Über Jahre war die jährliche Gedenkveranstaltung am Grab des NS-Fliegers Walter Nowotny eine der zentralen Veranstaltungen der rechtsextremen Szene, bei der sich namhafte FPÖ-Politiker gemeinsam mit Neonazis und anderen Rechtextremen am Wiener Zentralfriedhof versammelten.

Dieses Jahr gab es allerdings gleich zwei Veranstaltungen am Grabmal des NSDAP-Mitglieds und Wehrmachtspiloten, der von den Nazis als einer ihrer großen Helden inszeniert wurde.

Der Grabstein von Walter Nowotny wurde beschädigt und sieht deswegen aus, wie er aussieht.
Foto: Markus Sulzbacher

Am 1. November trafen sich über ein Dutzend Neonazis am Nowotny-Grab und hinterlegten einen Kranz des "Nationalen Widerstands", wie auf der Trauerschleife zu lesen war. Eine Woche später lud der "Verein zur Pflege des Grabes Walter Nowotny" auf den Zentralfriedhof zu seiner Gedenkveranstaltung. Schließlich lauschten am 7. November rund 20 Personen der Rede des FPÖ-Politikers Johann Herzog, der bis in das Jahr 2020 zweiter Präsident des Wiener Landtags war, aktuell für die Freiheitliche Akademie Wien tätig und seit Jahren im Vorstand des Nowotny-Vereins zu finden ist.

Dieses Jahr war unter den Anwesenden, die teilweise uniformiert und mit militärischen Orden und Abzeichen erschienen, eine Abordnung des Kameradschaftsbundes Mistelbach, der einstigen Heimatgemeinde Nowotnys. Zusätzlich tauchten Aktivisten der weit rechts angesiedelten Kameradschaft Prinz Eugen aus Perchtoldsdorf auf. Verglichen mit früheren Jahren war es eine eher kleine Veranstaltung.

FPÖ-Politiker Johann Herzog beim diesjährigen Nowotny-Gedenken.
Foto: Markus Sulzbacher

Der Auftritt freiheitlicher Politiker bei dem Gedenken hat in der Vergangenheit immer wieder für scharfe Kritik gesorgt. Schließlich war Nowotny ein "eindeutiger Anhänger der NS-Ideologie", wie der ehemalige Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) festhielt. Nowotny soll im Zweiten Weltkrieg über 450 alliierte Flugzeuge abgeschossen haben, was ihm Orden, Propagandaauftritte, eine Audienz bei Adolf Hitler und – nach einem tödlichen Flugzeugabsturz im Jahr 1944 – das Ehrengrab einbrachte. Mit den Stimmen von SPÖ und Grünen wurde im Jahr 2003, nach jahrelangen Diskussionen im Wiener Gemeinderat, die Aberkennung des Ehrengrabes beschlossen. Seither übernimmt der "Verein zur Pflege des Grabes" anfallende Kosten.

Gottfried Küssel und weitere Aktivisten

Ein junger Mann aus dem Neonazimilieu hat dieses Jahr beide Veranstaltungen besucht. Er war auch dabei, als der "Nationale Widerstand" am Zentralfriedhof aufmarschierte. Darunter Gottfried Küssel und weitere Aktivisten und Aktivistinnen, die sich teilweise seit Jahrzehnten in der Neonaziszene tummeln. Wie etwa Franz R., der auch in einem Posting auf seiner Facebookseite das Zerwürfnis mit dem "FPÖ-nahen Grabpflegeverein" zum Thema machte. Dieser habe sich nämlich "ungefragt und vermutlich auch unüberlegt der Grabstätte" angenommen habe, "um Spenden zu sammeln, das Gedenken zu vereinnahmen und die eigenen Anhänger zu blenden", so R.

Vor Jahren noch undenkbar

Der Aufmarsch am Grab von Walter Nowotny zeigt, dass die Szene Rückenwind verspürt. Sie tritt öffentlich und selbstbewusst in Erscheinung. Der Gruppe, deren harter Kern aus rund 35 Personen besteht, ist es gelungen, sich als Teil der Protestbewegung gegen die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Pandemie zu etablieren. Sie werden auf den Demonstrationen, die maßgeblich von dem Aktivisten Martin Rutter organisiert werden, als Teil des "Widerstands" betrachtet.

Zusätzlich führen sie unter dem Dach der "Corona-Querfront" regelmäßig selbst Demonstrationen in der burgenländischen Landeshauptstadt Eisenstadt durch, bei der unter anderen Gottfried Küssel Reden hält. Ein Szenario, das vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Inhaltlich unterscheidet sich die "Corona-Querfront" kaum von anderen Gruppierungen, die bei den Corona-Protesten mitmischen. NS-Propaganda oder offener Antisemitismus war bei ihren Veranstaltungen bisher nicht auszumachen.

Im Netz tritt die Gruppe unter verschieden Namen auf. Vier Telegram-Channels können ihr zugerechnet werden. Auf drei dieser Channels finden sich neben unverhohlenem Antisemitismus auch Hetze gegen "Antifa-Lesben", Werbung für Kampfsport und Videos davon, wie vermummte Neonazis mitten in der Nacht antifaschistische Graffiti übermalen. Mit diesen Videos wollen sie jüngere Rechtextreme ansprechen, die auf "Action" aus sind, und sich als Alternative zu den Identitären präsentieren. Die Identitären rund um Martin Sellner, der einst mit Küssel gemeinsam an einem Nowotny-Gedenken teilnahm, werden als Konkurrenz gesehen, die viel zu lasch agiere und weltanschaulich einen zu soften Kurs verfolge. Selbst setzt die "Corona-Querfront" auf das 25-Punkte-Programm der NSDAP.

Drohungen im Netz

Aktuell wird auf ihrem Telegram-Channel "Unwiderstehlich" gegen Aktivisten und Aktivistinnen Stimmung gemacht, die sich anlässlich des Jahrestages der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 für die Umbenennung von Straßennamen in Wien stark machen, da diese nach Antisemiten oder ehemaligen Nazis benannt sind.

In Wien wurden im Verlauf des Pogroms, der mehrere Tage dauerte, über 40 Synagogen und Bethäuser in Brand gesteckt und verwüstet. Tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden geplündert, zerstört und beschlagnahmt. Insgesamt 6.547 Wiener Juden kamen in Haft, knapp 4.000 davon in das KZ Dachau. Wie viele von NS-Kommandos ums Leben gebracht wurden, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Es wird geschätzt, dass 22 Menschen in den Pogromtagen getötet wurden, sechs Mordopfer sind amtlich nachweisbar.

Im Telegram-Beitrag von Unwiderstehlich werden zwei Geschwister, die bei den "Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen" aktiv sind und für die Umbenennung der Straßennamen eintreten, als Feinde markiert – mit dem Hinweis: "Namen, die man sich merken wird müssen". (Markus Sulzbacher, 15. 11.2021)