Karl-Heinz Grundböck, Sprecher der Parlamentsdirektion, erklärt in seinem Gastkommentar, wie das Regelwerk für den Nationalrat funktioniert – samt verfassungsrechtlicher Fragen.

Der Europarechtler Stefan Brocza kritisiert im Gastkommentar "Corona-Maßnahmen: Weiter Sonderregeln für Abgeordnete?", dass die Regelungen, die zwecks Pandemiebekämpfung für die Allgemeinheit gelten, offenkundig im Parlament nicht für die Mandatarinnen und Mandatare Anwendung fänden. Er skizziert Erwägungen, die er für ursächlich hält, sowie einen rechtlichen Handlungsrahmen, mit dem er Verbindlichkeit herstellen möchte.

Wie sieht es im Parlament mit den Corona-Maßnahmen aus? Gibt es hier Sonderwege?
Foto: Heribert Corn

Unabhängig davon, ob man Brocza in der Wertung des Ergebnisses beipflichten mag, ist es notwendig, die zugrunde liegenden Fakten korrekt zu benennen. Broczas Gastkommentar verlangt daher nach einer tatsächlichen Berichtigung, insbesondere vor der Realität des österreichischen Verfassungsrechts.

Dazu im Einzelnen:

  • Die Ausnahme für "Tätigkeiten im Wirkungsbereich der Organe der Gesetzgebung" in den Covid-19-Verordnungen sei in "vorauseilendem Gehorsam" geschaffen worden. –Nein. Dass das Parlament seine internen Regelungen selbst trifft, ist verfassungsrechtlich geboten: Es ergibt sich aus dem Prinzip der Parlamentsautonomie und der Gewaltenteilung. Geschäftsordnung und Hausordnung bilden den rechtlichen Rahmen.
  • Man sei untätig geblieben und habe vor einer Selbstverpflichtung im Wege der Hausordnung "zurückgeschreckt". –Seit Oktober 2020 hat es immer wieder Anpassungen der Hausordnung gegeben, angelehnt an die jeweils geltenden gesundheitsbehördlichen Regelungen. Anfangs für Besucherinnen und Besucher und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, im April 2021 wurden sie auf Mandatarinnen und Mandatare ausgedehnt.
  • Das freie Mandat (und die berufliche Immunität) habe als "willkommene Ausrede" gedient, um nicht tätig werden zu müssen.Richtig ist, dass das freie Mandat einer Verpflichtung nicht entgegensteht. Es wurde allerdings auch von der Parlamentsdirektion nie als Begründung genannt – ebenso wenig wie die berufliche Immunität. Einschlägig bedeutsam ist vielmehr das passive Wahlrecht: Nach Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs beinhaltet dies ein Recht auf faktische Ausübung des Mandats.
    Es wäre problematisch, gewählten Mandatarinnen und Mandataren den Parlamentszutritt zu verwehren. Die Maskentragepflicht und die 3G-Nachweispflicht wurden auch für Mandatarinnen und Mandatare in der Hausordnung vorgeschrieben, sie können diesen gegenüber aber nicht mit Zwang durchgesetzt werden.
  • Man könne im Verordnungsweg auch Strafbestimmungen einführen.Nein. Strafbestimmungen können nur gesetzlich verankert und nicht im Verordnungsweg erlassen werden.
  • Abschließend: Das Parlament ist in Wesen und Auftrag jeder repräsentativen Demokratie der Ort der größtmöglichen Verdichtung der Unterschiede in einer Gesellschaft. – Es ist der Ort, an dem diese Unterschiede sichtbar und mit dem Ziel einer gemeinsamen Verbindlichkeit in einem strukturierten Verfahren bearbeitet werden. Die Basis für diesen demokratischen Diskurs ist die Akzeptanz gesicherter Fakten. Meinung ist das eine, Fakten sind das andere.

Ganz ohne Zweifel ist es kein wünschenswertes Bild, welches das Parlament hier öffentlich abgibt. Zeigt es doch deutlich, dass der Diskurs bisher nicht zu durchgängig akzeptierten Regelungen geführt hat. Nur an den, auch verfassungsrechtlichen, Fakten führt auf der Suche nach allgemeiner Verbindlichkeit kein Weg vorbei. (Karl-Heinz Grundböck, 16.11.2021)