Der deutsche Sportmediziner Horst Schüler hat im Vorjahr die "Laufmaus" auf den Markt gebracht. Das Ding soll die Körperhaltung beim Laufen revolutionieren – und gilt als hippes "Must-have". Aber: Wird hier das Rad wirklich neu erfunden?

Ja, es funktioniert. Und zwar so, dass man es spürt. Zumindest dann, wenn man – arrogant gesagt – technisch nicht ganz sauber läuft: Wer da zur "Laufmaus" greift, merkt auf dem ersten, zweiten oder spätestens dritten Meter, dass irgendwas anders ist. Auch wenn er oder sie dieses "Anders" oft gar nicht genauer beschreiben kann. Und ziemlich sicher nicht sagen wird: "Tatsächlich, ich merke, dass ich jetzt besser laufe" – obwohl es genau so ist: Mit der Laufmaus läuft man besser. Punkt. Aber: aber.

Bevor wir zum Aber kommen, muss jedoch noch erklärt werden.

Zum einen natürlich, was die "Laufmaus" überhaupt ist.

Zum anderen, dass die Versuchs- und Erfahrungsannahme des ersten Absatzes unrealistisch ist. Weil niemand das Plastikteil, das der Münsteraner Sportmediziner und Osteopath Horst Schüler im Vorjahr auf den Markt brachte, kauft und damit losläuft, ohne sich davor zu informieren, wofür man 80 Euro auf den Tisch legt.

Foto: Thomas Rottenberg

Wobei das Informiertsein – oder Sich-informiert-Fühlen – nicht schwer ist: Kaum ein deutschsprachiges Laufmagazin hat seit Jahresbeginn nicht über die Wunder geschrieben, die das 70 Gramm leichte Plastikteil bei Läuferinnen und Läufern angeblich vollbringt: Körperhaltung, Atmung, Lauftechnik – alles wird besser. Bei Anfängern ebenso wie bei Geübten – und der Elite.

Auch wenn man ohnehin "sauber" läuft: Das Teil erinnert nämlich nicht nur an die Eckpunkte korrekter Lauftechnik, sondern triggert, woran man sonst bewusst denken müsste, automatisch. Daran stimmt jedes Wort: Die Laufmaus funktioniert.

Foto: Thomas Rottenberg

Das sage ich nicht, weil mich der PR-Tsunami, der die deutsche Laufmedienszene seit dem Moment, als Horst Schüler im Vorjahr in der TV-Investorensuchsendung "Die Höhle der Löwen" knapp 300.000 Euro abholte, überrollt, auch erwischt hätte: "Austria is too small a country …" oder eben "market".

Nicht zuletzt, weil die über einschlägige Magazine und buchbare Influencerinnen erreichbare Klientel aus hierzulande ohnehin dort mitliest. Das führt dazu, dass Österreich, was Lauf-Presse- und -Medienbetreuung angeht, bei fast allen Labels unter dem Radar unterwegs ist. Aber das ist eine andere Geschichte.

Foto: Thomas Rottenberg

Mich haben im Spätsommer ein paar Läuferinnen (es waren nur Frauen) gefragt, was ich von dem Ding halte.

Ich war ahnungslos, fragte "Lauf-what?" – und staunte, als ich mich durch die Laufportalwelt klickte: 80 Euro für 70 Gramm Plastik? Oida!

Wenig später stand ich im Liesinger Laufshop meines Freundes Ed, sah die Maus das erste Mal "in echt" – und war skeptisch.

Ein paar Mails und Tage später hatten wir dann zwei Test-"Geräte" (für unterschiedliche Handgrößen) daheim, rannten los und stellten überrascht fest: Ja, das Ding funktioniert. Tatsächlich, spürbar und gut.

Foto: Thomas Rottenberg

Was die Laufmaus tut, ist leicht erklärt: Sie hilft durch ihre Form und die dadurch vorgegebene Art, sie zu greifen, beim Laufen die richtige Handhaltung einzunehmen – und zu halten.

