Microsoft greift wieder einmal zu zweifelhaften Methoden, um die Nutzung des eigenen Browsers Edge zu befeuern.

Grafik: Microsoft

Gerne stellt sich Microsoft als geläutertes Unternehmen dar. Die Zeiten, in denen man die eigene Marktmacht rund um Windows schon einmal recht offensiv ausnutzte, seien lange vorbei. Stattdessen soll das Betriebssystem eine neutrale Plattform bilden, auf der alle erfolgreich sein können – ganz im Gegenteil etwa zu Apples iOS, wo der Hersteller strikte Kontrolle ausübe. Eine Argumentation, die allerdings noch überzeugender wäre, wenn sie Microsoft nicht mit seinen eigenen Handlungen unterlaufen würde.

Drängelei

In den vergangenen Monaten hat Microsoft zunehmend offensivere Schritte gesetzt, um Windows-Nutzer zur Verwendungen des eigenen Edge-Browsers zu drängen. So werden etwa sämtliche Link-Aufrufe aus Systemprogrammen wie Startmenü und Suche, aber auch Apps wie Wetter und News immer in Edge geöffnet – egal welcher Default-Browser gewählt wurde. Das sorgte nicht nur für Aufregung, sondern auch für die Entwicklung eines Tools namens EdgeDeflector, das solche Links umbog, also wieder die direkte Öffnung in Firefox, Chrome und Co erlaubte.

Dem schiebt Microsoft nun einen Riegel vor: In der aktuellsten Vorschauversion für Windows 11 (Build 22000.346) funktioniert EdgeDeflector nicht mehr. Man habe einen Fehler, durch den sich diese "microsoft-edge:"-Links umbiegen lassen, bereinigt, schreibt denn auch Microsoft in den zugehörigen Release Notes.

Vorgeschichte

Zuletzt soll EdgeDeflector bereits mehr als eine halbe Million Nutzer gehabt haben. Dass Microsoft nun dagegen vorgeht, dürfte aber einen anderen Grund haben. Hatte doch vor einigen Wochen der alternative Browser Brave eine ähnliche Funktionalität in den eigenen Browser integriert, und auch Firefox-Hersteller Mozilla signalisierte ähnliche Pläne. Diesem Trend wollte Microsoft nun offenbar so schnell wie möglich entgegenwirken.

Reaktionen

Der Entwickler von EdgeDeflector ist über diese Entwicklung, wie zu erwarten, wenig erfreut. In einem Blogeintrag übt er scharfe Kritik an Microsoft. Das Unternehmen priorisiere zunehmend Werbung, Abodienste und vorinstallierte Software über die freie Wahl der Konsumenten. Ähnlich verärgert ist man offenbar bei Mozilla, wo man Microsoft dazu auffordert, endlich die Browserwahl der Nutzer zu respektieren. Dem hält Microsoft in einer Stellungnahme gegenüber "The Verge" die eigene Sichtweise entgegen. Es gehe hier um "Ende-zu-Ende-Nutzererfahrungen sowohl in Windows 10 als auch Windows 11", die von Dritten gekapert werden. Der Aufruf auf der Taskbarsuche sei nun einmal nicht dazu gedacht, auf andere Browser umgeleitet zu werden.

Der aktuelle Vorfall ist auch bei weitem nicht der erste solche im Zusammenhang mit Windows 11. So hatte es Microsoft erheblich mühsamer gemacht, den Default-Browser zu wechseln. Auch hier hat Mozilla einen Workaround entwickelt, der aber nur verfügbar ist, wenn man den Browser direkt von der Webseite des Herstellers bezieht. In der über den Microsoft Store vertriebenen Firefox-Ausgabe findet sich das hingegen nicht, was nahelegt, dass der Windows-Hersteller im Hintergrund Druck ausgeübt hat.

Kartellverfahren

Immer wieder hatte Microsoft über die Jahre mit zweifelhaften Maßnahmen versucht, seinen Browser über die eigene Windows-Dominanz zu pushen. Anfang der 2000er-Jahre hatte dies dem Unternehmen gar eine Kartellklage der EU eingebracht, die schlussendlich in eine verpflichtende Browserauswahl beim Einrichten von Windows mündete. Über die Jahre hat Microsoft aber dermaßen stark Marktanteile am Browsermarkt verloren, dass man offenbar davon ausgeht, wieder zu solchen Methoden greifen zu können, ohne sich neuen Klagen auszusetzen. Eine Art argumentatorischen Schutzschild bildet dabei Apples iOS, bei dem es generell nicht möglich ist, einen vollständig unabhängigen Browser zu nutzen. Auch Chrome, Firefox und Co sind dort nur alternative Oberflächen für Apples Rendering Engine Webkit.

Alternative Lösungen

Ganz wird Microsoft mit dem aktuellen Update das "Problem" der Umleitung solcher Edge-Links allerdings nicht in den Griff bekommen – gibt es doch mittlerweile Tools wie MSEdgeRedirect, die im Hintergrund dauerhaft laufen und sämtliche derartigen Links abfangen und an den Default-Browser weiterleiten. Das funktioniert zwar zuverlässig, heißt aber eben auch, dass man diesem Tool schon einiges Vertrauen entgegenbringen muss. Immerhin könnte es theoretisch allerlei sensible Daten mitlesen. Insofern drängt Microsoft jene Nutzer, die nicht auf Edge gezwungen werden wollen, also zur Nutzung einer wenig sicheren Lösung.

Befremdliche Drängelei

Microsoft hat für diese Schritte in den vergangenen Monaten nicht nur viel Kritik, sondern auch einige Verwunderung kassiert. Immerhin hat die neue, auf Googles Chromium-Projekt basierende Version von Edge ohnehin viel Lob erhalten. Solche Tricksereien führen hingegen dazu, dass man einen Teil der Nutzer erst recht wieder verschreckt und der Eindruck entsteht, dass jeder Anstieg in den Browserstatistiken auf unlautere Methoden zurückzuführen ist. (Andreas Proschofsky, 16.11.2021)