Wie sähen Straßen aus, die nicht mehr für Autos, sondern nur noch für Fußgänger und Radfahrer geöffnet sind? Am autofreien Sonntag, wie hier in Brüssel, bekommen die Bewohner ein Bild davon.

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Die Frage, welche Rolle Autos in Zukunft in unseren Städten spielen sollen, führt zu teils heftigen Debatten: Gerade erst verhandelten Staatschefs und Minister beim Klimagipfel in Glasgow darüber, wie Dieselautos in den nächsten Jahren von Elektroautos abgelöst werden können. Aktivisten forderten hingegen, die Sinnhaftigkeit von Autos in Städten generell infrage zu stellen. Auch Elektroautos stellten eine Gefahr für Fußgänger und Radfahrer dar, lösten das Stauproblem nicht und führten erst viel später zu einer Reduktion von Emissionen, als wenn Städte gleich mehr auf öffentlichen Nahverkehr, Fußgänger- und Radwege setzen, so deren Argumentation.

Die Herausforderung ist jedenfalls enorm: 2030 werden laut Uno 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Mitte des Jahrhunderts könnten es dann bereits 68 Prozent sein. Das führt aller Voraussicht nach zu mehr Verkehr, mehr Staus und einer höheren Luftverschmutzung. Schuld daran sind für viele immer noch die vielen Privatautos, für die es in Städten zu viele und billige Parkplätze gebe und die wertvollen Platz für Grünflächen und andere Verkehrsmittel wegnähmen. Selbst autonome Autos, deren großflächiger Einsatz immer noch weit entfernt ist, können den Verkehrsbedarf nicht bewältigen und erst recht zu einer Verstopfung der Straßen führen, schreiben Wissenschafter des MIT.

Anreize oder Verbote

Einige Städte wollen daher in Zukunft zumindest teilweise oder auch ganz autofrei werden. Einige Bewohner befürchten, dass dadurch viele Annehmlichkeiten wegfallen, die Innenstädte und Geschäftsstraßen aussterben und ältere Menschen oder Familien, die im Alltag auf ein Auto angewiesen sind, ausgegrenzt werden. Befürworter erwarten sich hingegen eine höhere Lebensqualität durch mehr Begegnungszonen, Grünflächen, Ruhe, eine bessere Luftqualität, gut ausgebaute Öffis und Platz, um öfter zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren.

Aber schon der Weg zur autofreieren Stadt ist nicht ganz klar: Braucht es dafür mehr Anreize, beispielsweise, indem Tickets für öffentliche Verkehrsmittel billiger und Parktickets teurer werden? Oder doch eher Verbote, die gewisse Gebiete für bestimmte Zeiten für bestimmte Autos sperren? Tatsächlich haben einige europäische Städte begonnen, mit beiden Ansätzen zu experimentieren. Wie gut funktioniert das?

Ljubljana: Autofreie Zonen

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Ljubljana will den Autoverkehr im Zentrum durch spezielle Zonen einschränken.
Foto: AP Photo/Darko Bandic

Neben bekannten, weitgehend autofreien Städten wie Venedig ist es allen voran Ljubljana, die Hauptstadt Sloweniens, die bereits seit längerem auf eine autofreie Innenstadt setzt. Schon 2007 führte man dort einen Stufenplan zur schrittweisen Umsetzung einer autofreien Innenstadt und einem Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln und Radwegen ein. Einige Zonen wurden zu autofreien Zonen erklärt, in denen lediglich Zulieferer zu bestimmten Zeiten einfahren dürfen. Gleichzeitig wurden die Radwege ausgebaut. Laut Stadtregierung habe das dazu beigetragen, Emissionen und Lärm in den Zonen deutlich zu reduzieren.

Allerdings gab es im Vorfeld und während der Umsetzung auch Proteste. Einige Bewohner fürchteten, dass sie nur mehr schwer zu ihren Wohnungen gelangen würden und die Mobilität insgesamt eingeschränkt sein würde. Eine weitere Hürde bestand darin, Straßen und Plätze, die unter Denkmalschutz stehen, einer fußgängerfreundlicheren Veränderung zu unterziehen. Letzten Endes hätten sich aber die Bewohner mit der Zeit an die Veränderungen gewöhnt und seien zu großen Teilen damit zufrieden, heißt es in nationalen Umfragen. Auch die Fahrradnutzung sei seither gestiegen.

Paris: Auf dem Weg zur 15-Minuten-Stadt

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Am autofreien Tag in Paris, der immer am 19. September stattfindet, füllen sich die Straßen mit Fußgängern.
Foto: AP Photo/Lewis Joly

Schon jetzt findet einmal im Jahr in Paris ein autofreier Tag statt, an dem die Bewohner zu Fuß oder mit dem Rad die Straßen zurückerobern. Seit der Pandemie hat die Stadt zudem viele Pop-up-Radwege zu fixen Radwegen ausgebaut. Ab 2024 dürfen in der Stadt keine Dieselautos mehr unterwegs sein, 2030 dann auch keine Benzinautos mehr. Zudem will man bis 2025 die gesamte Busflotte elektrifizieren.

