Turbulenteste Komödie: Hier darf gelacht werden.

Foto: Helge Bauer

Dieser Schein trügt. Die Taschenlampenfunktion ihres Handys, die Barbarina zur Nadelsuche einschaltet, zählt neben Rosinas Steppmantel und Cherubinos noch modischerer ärmelloser Steppjacke zu den wenigen Zeitverweisen, mit denen Brigitte Fassbaender ihre Klagenfurter Neuinszenierung von Mozarts "Le nozze di Figaro" versehen hat. Wichtiger ist der Regisseurin jene Botschaft des Werkes, die seit 240 Jahren dem Publikum denselben Spiegel vorhält: Es ist schwierig mit der Haltbarkeit der Beziehungen unter den Menschen.

Und gäbe es nicht die Möglichkeit der Nachsicht, wie Rosina sie im Finale übt – das Ganze wäre nicht der Stoff zu einer der turbulentesten Komödien der Bühnengeschichte, sondern eine ausweglose Tragödie. So aber darf gelacht werden. So darf Fassbaender im Beipacktext hoffen, dass das Lachen im Parkett des Stadttheaters gelegentlich in diesem oder jenem Halse stecken bleibt.

Es ist eine sehr werktreue Deutung, die sich weder der Gegenwart noch der Vergangenheit anbiedert. Die Bühne (Dietrich von Grebmer) prägen drei hinter einander gereihte Rahmen: das in Kärnten wohlbekannte Schloss Rosegg, auf seine tragenden Teile reduziert. Die können, wenn das Licht (Helmut Stultschnig) nachtblau wird, auch einer Gartenlaube zugehören. Das in Videoprojektionen assoziierte Schloss ist insofern vielsagend, als hierzulande jeder weiß, dass es vom Bauherrn für seine italienische Geliebte errichtet worden ist. Das ist aber nicht alles: Der von der Estin Dara Savinova verkörperte Cherubino ist so offensichtlich eine Hosenrolle, dass seine ostentative Liebe zu Frauen fast mehr als ihre zum Ausdruck kommt, jedenfalls könnte hier bei der behördlichen Registrierung des Geschlechts eine dritte Möglichkeit in Erwägung kommen.

Nonnenkutte und Wollhosenanzug

Was das Chaos der Querverbindungen nur noch komplexer macht. Bei alldem ist es übrigens sehr erstaunlich, wie Fassbaender und ihr Ausstatter mit Sinnlichkeit geizen: Susannas Kleid ist hochgeschlossen, wadenlang und waschblau wie eine Nonnenkutte. Geradezu liebestöterisch ist der dunkelrote Wollhosenanzug Marcellinas. Und berührt wird einander den ganzen Abend lang nur im Notfall.

Das wird kontrastiert, ja in Wahrheit überstrahlt von Mozarts genialer Musik, die jenseits von Handlung und Text eine elementare Herzenssprache etabliert. Da könnte Christa Ratzenböcks Marcellina kaum inniger wirken, als wenn sie sich plötzlich als Mutter des Mannes entdeckt, den sie die ganze Zeit heiraten wollte. German Enrique Alcantaras auch schauspielerisch ausdrucksstarker Graf Almaviva hat in der berühmten Vergebungsbitte verdientermaßen noch einen Moment, in dem das ganze Theater den Atem anhält. Ogulcan Yilmaz glänzt als lyrischer Figaro, dem in den dramatischen Augenblicken nicht immer die stimmliche Strahlkraft verfügbar ist, die er sich vorstellt. Immer bettet Nicholas Milton mit dem Kärntner Sinfonieorchester das Ensemble auf klangliche Rosen.

Und so bezaubert Sarah Gilfords Susanna nicht nur den Schwerenöter Almaviva und den auserwählten Barbier, sondern das ganze Publikum. Den innersten Glanz, das zutiefst menschliche Leuchten gibt dem Abend schließlich Matilda Sterby. Ihre Gräfin Rosina singt in zwei Arien alles, was sich an Sehnsucht und Enttäuschung über Leben und Tod singen lässt. (Michael Cerha, 16.11.2021)