Laut Lehrbuch sollte der Daumen beim Laufen locker (!) etwa auf dem letzten Zeigefingergelenk liegen. Oder knapp darüber schweben. Das führt – vereinfacht gesagt – von selbst zu einer lockeren, nicht ganz geschlossenen Hand, die dadurch nicht einfach baumelt, sondern aufgerichtet ist: Die Linie der Fingerknöchel zeigt nach unten, während die Arme sich im Schrittrhythmus leicht schräg vor und zurück bewegen – mit einem knapp spitzen Winkel im Ellenbogen, der tunlichst gleich bleibt. Simpel formuliert.

Das Schlüsselwort bei alledem lautet: "locker".

Foto: thomas rottenberg

Diese leichte, rollende Hand- und Armhaltung und -Bewegung setzt sich – weiterhin: unwissenschaftlich simplifiziert – in den Schultern fort. Der Brustraum kann sich weiten, und schon atmet es sich leichter. Der Nacken streckt sich – und das überträgt sich auf den ganzen Körper: Der Kopf sitzt unverkrampft auf dem Hals, der Rücken streckt sich, die Rumpfmuskulatur wird aktiv – und dieses Mehr an Körperspannung, diese insgesamt bessere Haltung macht den Wechsel vom gängigen Fersenwatscheln zu echtem Laufen (und sauberem, nachhaltigem Gehen) leichter. Unwissenschaftlich gesagt.

Genau das ist auch ein Trick – und Benefit – des Nordic Walkings: Wer die Stöcke dort richtig hält und korrekt einsetzt, geht deutlich aktiver und dynamischer.

Foto: ©Markus Steinacher

All das ist allerdings bloß graue Theorie. Schauen Sie, wie Leute rund um Sie laufen. Und beginnen Sie nicht bei Füßen und Beinen, sondern bei den Armen: Natürlich muss jeder und jede den eigenen Stil finden. Es gibt auch nicht eine einzig gültige und zulässig-wahrhaftige Haltung.

Und es macht einen Unterschied, ob Sie gerade Vollgas geben und das letzte Quäntchen Energie aus sich rauszuquetschen versuchen: Da sind geballte Fäusten und verzerrte Mienen normal.

Aber beim normalen, zügigen Laufen sollten Arme, Schultern und Miene entspannt sein. Auch weil das Energie spart. (Und Lächeln schneller macht. Immer.)

Foto: thomas rottenberg

Das Problem ist aber die Praxis: Das Gros der Jedermensch-Läuferinnen und -Läufer hat sich noch nie mit Lauftechnik auseinandergesetzt. Es rennt einfach. Das ist als Einstieg eh gut. Blöderweise übt man da aber dann gerne falsche oder – sagen wir – "suboptimale" Bewegungsmuster ein. Nach ein paar tausend Wiederholungen sind die internalisiert, fühlen sich also "normal" und somit "natürlich" an.

Wenn Ihnen keiner sagt, dass es auf Dauer nicht schlau ist, immer voll auf die Ferse zu knallen, werden Sie genau so laufen. Und weil sich das nicht gut anfühlt, immer den gedämpftesten aller gedämpften Schuhe kaufen. Aber Sie werden keine Sekunde drüber nachdenken, wieso das bei Ihnen so komplett anders aussieht (und klingt) als bei schnellen Leuten.

Und wenn Sie – ohne Betreuung und schlagartig – das dann doch einmal versuchen, geht auch das nicht gut aus.

Foto: thomas rottenberg

Aber wir waren bei den Armen: Da ist es ähnlich – auch wenn das Schädigungspotenzial mangels Impact geringer ist.

Bei der Armhaltung gilt auch für "Wissende" das Gleiche wie bei der (Bein-)Lauftechnik: Niemand macht es durchgehend und immer richtig. Sei es, weil niemand ständig fokussiert, kontrolliert und korrigiert, sei es, weil jeder und jede im Laufe eines Laufes müde wird. Lange bevor Erschöpfung subjektiv spürbar wird, zeigt sich das daran, wie "sauber" man läuft. Oder, um es dort festzumachen, wo es jeder sofort sieht, nordisch marschiert: Nachgeschleifte Stöcke sieht man ja oft.

Foto: thomas rottenberg

Hier setzt Schülers Laufmaus an: Die bringt die Hand automatisch in eine richtige Position – der Rest des Körpers folgt.

