumentalisierung von Menschen" und eine Destabilisierung der EU-Außengrenzen vorgeworfen.

Polen hat wegen des Andrangs 15.000 Soldaten in dem Gebiet stationiert und einen Zaun aus Stacheldraht errichtet. Belarus und das verbündete Russland gaben am Freitag gemeinsame Militärübungen in der belarussischen Region Grodno nahe der polnischen Grenze bekannt.

Hilfe wird offenbar zugelassen

Indes ordnete Lukaschenko humanitäre Hilfe vor allem für die Kinder der im Grenzgebiet zu Polen gestrandeten Migranten an. Es sollten etwa Essenszelte aufgestellt werden, meldete die belarussische staatliche Nachrichtenagentur BelTA am Samstag. Der oppositionelle belarussische Telegram-Kanal Nexta veröffentlichte indes Videos, auf denen zu sehen sein soll, wie belarussische Sicherheitskräfte in die Luft schießen, um Migranten einzuschüchtern. Unter den Menschen seien auch Kinder, "um die sich die staatlichen Propagandisten angeblich so sorgen", hieß es. Weil unabhängige Journalisten nicht ins Grenzgebiet gelassen werden, können solche Angaben derzeit nicht überprüft werden. (APA, 13.11.2021)