Über Schnittstellen können Legal-Tech-Kunden Produkte verschiedener Anbieter miteinander verknüpfen.

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Die Rechtsbranche ist nicht für dynamische Entwicklungen bekannt, Anwälte halten es gerne mit Tradition. Umso erstaunlicher ist das Wachstum des Legal-Tech-Sektors, in dem vor allem seit 2014 immer mehr Start-ups neue digitale Lösungen anbieten, die den Rechtsanwendern das Leben erleichtern sollen.

Was ursprünglich in den USA und Großbritannien begann, ist inzwischen auf Kontinentaleuropa übergeschwappt. Und Österreich hat durch den 2018 von mehreren großen Anwaltskanzleien gegründeten Legal Tech Hub Vienna, vor kurzem in Legal Tech Hub Europe (LTHE) unbenannt, einen wichtigen Beitrag zu diesem Wachstum beigetragen.

Wichtige Schnittstellen

Doch auch dieser junge Markt geht durch seine erste Konsolidierungsphase. Große Anbieter wie etwa Thompson Reuters kaufen kleinere auf oder verdrängen diese mit ihren Paketlösungen aus dem Markt. Um mit den Riesen mitzuhalten, schließen sich verschiedene Start-ups zu Partnerschaften zusammen und bündeln über Schnittstellen ihre Produkte – oder erleichtern zumindest deren Integration.

Denn für die Kunden, allen voran die Anwaltskanzleien, sind Einzellösungen für unterschiedliche Anwendungen immer brauchbar, sagt Stefan Artner, Partner bei Dorda Rechtsanwälte. "Diese Schnittstellen sind die Feinheiten, die eine gute Idee zum Laufen bringen," sagt er. "Niemand will ein Tool, das nicht mit anderen sprechen kann."

Ein Beispiel sei das Programm Time Bro, das Kanzleitätigkeiten digital aufzeichnet und im aktuellen Accelerator-Programm des Legal Tech Hub praktische Unterstützung erhält. "Als alleinstehendes Tool hilft uns das recht wenig, es braucht Schnittstellen zu unseren anderen Programmen, um es zu integrieren."

Und diese Schnittstellen etablieren sich immer mehr als Industriestandard, sagt auch Andrei Salajan, der die Kanzlei Schönherr technisch betreut. "Die Anbieter werden immer flexibler, um mit anderen Anbietern und Tools zusammenzuarbeiten."

Alles aus einer Hand

Aber selbst wenn die Integration verschiedener Legal-Tech-Produkte einfacher geworden ist, entscheiden sich immer mehr Kunden für große Anbieter, die alles aus einer Hand anbieten, sagt Alric Ofenheimer, Partner bei Eisenberger+Herzog. Wer das tut, verzichte auf die Flexibilität und Anpassungsbereitschaft, die Start-ups auf der Suche nach Kunden anbieten, gewinne aber Sicherheit.

"Die etablierten Anbieter haben sophisticated Produkte, aber sind nicht flexibel, weil sie für den großen Markt produzieren", sagt Ofenheimer. Wenn man die Wahl hat, geht man trotzdem immer öfter zu den Etablierten, weil man dann weiß, dass sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren immer nach am Markt sind."

Allerdings sind viele der Standardprodukte für den angloamerikanischen Markt konzipiert und daher in Europa nur eingeschränkt nutzbar, etwa bei der Due Dilligence, sagt Artner. Das erschwere etwa die Due Dilligence. "Sie erkennen nur englischsprachige und gleichlautende Dokumente", sagt er. Das eröffne Chancen für europäische Anbieter für Künstliche-Intelligenz-Systeme wie Della, die auch deutsch beherrschen.

Was bedeutet das für all jene Start-up-Gründer, die mit kreativen Ideen und viel Engagement Legal-Tech-Produkte entwickelt haben? Laut Sophie Martinetz, Geschäftsführerin des Legal Tech Hub und Organisatorin der Wiener Legal-Tech-Konferenz, ist das Marktumfeld für sie zuletzt viel schwieriger geworden, weil die Großen ihnen wenig Platz lassen.

Aber die wenigsten haben aufgegeben, betont Artner. "Es dauert alles dreimal so lang, als die meisten Start-ups es sich erhofft haben, aber sie leben fast alle noch", sagt er. "Es gibt nur sehr wenige, die ausgeschieden sind."

Vorreiter Österreich

Anders als in den USA wächst der heimische Markt für Legal-Tech-Produkte noch langsam, auch wenn immer mehr Kanzleien die Vorteile der Digitalisierung für sich entdecken, sagt Artner. Dennoch spielt Österreich in diesem Prozess europaweit eine führende Rolle, betont Ofenheimer.

Das liege nicht nur an der frühen Elektronisierung von Grund- und Firmenbuch, sondern auch am Beitrag des Legal Tech Hub, der in den vergangenen Jahren unzählige Start-ups gefördert und mit der Praxis der Kanzleien und Rechtsabteilungen vertraut gemacht hat. "Wir sind Vorreiter, die Deutschen schauen neidvoll zu uns, was wir gemacht haben." (Eric Frey, 16.11.2021)