Der Fokus liegt da aber nicht auf dem Daumen, sondern auf dem "eingefädelten" Zeigefinger. Der zeigt bei der Laufmaus nach vorne, die anderen Finger liegen plan am ergonomisch geformten Griff.

Die Hand ist eine Spur offener als bei "korrekten" Lehrbuchhandhaltungen, aber das macht nichts: Es geht ja primär um die Lockerheit in der nach vorne gerichteten, leicht eingedrehten Hand – und anders als locker kann man die Maus unmöglich halten. Tolle Sache.

Foto: thomas rottenberg

Aber es gibt ein Aber. Dass die Laufmaus-PR suggeriert, dass hier das Rad nicht einfach neu, sondern überhaupt erst erfunden worden ist, ist normal: So funktioniert Marketing – und bei einem aus dem TV national weltberühmten Start-up, das mit massivem Werbedruck und Inseratenetats an Magazinredaktionen, Testimonials und Influencerinnen herantritt, geht sich redaktionell eben nicht immer alles aus. Etwa der Hinweis darauf, dass all das altbekannt ist, in so gut wie jedem Lauftheoriebuch beschrieben wird und korrekte Hand- und Armhaltung im Grunde seit immer gelehrt und geübt wird.

Und: dass man dafür kein Plastikteil um 80 Euro braucht.

Foto: thomas rottenberg

Die "klassische" Hand- und Armhaltungsschule benötigt nämlich lediglich ein paar Stäbchen. In der Regel Äste oder Holzstücke, es geht aber alles: ein Stift, ein kleiner Stein, ein Feuerzeug (bei rauchenden Läuferinnen und Läufern). Also Material, das sowieso da ist.

Den Stift, das Staberl oder sonst was nehmen Sie so lose in die Hand, dass Sie das Teil gerade nicht verlieren: Ganz automatisch richtet sich jetzt Ihre Hand auf. Der Daumen liegt an oder auf dem Holz – und das eingangs beschriebene Haltungswunder nimmt seinen Lauf.

Foto: thomas rottenberg

Ergänzend oder alternierend können Sie auch ein Staberl in die Ellenbeuge zwicken: Solange Sie das beim Laufen nicht verlieren, sind Sie ziemlich sicher ziemlich richtig unterwegs.

Und haben – abgesehen von der Kostenersparnis – einen gewaltigen Vorteil: Sie müssen nicht den ganzen Lauf über ein Plastikteil mitschleppen. Denn dass jemand durchgehend an der Handhaltung arbeiten will, ist vorstellbar – aber weltfremd: Auch in der "normalen" Laufschule macht das niemand so. Da rennt man zwischendurch (oder im Zuge oder am Rande des Lauf-Abcs mit einer Gruppe) halt zwischendurch mit Asterln. Und entsorgt sie ökologisch korrekt "on the run".

Foto: thomas rottenberg

Natürlich können Sie jetzt monieren, dass mir die medizinisch-fachliche Autorität fehlt, die Entwicklung eines Sportmediziners, die sogar von Studien bestätigt ist, aus dem (sic!) Handgelenk "gut, aber vor allem ein gutes Geschäft" zu nennen.

Erst recht, wenn die Fachpresse die Laufmaus seit einem Jahr feiert und "Business-Angel" da viel Geld reinpumpen.

Allerdings bin ich in der Rolle des kleinen Buben im Märchen von "Des Kaisers neuen Kleidern" nicht allein: Matthias Marquardt kommt in seiner Videoanalyse der Laufmaus zum gleichen Schluss.

Falls Sie Marquardt nicht kennen sollten: Der deutsche Arzt hat 2005 mit der "Laufbibel" ein Standardwerk zum Thema Laufen geschrieben. Arm- und Handhaltung kommen darin vor. Inklusive Übungen.

Das Buch kostet 35 Euro – nicht einmal halb so viel wie die "Maus". (Tom Rottenberg, 16.11.2021)

Weiterlesen:

Worauf es beim Laufen wirklich ankommt

Foto: © Screenshot aus https://youtu.be/ERFLv3FRSYc