Für Gerald Knaus begeht die EU, begehen Länder wie Österreich, gerade einen juristischen und humanitären Tabubruch. In Polen ist seit Ende Oktober ein Gesetz in Kraft, das den Sicherheitskräften erlaubt, Vertriebene und Migranten an der Grenze nach Belarus zurückzudrängen, obwohl ihnen dort Kälte und unter Umständen der Tod drohe, sagt Knaus. Dennoch haben die Außenminister der übrigen 26 EU-Staaten dieses Vorgehen bei einem Treffen in Brüssel diese Woche mit keinem Wort kritisiert. "Obwohl Europarecht und die Grundprinzipien der Flüchtlingskonvention außer Kraft gesetzt werden."

Adressat dieser scharfen Worte des Migrationsexperten Knaus: Österreichs Außenminister Michael Linhart (ÖVP). Die beiden waren neben dem Russland-Experten Gerhard Mangott und der grünen Abgeordneten Ewa Ernst-Dziedzic zu Gast beim Videotalk "STANDARD-mitreden" zur Krise an der Grenze zwischen Polen und Belarus. Tausende Menschen, vor allem aus dem Irak, dem Iran und Syrien sitzen im Grenzgebiet fest.

"Rote Linie"

Linhart konterte Knaus in der Debatte: Der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko "importiert Menschen und verwendet sie als Waffen gegen Europa". Europa müsse rote Linien einziehen und dürfe sich "nicht auseinanderdividieren lassen".

Sehen Sie außerdem im Talk: Welche Strategie verfolgt der belarussische Diktator wirklich im Grenzkonflikt? Gerhard Mangott führt sie an und erklärt, weshalb Lukaschenko die Europäische Union gerade erfolgreich vorführe. Außerdem: Wie hat Ewa Ernst-Dziedzic die Situation in Polen anlässlich ihres Besuchs dort vor wenigen Tagen erlebt? Was spricht für den Vorschlag von Knaus, einen Pakt mit der Ukraine auszuhandeln, damit das Land die Asylwerber aus dem Grenzgebiet aufnimmt – und warum nennt Mangott diese Idee "realitätsfremd". Alle Antworten dazu und die Strategie des Außenministers zur Lösung der Krise gibt es im Talk.

Europa streitet

Lust auf noch mehr Debatten? DER STANDARD ruft derzeit gemeinsam mit Medienpartnern aus 17 Ländern zu einer neuen Auflage des Dialogformats "Europa spricht" (Europe Talks) auf. Die Aktion lädt Menschen aus ganz Europa zur grenzübergreifenden Debatte über kontroverse politische Themen ein. Eines davon: der Umgang mit Geflüchteten. Hier und hier geht es zur Anmeldung. (red, 16.11.2021)