Polen bewacht seine Grenze zu Belarus mit Militär.

Foto: EPA / IREK DOROZANSKI / POLISH TERRITORIAL DEFENCE FORCE / HANDOUT

Bialystok/Grodno/Vilnius – Ein polnischer Soldat ist am Samstag an der Grenze zu Belarus versehentlich durch den Schuss aus einer Waffe eines anderen Soldaten getötet worden. Dies teilte der Sprecher der polnischen Sicherheitskräfte am Samstagabend auf Twitter mit, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete.

"Nach vorläufigen Erkenntnissen gab es einen Schuss aus einer Dienstwaffe, in dessen Folge der Soldat starb, und es waren keine Dritten an dem Ereignis beteiligt", heißt es in einer Erklärung des Kommandanten der Einheit des Soldaten, die von seinem Sprecher Stanislaw Zaryn auf Twitter veröffentlicht wurde.

Tausende harren weiter aus

Der Schuss ereignet sich in der Grenzregion, in der die Situation am Samstag angespannt blieb. Weiterhin harren auf der belarussischen Seite der Grenze Tausende Menschen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt auf der belarussischen Seite in provisorischen Camps im Wald aus. Zudem versuchten wieder Gruppen von Menschen in der Nacht auf Samstag, die Sperranlage zu durchbrechen und illegal die Grenze zu Polen zu überqueren. Polens Verteidigungsministerium berichtete über verstärkte Bewegung belarussischer Sicherheitskräfte in der Nähe des Grenzorte Kuźnica.

Wegen der Krise an der Grenze hatten Russlands Präsident Wladimir Putin und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mehrfach miteinander telefoniert. Dabei bat die Kanzlerin den Kremlchef um ein Eingreifen in den Konflikt. Später hatte der Kreml mitgeteilt, dass Moskau sich um eine Lösung bemühen wolle. Am Samstag sagte Putin in einem Interview, das am Samstag im russischen Staatsfernsehen ausgestrahlt wurde, dass Merkel und der diktatorische Staatschef von Belarus, Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko, bereit seien miteinander zu sprechen.

EU sieht Lukaschenko hinter Eskalation

Zu Putins Vorschlag eines Gesprächs zwischen Merkel und Lukaschenko sagte ein Sprecher der deutschen Bundesregierung: "Über Telefonate informieren wir grundsätzlich, nachdem sie stattgefunden haben."

Die EU wirft dem oft als "letzten Diktator Europas" kritisierten Lukaschenko vor, gezielt Menschen aus Krisengebieten einfliegen zu lassen und weiter in Richtung Polen zu schleusen. Vermutet wird, dass der 67-Jährige sich so für Sanktionen rächen und den Westen zum Dialog zwingen will.

Putin will nichts mit Konflikt zu tun haben

Putin sagte mit Blick auf Drohungen aus Minsk, er hoffe, dass Lukaschenko in dem Konflikt mit dem Westen nicht den Gastransit einstelle. Er habe zweimal mit Lukaschenko gesprochen. "Er hat das nicht einmal erwähnt. Aber er kann das tun. Aber das führt zu nichts Gutem, und ich spreche natürlich mit ihm über das Thema", sagte Putin. Ein Stopp des Transits wäre auch eine Verletzung der Vereinbarungen zwischen Russland und Belarus. "Ich hoffe, dass es dazu nicht kommt", so Putin. Lukaschenko hatte vor einigen Tagen damit gedroht, den Gastransit durch die Jamal-Europa-Leitung einzustellen.

Russland hat dem Kreml zufolge nichts mit der Krise in der Grenzregion zu tun. Keine russische Fluggesellschaft sei daran beteiligt, "diese Leute zu transportieren", sagte Putin. Zugleich warf er dem polnischen Grenzschutz "inhumanes Handeln" vor. Nach Angaben von Putin kommt es jetzt dazu, dass "polnische Grenzschützer und Vertreter der Streitkräfte diese potenziellen Migranten schlagen, über ihren Köpfen aus Kampfwaffen in die Luft schießen, nachts Sirenen und Licht anschalten an den Aufenthaltspunkten, wo Kinder und Frauen in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft sind".

