Die rabenschwarze Nacht in eintausend Teile zerhackt bleibt stockdunkel und braucht einen hellen Kopf. Damit die Gedanken nicht schwarz werden. Ein Puzzle für Puristen. Kein Motivvergleich mit dem Deckelbild, nur unterschiedliche Laschen, Zungen und Mulden. Wer das löst, der gehört in die Champions League der Teilezusammensetzer. Da hilft keine schwarze Seele, da helfen nur starke Nerven und immer wieder probieren.

So ein Tausend-Teile-Dunkel ist schon etwas für ganz Helle. Noch kniffliger präsentiert sich ein Zweitausender-Puzzle in strahlendem Weiß ganz ohne Blumenstrauß. Eine hervorragende Herausforderung für Contenance und Coolness. Die Puzzelei in der eigenen Stube ist während der Corona-Pandemie aus der verstaubten Hobbyecke in den Glanz des Zeitstils gewandert. Keine lästige Zeitverschwendung mehr.

Stilles Hobby

Ein fertiges Puzzle gehört mittlerweile zum Must-have beim Videocall mit Bekannten und Freunden. Niemand denkt dabei mehr an verschrobene Stubenhocker.

Zu den Anbietern von Puzzlespielen gehört die österreichische Firma Piatnik, die eigentlich wegen ihrer Spielkarten berühmt ist. Beim Branchengrößten in Europa, bei Ravensburger in Deutschland, schauen die Macher höchstens noch verschämt auf ihre Meinung aus den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts. "So eine idiotische Beschäftigung für Analphabeten", waren sich die Schwaben damals sicher, "werden wir nie anbieten."

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Ein fertiges Puzzle gehört mittlerweile zum Must-have beim Videocall mit Bekannten und Freunden.
Foto: Getty Images / RooM RF / Hannah Argyle

28 Millionen Ravensburger-Puzzles wurden 2020 weltweit verkauft. Das sind rund ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. Corona habe, so Vorstandschef Clemens Maier, "einen kleinen Hype um das eher stille Hobby ausgelöst".

Wobei, so lautlos sind Sortieren, Suchen und Stecken der einzelnen Teile meist doch nicht. Manch mehr oder weniger laute Verwünschung oder derbe Fluchsprüche begleiten die teils vergebliche Suche nach dem einzigen passenden Teil. Für das Zusammensetzen des Bildes haben Psychologen meist jedoch nur Lobeshymnen parat. Das Spiel fördere die Fähigkeit, Formen zu erkennen, schule die Konzentration, das Kurzzeitgedächtnis und habe sogar einen meditativen Effekt.

Geduld und Fleiß

Alles rundherum werde beim Suchen nach dem richtigen Detail vergessen. Eine ganz eigene Teilchenwelt, die auch die Geduld trainiert. Das machte vor mehr als 150 Jahren schon ein Werbereim klar. "Es geht nicht alles so rasch wie der Wind", hatte damals eine Reklameabteilung fabuliert, "mit Geduld und Fleiß erreichst du viel, es ist im Leben wie mit diesem Spiel."

Der strenge pädagogische Blick steht schon am Anfang der Puzzle-Historie. Der Kupferstecher John Spilsbury klebte Ende Jänner 1766 eine Landkarte des britischen Königreichs, damals England und Wales, auf eine Holzplatte und zersägte diese an den Grenzlinien der Grafschaften.

Das Länder-Klein zum Zusammenlegen bot Spilsbury als "Lehrmittel zur Erleichterung des Erdkundeunterrichts" an. Etwa 100 Jahre später bekam das Legespiel eine neue Qualität. Es wuchs neu zusammen, was zusammengehört. Nicht mehr die Konturen des Motivs bestimmten die Elemente, sondern das Bild wurde scheinbar wahllos in individuelle Einzelteile mit Ein- und Ausbuchtungen aufgeteilt. Das Steckspiel, das sogenannte "Interlocking Puzzle", wie es bis jetzt bekannt ist, entstand.

Verzweigt und verschnörkelt

Damals eine diffizile Angelegenheit. Denn das Ausschneiden der Einzelteile brauchte eine ruhige Hand, wofür meist Frauen gefragt waren. Bei den Parker Brothers, einer 1883 an der Ostküste der USA gegründeten Spielefirma, hatten die Schneiderinnen eine Tagesnorm von 1.400 Teilen. Nicht nur Landkarten zerschnipselten sie, der Postkutschenüberfall im Wilden Westen, das Football-Spiel, die Seeschlacht. Das Puzzle erweiterte seinen Lebensbereich.

Später wurde Carmen, die für ihren Escamilio tanzt, in 421, der Frühling in Mexiko in 200 oder Kutschen auf den Champs-Élysées in 353 Teile zerlegt, die seinerzeit sehr viel schnörkeliger und verzweigter waren als heute.

Wahrscheinlich gibt es kaum ein Motiv, das bis heute nicht verpuzzelt wurde, ob 25 verschiedene Nudelsuppen auf einmal, eine Vampirparty oder die Großglockner-Hochalpenstraße im Abendlicht. Nicht zu vergessen die spätestens in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts aufgekommene Mode, das vollendete Bild als Trophäe an die Wand zu nageln.

Dieser Freude macht die Gigantomanie im Geschäft ein Ende. Wer hat schon mal eben eine Wand von 8,64 mal 2,04 Meter frei? Schon solch ein Fußboden zu Hause ohne Sessel und Sofa ist selten. Die Größe aber bräuchte man für das derzeit größte serienmäßige Puzzle der Welt: Travel around Art, eine Reise durch die Malerei-Geschichte mit Werken von da Vinci, van Gogh oder Klimt. Allein das Sortieren der 54.000 Teilchen dürfte einige Tage dauern.

Teile zum Aussortieren

Die Welt der ausgefallenen Puzzles erschöpft sich nicht in Übergröße. Spiele, die auf beiden Seiten mit unterschiedlichen Motiven bedruckt sind, gibt es schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Andere, wo Teile mitgeliefert werden, die zum Lösen überhaupt nicht nötig sind und aussortiert gehören, foppen erst seit kurzem die Puzzle-Gemeinde.

Vermeintlich leicht, dabei aber besonders vermaledeit ist das Shmuzzle, 1976 vom amerikanischen Mathematiker Sam Savage erfunden. Nur 168 Teile, dafür im Umriss völlig identisch und oft mit immer wiederkehrenden gleichen grafischen Motiven.

Wer ein Puzzle ohne Sperenzien und Sonderformen möchte, macht sich selbst daran. Auf zahlreichen Seiten lässt sich der letzte Urlaub, die vorerst letzte Party oder das Lieblingsrestaurant nach bestem Gewissen zerlegen. Wer die Nase voll von den permanenten Videocalls hat, kann sich ein neues Bild vom Freundeskreis machen.

So werden die in der Pandemie oftmals auseinandergerissenen Bande der gemeinsamen Abendessen, Shopping-Spaziergänge oder des Sportstudio-Schwitzens wenigstens wieder analog zusammengesetzt. Und den Freundschaften wird Stück für Stück zu neuem Glanz verholfen. (Caroline Wesner & Oliver Zelt, RONDO, 22.11.2021)