Mit "Fresh Air" versorgte Matta-Clark 1972 New Yorker Passanten.
Foto: Generali Foundation

Kein Loch klafft in der Wand, kein Staub bedeckt den Boden, und kein Straßenlärm dringt in die Räumlichkeiten des Museums der Moderne in Salzburg, wo man gerade Gordon Matta-Clark zeigt. Dabei kennt man den einflussreichen New Yorker Konzeptkünstler und Architekten, der 1978 im Alter von nur 35 Jahren an Krebs verstarb, vor allem für seine Building Cuts: Er spaltete, schnitt, durchlöcherte Gebäude. Nicht so sehr mit einem zerstörerischen Impetus, sondern um etwas freizulegen. Matta-Clark schöpfte aus der Leerstelle.

Conical Intersect, die Arbeit, die er für die Biennale in Paris 1975 entwickelte, bringt seine Praxis auf den Punkt. Das damals umstrittene Centre Pompidou befand sich gerade im Bau, zwei Gebäude aus dem 17. Jahrhundert in seiner Nachbarschaft mussten ihm weichen. In die beiden Abrisshäuser fuhr Matta-Clark wie der Blitz, durch das schmale Loch des Kegels gab er den Blick auf das im Bau befindliche Museum frei.

Partizipation und Gemeinschaft

Während seiner Arbeit plauderte er mit Passanten, grillte für die Nachbarschaft. Was heute bei städtebaulichen Prozessen State of the Art ist – man würde irgendetwas von partizipativen Prozessen faseln –, übernahm damals ein Künstler, aber nicht mit dem Auftrag, die Menschen zu beschwichtigen, sondern um auf Augenhöhe über Gentrifizierung zu sprechen.

Matta-Clarks Gedanken, die immer um die sozialen Komponenten von Architektur kreisten, sind aktuell wie eh und je. Man denke an sein Gemeinschaftsprojekt Food – ein Restaurant, in dem Künstler für die Nachbarschaft zu leistbaren Preisen kochten, oder auch an eine Aktion wie Fresh Air, bei der von Luftverschmutzung geplagte Passanten mit reiner Luft versorgt wurden.

Einblicke in Matta-Clarks persönliche Bibliothek, die dessen unterschiedliche Interessensgebiete von Kybernetik über Psychoanalyse, von Ökologie bis Architekturtheorie widerspiegelt.
Foto: Museum der Moderne Salzburg / Fotografie Rainer Iglar

Im Archiv graben

Einfach ist es nicht, diese ortsspezifischen, temporären und aktivistischen Arbeiten auszustellen. Drei Kuratorinnen und Kuratoren mit unterschiedlichen Zugängen am Canadian Centre for Architecture entwickelten drei Ausstellungsblöcke, die nun erstmals in Europa im Rahmen der Salzburger Schau Out of the Box: Gordon Matta-Clark zu sehen sind.

Der Kunsthistoriker Yann Chateigné beschäftigte sich mit Matta-Clarks persönlicher Bibliothek, die dessen unterschiedliche Interessensgebiete von Kybernetik über Psychoanalyse, von Ökologie bis Architekturtheorie widerspiegelt. Chateigné versucht aufzuzeigen, wie diese Einflüsse in Matta-Clarks eigener Arbeit fruchtbar wurden. Das hat zwar alles Hand und Fuß, vermittelt sich aber aufgrund der Kleinteiligkeit und der aseptischen Ausstellungsarchitektur, die an ein Archiv erinnern will, nicht.

Im zweiten Kapitel traf Kuratorin Hila Peleg eine Auswahl aus den umfangreichen filmischen Dokumentationen von Matta-Clarks Building Cuts, die er im Bewusstsein um die Vergänglichkeit seiner Interventionen anfertigen ließ. Zusätzlich begegnet uns Matta-Clark in Pelegs Auswahl aber auch auf Ausflügen mit Freundinnen und Freunden. Ein Gewinn ist auch der dritte Ausstellungsblock, eine Videoinstallation, die Kuratorin Kitty Scott aus den Reisefotografien Matta-Clarks zusammenstellte und die in Timing und Detailliebe weit über eine schnöde Diashow hinausgeht.

Die Ausstellung zeigt auch das filmische Werk des Künstlers.
Foto: Museum der Moderne Salzburg / Fotografie Rainer Iglar

Blick von Kollege Schabus

Es gibt aber auch noch einen vierten Teil der Ausstellung. Im Auftrag der Generali Foundation, die unter anderem sämtliche Filme Matta-Clarks besitzt, blickt der Künstler Hans Schabus auf seinen Kollegen. Nicht nur in den Displays, die Schabus aus den Überbleibseln der vorhergehenden Ausstellung baute, spiegelt sich Matta-Clarks Beschäftigung mit Nachhaltigkeit wider, auch das Künstlerbuch, das Schabus aus den beruflichen Korrespondenzen Matta-Clarks zusammenstellte und das die Arbeit – das mühsame Verhandeln mit Bauträgern und Unternehmen – hinter der künstlerischen Arbeit zeigt, vermittelt sein Schaffen und Sein.

Im letzten Raum hat Schabus auf einem Podest nur wenige Ordner aufgereiht. In ihnen befindet sich der ganze schriftliche Nachlass des Künstlers in Kopie. Ein Bild eines viel zu kurzen Lebens, das sich einprägt. (Amira Ben Saoud, 16.11.2021)