Digitale Beweise wie Chats, Standortdaten oder IP-Adressen spielen in Gerichtsverfahren eine zunehmend große Rolle.

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Fingerabdrücke und Augenzeugen waren gestern. Heute sind es immer öfter Nullen und Einser, Bits und Bytes, die vor Gericht als Beweise den Ausschlag geben. Die Menge an Daten, die Ermittlern und Richtern mittlerweile zur Verfügung steht, ist nahezu unbegrenzt. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten, stellt die Rechtspraxis aber auch vor Probleme. Denn die Auswertung riesiger Datenmengen kostet Zeit und wirft Fragen der Zuverlässigkeit auf.

"Digitale Beweise sind alle Informationen, die auf einem elektronischen Datenträger gespeichert sind und in einem Verfahren verwertet werden können", sagt Benjamin Weissmann, Cyberforensiker bei EY (früher Ernst & Young). Infrage kommen nicht nur klassische Chats, sondern auch Standortdaten, Login-Daten, IP-Adressen oder auch die Daten eines smarten Laufbandes.

Eine gesetzliche Definition dafür gibt es in Österreich allerdings nicht. In der Praxis ordnet man sichergestellte Daten daher herkömmlichen Beweiskategorien zu. "Oft werden digitale Beweismittel verschriftlicht und als Urkunden deklariert", sagt Caroline Toifl, Rechtsanwältin und Steuerberaterin. Die Schriftstücke halten zum Beispiel IP-Adressen und dazugehörende Metadaten fest und werden in dieser Form zum Akt genommen.

"Das Problem ist, dass dabei nicht der Beweis selbst verwertet wird, sondern nur eine Abschrift davon", sagt Toifl. "Darunter leidet die Authentizität des Beweises. In der Praxis wird dieses Problem derzeit kaum hinterfragt." Das fange damit an, dass man PDF-Dokumente ändern und dann ausgedruckt vorlegen könnte. Wenn man es mit Cyberkriminellen zu tun habe, die ihre Spuren professionell verwischen, werde es umso schwieriger.

Manipulierbare Beweise

Laut Caroline Toifl könnten digitale Beweise als "Augenscheinsbeweise" deklariert und gegebenenfalls in ein Gutachten eines Sachverständigen aufgenommen werden. Richterinnen und Richter sollten also nicht Kopien verwerten, sondern die Daten am Computer selbst. "Das passiert in der Praxis derzeit überhaupt nicht. Es gibt dafür kein Bewusstsein", sagt Toifl. Die technischen Möglichkeiten wären jedenfalls gegeben. Bei der Sicherstellung von Handys wird schon jetzt ein sogenanntes Image erstellt. Damit kann das Smartphone samt allen Daten auf einen Computer übertragen und dort ausgewertet werden.

Probleme bereitet aber nicht nur die Darstellung der Daten, sondern auch deren Anfälligkeit für Manipulation. Die Behörden müssen sicherstellen, dass sich die gesicherten Beweismittel im Laufe des Verfahrens nicht ändern. "Es muss technisch immer einwandfrei nachvollziehbar sein, dass die Daten originär sind", sagt Weissmann. Dabei gehe es nicht nur um bewusste Manipulationen. "Die Informationen können sich auch spontan ändern oder verlorengehen. Am Ende des Tages sind Daten nicht mehr als ein meist magnetischer Zustand auf einem Datenträger."

Arbeite man mit großen Datenmengen, sei es daher unerlässlich, alle Arbeitsschritte lückenlos zu dokumentieren und sicherzustellen, dass man mit den unveränderten Beweisen weiterarbeitet, sagt Weissmann. "In Österreich ist das gesetzlich allerdings nicht geregelt. Letztlich obliegt es allein den Richtern, ob sie Beweise für nachvollziehbar erachten oder nicht."

Gesetzliche Präzisierung

Problematisch sei das vor allem bei Straftaten, die sich vollständig im digitalen Raum abspielen, sagt Toifl. "Wenn wir von einem normalen Diebstahl sprechen, dann ist der digitale Beweis einer von vielen." Bei reinen Onlinedelikten, etwa bei Cyberangriffen oder dem Diebstahl digitaler Kunstwerke, könne es aber rasch zu Beweisproblemen kommen. "Dann habe ich ausschließlich Beweismittel zur Verfügung, die nur begrenzt belastbar sind", sagt Toifl. Einen Täter rein auf Basis dieser Beweismittel zu überführen könne zum Ding der Unmöglichkeit werden. Denn Zweifel müssen sich vor Gericht stets zugunsten des Beschuldigten auswirken.

Laut Weissmann braucht es eine klare gesetzliche Definition, was ein elektronisches Beweismittel ist und wie damit umgegangen werden muss. Ähnlich sieht das Caroline Toifl, die vor allem im Bereich des Rechtsschutzes Verbesserungspotenzial sieht. "Als Rechtsanwältin haben Sie derzeit keine Akteneinsicht in die originären digitalen Beweise", sagt Toifl. Das sei vor allem dann problematisch, wenn die Unterlagen bei einer Hausdurchsuchung sichergestellt werden und die Daten dann bei der Staatsanwaltschaft liegen."

Investitionen notwendig

Auch bei Hausdurchsuchungen selbst sollte ihrer Ansicht nach anders vorgegangen werden. "Derzeit wird einfach ganz plump angeordnet, dass alle digitalen Speichermedien mitgenommen werden müssen", sagt Toifl. Geht es nach der Anwältin, sollen Staatsanwaltschaften daher künftig genauer begründen, warum sie welche Daten sicherstellen. "Damit hätten sie auch für sich etwas gewonnen, weil weniger Datenmüll anfällt."

Gerade die große Menge an Informationen macht es Behörden oftmals schwierig, Verfahren rasch abzuschließen. Laut Weissmann braucht es daher dringend massive Investitionen in Technik und ausgebildetes Personal. "Aber das kostet Geld. Sehr viel Geld." (Jakob Pflügl, 16.11.2021)