Sladi Mirković, Präsidentin der Hochschüler*innenschaft österreichischer Roma und Romnja (HÖR), schreibt in ihrem Gastkommentar über die neue Gedenkstätte in Wien und über die Versäumnisse der Republik.

Wenn wir vom Roma-Genozid – dem Porajmos – sprechen, meinen wir europaweit mindestens eine halbe Million von den Nazis ermordeter Roma und Romnja, Sinti und Sintizze. In Österreich waren es rund 10.000 – 90 Prozent kehrten aus den Konzentrationslagern nicht zurück. Hier beginnt das Problem. Es wird in den Schulen kaum bis gar nicht gelehrt, und im kollektiven Bewusstsein ist es ohnehin nur sehr mäßig vertreten. Was uns zur nächsten Schwierigkeit bringt. Wo sollen wir um diese Menschen trauern, uns ihrer erinnern? Die Antwort ist so einfach, wie sie beschämend ist: Es gibt diesen Ort nicht.

Die vor kurzem eröffnete Shoah-Namensmauer im Wiener Ostarrichipark ist nicht unumstritten.
Foto: Robert Newald

In den Händen der Republik Österreich liegt die Pflicht, ihren Opfergruppen und deren Nachfahren würdige Gedenkorte bereitzustellen. Zum Teil funktioniert das gut. Vor kurzem wurde die Shoah-Namensmauer-Gedenkstätte vor der Nationalbank feierlich eröffnet. Auf einer Zusatztafel stehen alle übrigen von den im Nationalsozialismus Verfolgten und Ermordeten. Nicht namentlich, versteht sich. Mit Oberbegriffen zusammengefasst. Darunter auch Roma und Sinti.

Wir sind es gewohnt, ins Leere zu fordern, vertröstet zu werden. Schon Generationen vor uns, Überlebende wie Rudi Sarközi und Ceija Stojka, mussten die Anerkennung der Roma als Volksgruppe (1993) und erste Denkmäler wie das im burgenländischen Lackenbach (1984) oder im Wiener Barankapark (1999) lange erkämpfen. Der 2. August als Internationaler Roma-Holocaust-Gedenktag ist bis heute vom Staat Österreich nicht ratifiziert. Wir sind die Debatten, die Lippenbekenntnisse der Politikerinnen und Politiker und die Verhöhnung der Opfer leid. Österreich soll endlich zu seiner historischen Verantwortung stehen.

"Das Verweigern der Zuerkennung eines zentralen Denkmals knüpft an die Tradition an, mit welcher Österreich nicht erst seit 1938 mit meiner Volksgruppe umgeht."

Der jüdische Holocaust-Überlebende Kurt Yakov Tutter forderte bereits vor 20 Jahren das vor kurzem eröffnete zentrale Denkmal für die ermordeten österreichischen Jüdinnen und Juden. Sein unentwegter Einsatz ist eine Inspiration für die jüngste Generation. Errichtet wurde ein Denkmal ohne Ausschreibung, ohne Einbindung der Zivilgesellschaft, von einer Baufirma, bei der während der Shoah Jüdinnen und Juden Zwangsarbeit verrichteten. Eine Eröffnung, bei der keine Vertretung der sogenannten weiteren Opfergruppen geladen ist. Dass die Familie Tauber als Reaktion darauf Laura Darvas, Vorstandsmitglied der Hochschüler*innenschaft österreichischer Roma und Romnja, eine ihrer Karten solidarisch gespendet hatte und die Romni dennoch nicht an der Zeremonie teilnehmen durfte, kann nur als Skandal tituliert werden.

Die Frage, ob es eine richtige Form des Gedenkens gäbe, mutet zynisch an. Es gibt eine falsche, so viel ist klar. Opfergruppen gegeneinander auszuspielen. Hierarchien zu schaffen, wo es keine gibt. Denn Jüdinnen und Juden, Roma und Romnja und Sinti und Sintizze, Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, politisch Verfolgte, Kärntner Sloweninnen und Slowenen, Zeugen Jehovas, Deserteure, Menschen, die wegen einer Behinderung verfolgt waren, Homosexuelle oder die Kinder vom Spiegelgrund. Sie alle lagen auf den gleichen Pritschen, in den gleichen Baracken. Sie alle trugen den Mauthausener Granit über die Todesstiege, und sie alle wurden in denselben Gaskammern vergast. Im Zentrum der Stadt Wien gibt es keinen Ort, an dem aller Opfergruppen gedacht wird. Richtig wäre ein gemeinsames Denkmal. Richtig wäre ein lebendiger, interaktiver Ort des Gedenkens, wie etwa ein Holocaustmuseum.

"Der Stein im Barankapark ist ein wichtiges Zeichen. Er erinnert jedoch lediglich an die von dort Deportierten – längst noch nicht alle, die dem Roma-Genozid in Österreich zum Opfer gefallen sind."

Solidarische Stimmen, wie der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici ("Für einen Platz der Erinnerung"), sagen zu Recht, dass eine sichtbare Gedenkstätte für alle ermordeten Roma und Romnja, Sinti und Sintizze im Herzen der Stadt fehlt. Zentral und in großen Dimensionen. Diese Forderung wurde kontroversiell diskutiert, mit Verweis auf bereits bestehende Denkmäler. Der Stein im Barankapark ist ein wichtiges Zeichen. Er erinnert jedoch lediglich an die von dort Deportierten – längst noch nicht alle, die dem Roma-Genozid in Österreich zum Opfer gefallen sind. Und: Wenn man nicht gezielt nach Favoriten pilgert mit der Absicht, den 1,5 Meter hohen Stein zu sehen, weiß man gar nicht, dass es ihn gibt. In Berlin und in Budapest stehen zentrale Denkmäler für Roma und Romnja, Sinti und Sintizze neben dem Bundestag und am Donauufer. Ich begreife nicht, wie es überhaupt zur Debatte stehen kann, ob in der Stadt Wien, dem Epizentrum eines Täterlandes, ein Mahnmal errichtet wird oder nicht.

Für Ort der Erinnerung

Das Verweigern der Zuerkennung eines zentralen Denkmals knüpft an die Tradition an, mit welcher Österreich nicht erst seit 1938 mit meiner Volksgruppe umgeht. Lange davor wurde uns unsere Menschenwürde abgesprochen. Nach 1945 wurde nahtlos weiter so verfahren. Überlebende wurden als Hochstaplerinnen und Hochstapler abgetan und kamen so um die Entschädigungen, die ihnen zweifelsfrei zustanden.

Und jetzt, rund um den Jahrestag der Novemberpogrome, lesen wir, der Stein in Favoriten müsse reichen? Heute fordern wir weiterhin und vehement einen Ort der Erinnerung im ersten Bezirk. Wir fordern die Ratifizierung des 2. August als internationalen Roma-Holocaust-Gedenktag durch das österreichische Parlament. Wir fordern ein Gedenken, das jenseits von politischen Kämpfen in Würde begangen werden kann. Gedenken ist immer politisch, ja. Aber es darf niemals politisch instrumentalisiert werden.

Die Zahl der Überlebenden schwindet Tag für Tag, und ich frage mich, wie viele von ihnen die Eröffnung eines Mahnmals für die ermordeten Roma und Romnja, Sinti und Sintizze jemals erleben werden. Die Forderungen der jungen Generation stehen jedenfalls fest. (Sladi Mirković, 16.11.2021)