Die Kronzeugenregelung im Wettbewerbs- und Kartellrecht könnte Vorbild für das Strafrecht sein, finden die Rechtsanwälte Stefan Prochaska und Astrid Ablasser-Neuhuber.

Foto: Regine Hendrich

Wer als Kronzeuge mit der Staatsanwaltschaft kooperiert, darf darauf hoffen, dass das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. In der Praxis spielt die Regelung bislang aber kaum eine Rolle, seit 2016 kam sie nur 15-mal zum Tragen. Damit sich das ändert, bräuchte es spürbare Reformen, sagen Stefan Prochaska, Strafverteidiger des ersten Kronzeugen Österreichs, und Astrid Ablasser-Neuhuber, Anwältin für Kartellrecht.

STANDARD: Herr Prochaska, Sie haben im Zuge der Telekom-Affäre im Jahr 2012 den ersten Kronzeugen Österreichs vertreten. Seither ist viel Zeit vergangen, in Sachen Kronzeugenregelung hat sich aber wenig getan. Warum hat die Regelung in der Praxis kaum Bedeutung?

Prochaska: Die Regelung, die wir in Österreich derzeit haben, ist praxisfremd. Täter kommen nur dann als Kronzeugen infrage, wenn sie noch nicht als Beschuldigte einvernommen wurden. Menschen bewegen sich jedoch erst dann, wenn sie Druck spüren. Niemand, der letztlich nicht doch davon ausgeht, dass er erwischt werden könnte, sagt freiwillig als Kronzeuge aus. In der Praxis ist es daher oft schon zu spät.

STANDARD: Auch im Wettbewerbs- und Kartellrecht gibt es eine Kronzeugenregelung. Dort scheint sie aber deutlich besser zu funktionieren. Stimmt dieser Eindruck?

Ablasser-Neuhuber: Der Eindruck stimmt zu 100 Prozent. Wir haben im Kartellrecht ein hervorragendes Anreizsystem. Man kommt auch dann noch als Kronzeuge infrage, wenn zum Beispiel schon eine Hausdurchsuchung stattgefunden hat. Die Entscheidung, als Kronzeuge auszusagen, ist sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen enorm schwierig. Es braucht daher früh Rechtssicherheit. Die Behörden, die damit zu tun haben, haben das bereits sehr gut verstanden, die Gesetze hinken allerdings hinterher. Das ist das eigentliche Problem.

STANDARD: Die Regierung will die bestehende Kronzeugenregelung im Strafrecht ohne große Änderungen um weitere sieben Jahre verlängern. Ist das eine gute Idee?

Prochaska: Wenn Justizministerin Alma Zadić meint, dass die Kronzeugenregelung ein wichtiges Instrument ist und man sie deshalb in der gegebenen Form verlängern soll, dann hat sie sich offensichtlich nicht damit befasst. Die derzeitige Regelung wird kaum genutzt, deshalb kann man auch nicht sagen, dass sie ein Erfolg ist. Das Thema wird von der Politik offenbar nicht ernst genommen.

STANDARD: Die einzige Änderung im Strafrecht ist, dass sich Kronzeugen künftig nicht nur an die Staatsanwaltschaft, sondern auch an die Polizei wenden können. Wird das in der Praxis etwas ändern?

Prochaska: In Einzelfällen schon. Aber großen Unterschied macht das keinen.

STANDARD: Auch im Kartellrecht gibt es Änderungen. Mitarbeiter eines Unternehmens, das die Kronzeugenregelung in Anspruch nimmt, sollen nur mehr dann davon profitieren, wenn sie zur Aufklärung der Tat beitragen. Macht das Sinn?

Ablasser-Neuhuber: Man hat versucht, einen Punkt aufzugreifen, bei dem es Verbesserungsbedarf gibt. Das ist aber leider nicht gelungen. Im Kartellrecht ist der zentrale Akteur das Unternehmen. Der einzelne Beitrag bestimmter Mitarbeiter ist zwar ebenfalls zu berücksichtigen, aber nur im Rahmen dessen, was dieser einzelne Mitarbeiter überhaupt weiß. Nach dem aktuellen Entwurf könnten im schlimmsten Fall verschiedene Mitarbeiter gegeneinander ausgespielt werden. Die, die aufgrund ihrer Position zum Beispiel als Geschäftsführer oder Vertriebsleiter viel wissen, würden in den Genuss der Regelung kommen, andere aber nicht. Das war sicher nicht die Intention, aber die Formulierung ist schiefgegangen. Dazu kommt, dass ein ausdrücklicher Verweis darauf, dass auch die Unternehmen selbst von der Kronzeugenregelung im Strafrecht profitieren, nicht enthalten ist. Die Rechtssicherheit fehlt, die braucht es aber unbedingt.

Prochaska: Man kann zusammenfassen: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

STANDARD: Was müsste man an der Kronzeugenregelung ändern, damit sie auch im Strafrecht in der Praxis besser funktioniert?

Prochaska: Es sollte später im Verfahren, wenn schon bestimmte Ermittlungsmaßnahmen gesetzt wurden, noch die Möglichkeit geben, einen Antrag zu stellen. Auch Staatsanwälte sollten die Kronzeugenregelung vorschlagen und den Beschuldigten Deals anbieten dürfen. Es braucht zudem Fristen, damit Kronzeugen schneller wissen, ob ihnen der Status zuerkannt wird.

Ablasser-Neuhuber: Im Kartellrecht hat nicht nur der Erste, sondern auch der Zweite oder Dritte, der auspackt, die Chance, seine Strafe zu reduzieren. Ich glaube, dass das enorm zur Effizienz der Aufklärung beiträgt. Das wäre auch eine Idee für das Strafrecht. (Jakob Pflügl, 15.11.2021)