Zentrales Konzept der Bürgermeisterin Anne Hidalgo ist es, Paris in eine 15-Minuten-Stadt zu verwandeln, in der alle Bedürfnisse der Bewohner in einem Umkreis von 15 Minuten gedeckt werden können. Erreicht werden soll das mithilfe von öffentlichen Verkehrsmitteln, Bike- und Carsharing und Taxis. 250 Millionen Euro sollen in den nächsten vier Jahren etwa in den Ausbau der Radwege investiert werden.

Ab kommendem Jahr soll es zudem limitierte beziehungsweise verkehrsberuhigte Zonen im Zentrum geben, in die nur Bewohner, Touristen, Verkäufer oder Taxis mit dem Auto einfahren dürfen. Das Zentrum einfach als Durchfahrtszone zu benutzen – also ohne anzuhalten, durchzufahren – soll damit verboten werden. Das würde laut Regierung immerhin 55 Prozent des derzeitigen Verkehrs und durchschnittlich mehr als 100.000 Autos pro Tag betreffen. Auto-Befürworter haben seither zu Protesten gegen die Bürgermeisterin aufgerufen.

Barcelona: Superblocks

Die sogenannten Superblocks in Barcelona sollen Wohnviertel fußgänger- und kinderfreundlicher machen.
Foto: Josep LAGO / AFP

Sie sind 400 Meter lang und 400 Meter breit: Die sogenannten Superblocks in Barcelona. Während der Autoverkehr rund um die Blocks geleitet wird und an bestimmten Stellen nur Einsatzfahrzeuge oder Anrainer einfahren dürfen, ist das Innere eine weitgehend autofreie Zone, die hauptsächlich Fußgängern oder Radfahrern dient und in der es mehr Grünflächen und Begegnungszonen geben soll.

Seit 2016 setzt Barcelona auf die Superblocks, insgesamt sollen mehr als 500 davon in der Stadt entstehen und 60 Prozent der bisher von Autos genutzten Straßen für einen anderen Nutzen frei werden. Laut einer Studie des Barcelona Institute for Global Health können die Superblocks die Luftverschmutzung in der Stadt um 24 Prozent, den Straßenlärm und den Effekt von Hitzeinseln reduzieren. Pro Jahr sollen dadurch 667 vorzeitige Todesfälle verhindert werden. Auch die Besucherzahlen vieler Geschäfte seien nicht eingebrochen, stattdessen seien sogar einige neue kleinere Läden entstanden, heißt es von der Stadtregierung.

Autos außen, Fußgänger und Radfahren innen – das ist die Idee der Superblocks.
Illustration: Fatih Aydogdu

Aufgrund ihres bisherigen Erfolges wollte man die Superblocks auch in Wien umsetzen. Ein angedachtes Projekt in Wien Leopoldstadt wurde allerdings bis auf weiteres verschoben. Stattdessen soll es nun ein erster "Supergrätzel" in Wien Favoriten geben.

Wien und Graz: Mehr Platz ohne Auto

Geht es nach der neuen Stadtregierung, soll die Grazer Innenstadt bald mit weniger Autos auskommen.
Foto: APA/INGRID KORNBERGER

Auch in Wien wird Zu-Fuß-Gehen und Radfahren immer beliebter. Laut einer Studie ist der Anteil der zu Fuß zurückgelegten Wege im Vorjahr von 28 auf 37 Prozent gestiegen, der Anteil der mit dem Rad zurückgelegten Wege von sieben auf neun Prozent. Zwar machen Autofahrten bereits weniger als ein Drittel des Verkehrsgeschehens aus und es gibt mit rund 374 Autos je 1.000 Einwohner weit weniger Autos als im Rest Österreichs. Dennoch nehmen Autos verhältnismäßig viel Fläche ein: Rund 65 Prozent der Fläche in der Stadt gehen für Parkplätze und Straßen drauf.

Bis 2030 soll der Anteil der Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden, laut Stadtregierung von derzeit 27 auf 15 Prozent sinken. Gelingen könnte das neben einem Ausbau der Radwege etwa auch mit höheren Parkgebühren oder verkehrsberuhigten Wohngebieten, heißt es von der Initiative "Platz für Wien". Die Forderung der Initiative: Wien nicht ganz autofrei machen – Ausnahmen für Krankentransporte, Zulieferer und andere notwendige Mobilität müsse es weiterhin geben –, aber zumindest mit weniger Autos die Stadt lebenswerter machen.

Nicht zuletzt soll auch die Grazer Innenstadt bald weitgehend vom Autoverkehr befreit werden. "Ich finde, dass mit Ausnahme der Bewohnerinnen und Bewohner der Innenstadt, für die Ladetätigkeit und natürlich für Behindertenparkplätze niemand mit dem Auto privat in die Innenstadt fahren muss", sagte die nunmehrige Bürgermeisterin und ehemalige Stadträtin Elke Kahr vor einigen Monaten. Gleichzeitig sollen vor allem die Straßenbahnen und Radwege in der Stadt gestärkt werden. (Jakob Pallinger, 22.11.2021)