Die neue Grazer Führungsriege (v. li.): Vize-Bürgermeisterin Judith Schwentner (Grüne), Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) und SPÖ-Stadtobmann Michael Ehmann

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Graz – Am kommenden Mittwoch wird KPÖ-Chefin Elke Kahr zur neuen Bürgermeisterin von Graz gewählt. Das steht nach den Sitzungen der Parteigremien von KPÖ, Grünen und SPÖ am Freitagabend fest. Alle drei Fraktionen haben der geplanten Zusammenarbeit zugestimmt – KPÖ und Grüne einstimmig, der erweiterte Parteivorstand der SPÖ mit 82 Prozent Zustimmung. Am Samstagmittag präsentierten die neuen Partnerinnen ihr insgesamt 21 Punkte umfassendes Programm unter dem Titel "Gemeinsam für ein neues Graz".

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Das detaillierte Regierungsprogramm der neuen Grazer Dreierkoalition aus KPÖ, Grünen und SPÖ.
Grazer Koalitionsregierung

An der Spitze der steirischen Landeshauptstadt werden künftig mit Elke Kahr (KPÖ) und Vizebürgermeisterin Judith Schwentner (Grüne) zwei Frauen stehen. Die Ressorts werden nach dem Proporzsystem auf eine siebenköpfige Stadtregierung aufgeteilt, was dazu führt, dass zwar die ehemaligen Regierungsparteien ÖVP und FPÖ mit Aufgaben betraut werden, nicht aber die nunmehr mit-koalierende SPÖ. Sie erhält dafür den Vorsitz in vier Gemeinderatsausschüssen und die Zusage, dass Kernforderungen wie günstigere Kindergartenplätze umgesetzt werden.

KPÖ will Graz in lebenswertere Zukunft führen

Das präsentierte Programm soll in Graz einen Paradigmenwechsel einläuten, wie Kahr erklärte. Die Philosophie dahinter laute, "Solidarität und Zusammenhalt leben". Unter KPÖ, Grünen und SPÖ soll die steirische Landeshauptstadt "sozial, klimafreundlich und demokratisch-transparent" geführt werden. Dies gleicht eine Absage an den Stil der bisher regierenden ÖVP-FPÖ-Führung, die bei den vergangenen Kommunalwahlen eine empfindliche Niederlage einfuhren.

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Konkret lässt sich dieser neue Stil schon von der Ressortaufteilung ablesen. Bürgermeisterin Kahr sicherte sich wieder die für die KPÖ wichtigen Wohnungsagenden. Auch das Sozialamt und die Magistratsdirektion werden zur Chefinnnensache. Insgesamt wolle man den Fokus auf Arbeitende, Gleichberechtigung sowie Umwelt legen, sagte Kahr.

Sozialpolitik im gemeinsamen Fokus

Als Bürgermeisterin gehe sie die neuen Herausforderungen mit Optimismus an, erklärte die kommunistische Stadtchefin. Im Fokus ihrer Politik werden "die arbeitenden Menschen" stehen. Zugleich versicherte Kahr, "auf niemanden vergessen" zu wollen. Konkret nannte sie den Ausbau und die Beschaffung von neuen Gemeindewohnungen als vorrangiges Ziel. Zudem werde sie für Verbesserungen und Ausbau der Wohnungsbeihilfen sorgen, indem etwa der Kautionsfonds aufgestockt werde. Auch der Bezieherinnenkreis werde erweitert, kündigte Kahr an.

Darüber hinaus will die neue Bürgermeisterin konkrete Maßnahmen gegen die Teuerungen umsetzen und nannte Vergünstigungen beim öffentlichen Verkehr als einen ersten Schritt dazu. Die SPÖ-Forderung nach Senkung der Kindergartenbeiträge zählte sie ebenfalls auf. Insgesamt sollen die Hilfen der Stadt "rascher und unbürokratischer" werden. Dazu will Kahr mehr Personal in der Verwaltung einstellen und zugleich dessen Kompetenzen erweitern.

Drei kommunistische Regierungsmitglieder

Neben der Bürgermeisterin selbst wird die KPÖ noch zwei weitere Posten in der Regierung besetzen. Unter kommunistische Kontrolle kommen die Finanz- und Vermögensdirektion, das Personalamt, das Gesundheitsressort sowie die Bereiche Integration und Bildung. Dazu wird Manfred Eber neuer KPÖ-Stadtrat, Robert Krotzer hatte bereits zuvor für die Kommunisten die Gesundheitsagenden über.

Neben all diesen Vorhaben will die KPÖ-geführte Koalition auch einen ausgeglichenen Haushalt anstreben. Der Weg dorthin wurde bereits recht konkret skizziert: am 15. März 2022 steht der Kassasturz an, dann werde man Klarheit über die aktuelle Budgetsituation erhalten. Bis Juni 2022 soll dann das Budget für die nächsten zwei Jahre stehen.

