In Österreich ist ein Schulpsychologe durchschnittlich für rund 5.200 Schülerinnen und Schüler zuständig. Eine kontinuierliche, tiefergehende Betreuung ist dadurch unmöglich, die Corona-Pandemie hat die Lage zusätzlich verschärft. Ängste, depressive Stimmungen, Schulangst, Schlafprobleme und Essstörungen haben in den vergangenen eineinhalb Jahren zugenommen, berichten die Leiter der Schulpsychologischen Abteilungen in Wien, Salzburg und der Steiermark.

Ängste, Depressionen und Schlafprobleme haben während der Pandemie auch unter Schulkindern und Jugendlichen zugenommen.
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Wie dramatisch die Lage für die psychische Gesundheit mancher Kinder und Jugendlicher ist, zeigen unter anderem die Zahlen der Hotline "Rat auf Draht", bei der sich junge Menschen melden können, wenn sie Probleme haben. Zwischen März 2020 und Februar 2021 sind die Anrufe und Chats zum Thema Überforderung mit der Schule und dem Homeschooling um 159 Prozent gestiegen, über sechzig Prozent mehr Anfragen gab es aufgrund von Ängsten.

Aufstockung um zwanzig Prozent

Das Bildungsministerium hat auf die Entwicklung mit einer Aufstockung der Schulpsychologen von 181 auf 211 Stellen reagiert. "Natürlich ist jede Unterstützung hilfreich", sagt dazu Jürgen Bell, Leiter der Schulpsychologie und des schulärztlichen Dienstes in der Bildungsdirektion Wien. "Eigentlich müsste man das System aber komplett neu denken", findet er. "Die Schulen sollten ein autonomes Budget für Personal zur Verfügung haben, so könnten sie selbst entscheiden, ob sie jemanden im Sekretariat brauchen, eine Sozialarbeiterin oder einen Psychologen." Nur so könne man tatsächlich vor Ort auf aktuelle Entwicklungen reagieren.

Josef Zollneritsch, Leiter der Schulpsychologie in der Bildungsdirektion Steiermark, gibt ihm recht. "Die Schulen, die Bedarf haben, könnten rasch reagieren." Schließlich seien die Standorte sehr unterschiedlich, aber alle seien im gleichen System verankert.

"Schulpsychologen abgekapselt"

Kein gutes Urteil fällt Bildungspsychologin Julia Holzer von der Universität Wien über die aktuelle Organisation der Schulpsychologie. An manchen Schulen finden nur alle zwei Wochen Sprechstunden statt, andere Schülerinnen und Schüler müssen überhaupt zum Standort der Schulpsychologie anreisen, wenn sie Hilfe brauchen. "Die Schulpsychologen sind dadurch vom Schulbetrieb abgekapselt", sagt die Wissenschafterin. "Das erschwert es, näher mit dem Lehrpersonal zusammenzuarbeiten und Schülerinnen gemeinsam kontinuierlich zu begleiten."

Oft brauche es in Krisensituationen im Klassenzimmer aber sofort Hilfe. "Wenn dann eine Woche später jemand fragt, ob er helfen kann, ist das Problem oft nicht mehr aktuell, weggeschoben oder anderweitig gelöst."

Doppelt so viel Personal nötig

Mit den Anfragen, die seine Behörde derzeit habe, würde er eigentlich doppelt so viel Personal brauchen, sagt Psychologe Zollneritsch. Vor allem in der Oberstufe würden Jugendliche verstärkt an Depressionen leiden. Der Leistungsdruck sei nach dem Homeschooling hoch, viele hätten nach der langen Isolation im Lockdown soziale Ängste – etwa Sorgen, weiterhin zu ihrer Peer-Group zu gehören.

Selbst wenn diese psychischen Probleme von Schulpsychologen erkannt würden, gebe es für eine weiterführende Therapie zu wenige Möglichkeiten. "Vor allem bei uns am Land haben wir ein Versorgungsproblem", sagt Zollneritsch. "Fünfzig Prozent der Therapieplätze in Österreich sind in Wien." Mit dem Verein Help4you versucht der Schulpsychologe Abhilfe zu schaffen und bietet dort Kindern und Jugendlichen mit der Hilfe von Sponsoren einen Kostenzuschuss für Therapiestunden an.

Keinen Anstieg an Anfragen verzeichnet die Abteilung für Schulpsychologie und schulärztlichen Dienst in Salzburg. "Aber die Art der Anfragen hat sich verändert", sagt Leiterin Helene Mainoni-Humer. Es gebe mehr Fälle von Schulangst oder -unlust. "Bei jenen Kindern und Jugendlichen, die weniger Unterstützung von zu Hause bekommen haben, waren die Auswirkungen größer." Zudem würden sich öfter Jugendliche mit Essstörungen bei der Behörde melden. Ein Grund dafür sei der verstärkte Social-Media-Konsum während der Lockdowns, sagt Mainoni-Humer.

Ministerium verweist auf Verbesserungen

Auch wenn sie lediglich drei Psychologen mehr durch die Aufstockung des Bildungsministeriums anstellen konnte, ist Mainoni-Humer dankbar. "Das war der erste Ausbau innerhalb von zehn Jahren."

Auch das Bildungsministerium verweist in seiner Stellungnahme auf die bereits gesetzten Verbesserungen und das zusätzliche Personal. "Die Schulpsychologen sind bereits direkt von den Schulen abrufbar und durch die Aufstockung auch wesentlich präsenter an den Schulen als vorher." Es gebe mehr Sprechtage, auch eine Hotline sei eingerichtet worden. "Der Minister hat genau diese erhöhte Präsenz auch vorangetrieben." Darüber hinaus sind derzeit keine Verbesserungen geplant. (Lisa Kogelnik, 16.11.2021)