Die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze eskalierte am Dienstag.

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In der Krise um die Migranten an der belarussisch-polnischen Grenze ist weiterhin keine Lösung in Sicht. Russlands Präsident Wladimir Putin telefonierte am Dienstag erneut mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Dieser ordnete am Abend an, Frauen und Kinder unter den Flüchtlingen in einem Logistikzentrum bei Grodno unterzubringen. Am Vormittag war es an der polnisch-belarussischen Grenze zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen.

Am Abend meldete der polnische Grenzschutz, die Lage bei dem Übergang Kuźnica-Brusgi habe sich wieder beruhigt. "Momentan kehren die Ausländer vom Grenzübergang Kuźnica-Brusgi auf das Gelände des früheren Zeltlagers zurück, das sich ein paar hundert Meter weiter an der Grenzlinie befindet", teilten die Grenzschützer am Dienstag via Twitter mit. Dazu posteten sie ein Video, das Menschen am Waldrand hinter der Grenzbefestigung zeigt, die sich an Lagerfeuern wärmen.

Telefonat mit Putin, Telefonat mit Merkel

Bei dem Telefonat Putins mit Lukaschenko sei es um die Lage im Grenzgebiet gegangen, teilte der Kreml am Dienstag in Moskau mit. Zudem hätten die beiden Staatschefs darüber gesprochen, wie die Grenzen des gemeinsamen Unionsstaates geschützt werden könnten, meldete die belarussische Staatsagentur Belta. Details wurden zunächst nicht genannt. Beide Präsidenten hatten bereits vergangene Woche telefoniert.

Lukaschenko informierte Putin demnach auch über sein Telefonat mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel vom Vortag. Es war Merkels erstes Gespräch mit dem Machthaber seit der umstrittenen Präsidentenwahl im August vergangenen Jahres in Belarus. Die EU erkennt Lukaschenko wegen des Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten nicht mehr als Präsidenten an.

Lukaschenko wird beschuldigt, in organisierter Form Flüchtlinge aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen. Vermutet wird, dass er sich damit für Sanktionen rächen will, die die EU wegen der Unterdrückung der Zivilgesellschaft und der Opposition in Belarus erlassen hat.

Die polnischen Einsatzkräfte setzten Wasserwerfer ein.
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Gewaltvorwürfe

An dem Grenzübergang Kuźnica-Brusgi, wo sich seit Montag auf der belarussischen Seite der Grenze eine große Flüchtlingsgruppe aufhält, war die Situation am Dienstagvormittag zeitweilig eskaliert. Polnische Sicherheitskräfte setzten nach übereinstimmenden Berichten aus Polen und Belarus Wasserwerfer gegen die Flüchtlinge ein. Das Verteidigungsministerium in Warschau sprach von einem "Angriff der Migranten" am Grenzübergang Kuźnica. "Die Angreifer waren vor allem junge, aggressive Männer", schrieb die Behörde auf Twitter.

Die Menschen seien von der belarussischen Seite mit Knallgranaten und Tränengas ausgestattet worden, sagte ein Sprecher der polnischen Polizei. Sie hätten die Beamten auch mit Steinen beworfen. Eine Grenzschutzbeamtin, ein Soldat und ein Polizist wurden demnach verletzt. Die Auseinandersetzungen waren polnischen Angaben zufolge nach zwei Stunden beendet. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen, da Polen keine Medien für eine Berichterstattung aus der Grenzregion zulässt.

Nachtlager werden errichtet

Unterdessen ordnete Lukaschenko die Errichtung eines Nachtlagers für einen Teil der Migranten nahe der polnischen Grenze an. In der Region Grodno werde ein Logistikzentrum so umfunktioniert, dass Frauen und Kinder dort übernachten könnten, meldete die Staatsagentur Belta am Dienstagabend. Auf beigefügten Fotos ist zu sehen, wie Menschen in einer Halle Matten und Decken ausbreiten.

Zu einer Deeskalation an der Grenze rief am Dienstag indes das Rote Kreuz auf: "Zumindest zehn geflohene Menschen dürften bereits gestorben sein", sagte der Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes, Michael Opriesnig. Nachdem das belarussische Rote Kreuz teilweise Zugang zu den Menschen an der Grenze bekommen und dringende Nothilfe geleistet habe, müsse dieser Zugang regulär auch auf der polnischen Seite gewährleistet werden, forderte Opriesnig. Angesichts fallender Temperaturen gelte es, Todesfälle zu verhindern. (APA, 16.11.2021)