Grüne Verkehrspolitik, um Graz zu verändern

Kahrs grüne Stellvertreterin Judith Schwentner wird sich künftig um den Verkehr in Graz kümmern und kündigte umfangreiche Veränderungen an. Unter dem Motto "für jedes Kind ein Fahrrad" will sie dafür sorgen, dass urbane Mobilität auch den Jüngsten gefahrlos und niederschwellig ermöglicht wird. Außerdem will Schwentner den Umbau des Grießplatzes vorantreiben, was für mehr Lebensqualität in einem der bevölkerungsreichsten Bezirke sorgen werde.

Außerdem kündigte die neue Vizebürgermeisterin an, die Grazer Innenstadt langfristig und sukzessive zur autofreien Zone umzugestalten und insgesamt mehr Grün – mit dem Slogan jeden Tag ein Baum" – in die Stadt zu bringen. Schwentner konnte sich den einen oder anderen Seitenhieb auf die Vorgänger-Regierung nicht verkneifen. So werde sich die neue Koalition "keine Denkmäler und Prestigeobjekte bauen" und mit überarbeiteten Instrumenten in der Stadtplanung wolle man dafür sorgen, dass die Bautätigkeit in Graz "wieder nachvollziehbarer wird".

SPÖ erhält kein Ressort, unterstützt aber die Koalition

Die Grazer Sozialdemokraten unter Führung von Michael Ehmann haben dem Koalitions-Bündnis zugestimmt, obwohl sie wegen der Proporzregelung kein eigenes Regierungsamt erhalten. Sie werden dafür Punkte aus ihrem Parteiprogramm, wie etwa die genannten günstigere Kindergartentarife, umsetzen können und sie erhalten den Vorsitz in insgesamt vier Gemeinderatsausschüssen. Zudem erhält die SPÖ gewichtige Mitspracherechte in Sachen Reform der Holding Graz und der Beteiligungen der Stadt.

Ehmann erklärte die Zustimmung seiner Partei zur Koalition damit, dass man nach fünf Jahren auf der Oppositionsbank nun lieber mitgestalten wolle. Das vorgelegte Koalitionsprogramm enthalte "sehr viele sozialdemokratische Themen". Konkret nannte er dabei die geplante sozialrechtliche Absicherung pflegender Angehöriger sowie die Leerstandserhebung mitsamt begleitender Maßnahmen. Ehmann verwies in dem Zusammenhang auf ein Credo der neuen Koalition, das als Kampfansage an Immobilieninvestoren gedeutet werden kann: "Wohnungen sind zum Wohnen, nicht zum Geldverdienen."

ÖVP, dank Proporz in Regierung, übt heftige Kritik

Für die abgewählte ÖVP sollen Kurt Hohensinner und Günther Riegler die Ressorts Wirtschaft und Tourismus, das Kultur- sowie Sportamt und das Amt für Jugend und Familie leiten. Die Bau- und Anlagenbehörde wandert jedoch zu den Kommunisten. Diese Zuständigkeit war bis zuletzt offen geblieben. Dass man sie der ÖVP entzieht darf als Absage an deren bisherige, als gigantomanisch kritisierte Baupolitik verstanden werden. Ex-Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) war mit seinen überdimensionierten Projekt-Ideen – Stichwort U-Bahn für Graz oder Murkraftwerk– in die Kritik geraten.

Von Seiten der Volkspartei gab es am Samstag postwendend heftige Kritik an der neuen Links-Koalition. Hohensinner, der den scheidenden Nagl in der Position des VP-Chefs beerbte, nannte das vorgelegte Koalitionsabkommen "ein Programm zwischen Ideenlosigkeit, Mutlosigkeit und Gesellschaftsspaltung", wie die Kleine Zeitung berichtet. Schon am Tag der Präsentation sei die Linkskoalition eine Koalition der gebrochenen Versprechen mit "vagen Absichtserklärungen". Das "neue Kapitel" für Graz bringe nicht mehr Miteinander, sondern mehr Gegeneinander: Autos gegen Fußgänger, Mieter gegen Eigentümer, Unternehmer gegen Arbeiter und Angestellte, so der ÖVP-Chef.

FPÖ noch mitten im Finanzskandal

Die Grazer Freiheitlichen, die derzeit von einem Finanzskandal in ihren Grundfesten erschüttert werden, sind künftig für Tierschutz und Meldewesen zuständig. Man habe bis zuletzt mit der Ressortzuteilung an die FPÖ zuwarten müssen, erklärte Kahr, weil nicht klar gewesen sei, welche Person dort für die Position vorgeschlagen werde. Da die Aufklärung des Finanzskandals noch im Gange ist, wollte man wohl vermeiden, hier potentiell straffällige FPÖ-Politiker mit Regierungsverantwortung zu betrauen.

Am kommenden Mittwoch wird sich der neue Grazer Gemeinderat konstituieren und die beiden Frauen an der Stadtspitze bestätigen. Die KPÖ erhielt bei den vergangenen Wahlen 28,8 Prozent der Stimmen, die ÖVP 25,9 Prozent, die Grünen 17,3 Prozent, die FPÖ 10,6 Prozent, die SPÖ 9,5 Prozent und die Neos 5,4 Prozent. (Steffen Arora, 13.11.2021)