Weitere Leiche im Grenzgebiet

Diese Angaben, wie auch die der polnischen und belarussischen Sicherheitskräfte, lassen sich nicht unabhängig überprüfen, da Polen in der Grenzregion den Ausnahmezustand verhängt hat. Journalistinnen und Journalisten und Helfer dürfen nicht hinein. Das gilt auch für das Grenzgebiet auf belarussischer Seite.

Putin erklärte zudem, dass sich westliche Sicherheitsorgane und Geheimdienste um Schleusernetzwerke kümmern sollten, die in Europa agierten.

In Polens Grenzgebiet fand die Polizei eine weitere Leiche. Bei dem Toten handle es sich um einen 20 Jahre alten Mann aus Syrien, sagte ein Sprecher der Polizei in der Woiwodschaft Podlachien am Samstag der Nachrichtenagentur PAP. Demnach wurde die Leiche von einem Forstarbeiter in einem Waldstück nahe des Dorfes Wólka Terechowska entdeckt. Der Tote habe einen syrischen Pass bei sich gehabt. Eine gerichtsmedizinische Untersuchung soll Aufschluss über die Todesursache geben. In dem Grenzgebiet sind schon mehrere Menschen gestorben.

Bewaffnete Kräfte an Grenze

Zudem versuchte in der Nacht auf Samstag eine Gruppe von hundert Menschen bei Wólka Terechowska vergeblich, die Grenze zu durchbrechen. Die Gruppe sei von belarussischer Seite mit Tränengas ausgestattet worden und habe dieses gegen polnische Sicherheitskräfte eingesetzt, teilte Polens Grenzschutz per Twitter mit. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Warschau schickt Belarus immer mehr bewaffnete Sicherheitskräfte an die Grenze. Das Ministerium veröffentlichte auf Twitter Videoaufnahmen, die in der Nähe des Grenzortes Kuźnica entstanden sein sollen. Sie zeigen Dutzende von Uniformierten in Tarnanzügen, die entlang der polnischen Grenzbefestigung entlangmarschieren.

Lukaschenko ordnete humanitäre Hilfe vor allem für die Kinder der im Grenzgebiet zu Polen gestrandeten Migranten an. Es sollten etwa Essenszelte aufgestellt werden, meldete die belarussische staatliche Nachrichtenagentur Belta am Samstag. Später veröffentlichte Belta Fotos von Stromgeneratoren, die ins Grenzgebiet gebracht worden sein sollen. Mehrere Menschen drängten sich darum und luden ihre Handys auf.

Syrische Airline stellt Flüge ein

Der oppositionelle belarussische Telegram-Kanal Nexta hingegen veröffentlichte Videos, auf denen zu sehen sein soll, wie belarussische Sicherheitskräfte in die Luft schießen, um Migranten einzuschüchtern. Unter den Menschen seien auch Kinder, "um die sich die staatlichen Propagandisten angeblich so sorgen", hieß es. Weil auch auf der belarussischen Seite unabhängige Journalisten nicht ins Grenzgebiet gelassen werden, können die Angaben derzeit nicht überprüft werden.

Am Abend teilte die syrische Airline Cham Wings auf Twitter mit, Flüge in die belarussische Hauptstadt Minsk einzustellen. Es sei zu schwierig, zwischen Passagieren zu unterscheiden, die tatsächlich nach Belarus wollten und solchen, die von dort weiterziehen wollten, hieß es. Nach Sanktionsdrohungen der EU hatte zuvor schon die Türkei entschieden, Staatsbürger mehrerer arabischer Länder nicht mehr von ihrem Staatsgebiet aus nach Belarus fliegen zu lassen. (APA, 13.11.2021)