Feiern, bis der Arzt kommt: So ein Leben führt Vernon Subutex (Bildmitte) seit Jahren. Anders als viele seiner Freunde hält er daran fest – derzeit auf HD Austria.

Foto: HD Austria / Canal plus

Klopfen an der Tür. Heftiges Klopfen an der Tür. Schlüssel, der sich umdreht. "Sind Sie Monsieur Subutex?" Dieser antwortet mit einem Witz: "Sie sind ganz offensichtlich Zeugen Jehovas. Ich brauche keine Bibel." Keine Sekte, keine Bibel, sondern Gerichtsvollzieher. 16 Monate ist Monsieur Subutex mit der Miete im Rückstand, rechnen die Beamten dem Ungläubigen vor. Macht 13.440 Euro. Delogierung. Wann? Jetzt.

Nächster Halt: Busstation. "Ich bin ein Loser, aber ich bin ein freier Loser", sagt Vernon Subutex (Romain Duris) zu einer ebenfalls wartenden und genervt wirkenden Passantin. Aber der Loser kann etwas: "Ich weiß, welche Musik zu dir passt", sagt der kleine, bärtige Mann mit frechem Grinsen und setzt der Dame seine Kopfhörer auf. Die schaut erst skeptisch, dann hört sie zu. Ihr Blick wird freundlich, sie beginnt mitzuwippen. Beim Abschied winkt sie. 15 Minuten ist die Serie Vernon Subutex da alt – und schon kann nichts mehr schiefgehen. Die neun Folgen von Canal plus sind neu im Angebot der österreichischen Satelliten- und Internet-TV-Plattform HD Austria abrufbar.

"Mister Revolver"

Frei nach dem Motto "Was hat sie bloß so ruiniert?" driftet Vernon Subutex, früherer Inhaber des Plattenladens Revolver, durch die Pariser Gesellschaft der Gegenwart. Den Plattenladen gibt’s längst nicht mehr, das ausschweifende Leben von früher will aber beibehalten werden. Auf der Suche nach Schlafplätzen landet der Delogierte in den Stationen der Vergangenheit und prallt dabei mit jetzigen Verhältnissen zusammen. Frontal, wieder und wieder. Zum Beispiel mit Alex Bleach (Athaya Mokonzi), einem charismatischen Popstar, Held der alten Schule. Partys, Rausch, Drogen, Sex – das ganze Register an harten, schnellen Vergnügungen ziehen sie noch einmal durch. Es endet katastrophal.

Zum Glück gibt’s noch andere Freunde – aber was ist nur aus ihnen geworden! Xavier (Philippe Rebbot) etwa, einst ein wilder Hund, wenn nicht gar der wildeste von allen, heute spielt er Einhorn für die Tochter und macht sich zum Deppen seiner Frau. Oder Emilie (Emilie Gavois-Kahn), die einmal uncool war, mit der sich dafür heute umso lustigere Partys feiern lassen. Oder Sylvie (Florence Thomassin), deren Apartment so leer ist und es aus verschiedenen Gründen auch bleiben wird. Einen nach dem anderen beglückt dieser Kerl mit seiner unerträglichen Gegenwart und hält Freunden und uns Zusehern einen Spiegel vor.

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Mit der Trilogie Das Leben des Vernon Subutex gelang der französischen Feministin und Provokateurin Virginie Despentes ein verwegenes Jahrhundertepos über die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Umwälzungen eines Landes, seiner Zeit und seiner Menschen. Es ist ein Abgesang auf das alte Paris des 20. Jahrhundert, als Zügellosigkeit noch als cool galt und Verwahrlosung als Zeichen von Individualität. Die glorreichen Versprechungen von Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll haben einen Mief, den man nur noch schwer loswird. "Geh arbeiten, wir sind keine 20 mehr!", herrscht ihn der Freund an. Was tun? Anpassen oder dagegenhalten? Subutex geht lieber weiter.

Andernorts braut sich ebenso etwas zusammen. Der cholerische Filmproduzent Laurent Dopalet (Laurent Lucas) erhält eine Botschaft, laut der es Tonbandaufnahmen geben soll, die ihn in einer vergangenen Sache belasten würden. Er setzt seine neue Mitarbeiterin, die junge Anaïs (Flora Fishbach), und die Schnüfflerin mit dem bezeichnenden Namen "Die Hyäne" (Céline Sallette) auf die Bänder an. Diese befinden sich im Besitz von wem? Vernon Subutex, na klar.

Rauchen auf dem Balkon

"Die Welt hat sich geändert", heißt es im Buch. "Als wir jung waren, hat man Pornos gemacht, wenn man der Welt auf die Nerven gehen wollte, heute reicht’s, wenn man ein Kopftuch umbindet." Nicht nur: Zum Rauchen in Privatwohnungen muss man neuerdings auf den Balkon. Geschrieben und inszeniert von Cathy Verney, fängt die Serie die Stimmung von jetzt und damals mit Witz, Drama, Tragik in Bild (Kamera: Patrick Chizallet – zuletzt The French Dispatch) und einem mitreißenden Soundtrack (Episode eins: Les Thugs, Mudhoney, Wall of Voodoo, Peter Kember, Wreckless Eric, Karen Dalton, Alex Cameron) ein. "Diese Generation ist echt zum Kotzen", sagt Subutex. Aus seiner Sicht absolut nachvollziehbar. (Doris Priesching, 16.11.2021)