Der Physiker Saad Bhamla vom Georgia Institute of Technology erforschte die optimale Reibung, um mit den Fingern zu schnippen.
Foto: Georgia Tech

Menschen können mit ihren Körpern durchaus kuriose Geräusche erzeugen. Das Schnippen oder Schnipsen mit den Fingern zählt hier vermutlich noch zu jenen, die eher selten ein Naserümpfen hervorrufen, außer es handelt sich um überengagierte Kinder im Klassenzimmer. Im Verhältnis dazu, wie normal Geste und Geräusch für uns sind, wurde es physikalisch kaum erforscht. Aber was steckt hinter dem Schnipsen, das uns kulturell etwa von Body Percussion beim Flamencotanzen, wohlwollender Publikumsbekundung bei Dragperformances oder aus dem Vorspann der Serie "Addams Family" bekannt ist?

Historisch betrachtet ist das Phänomen mindestens 2.300 Jahre alt. Das bezeugt ein Keramikgefäß aus dem antiken Griechenland, das man im British Museum betrachten kann: Hier ist Pan zu sehen, der mythologische Gott von Wald, Wiesen und Wollust, der auch für seinen Gefallen an Musik und Tanz bekannt ist. Und es sieht ganz danach aus, als würde er dabei mit Mittelfinger und Daumen schnipsen (was übrigens nicht die einzig mögliche Technik ist).

Kulturelle Inspirationen

Physikalische Analysen standen jedoch bis vor kurzem aus. Nun fühlte sich ein US-amerikanisches Forschungsteam berufen, dem nachzugehen – inspiriert durch Pan auf der griechischen Vase, aber auch durch den Marvel-Bösewicht Thanos (namentlich angelehnt an den griechischen Todesgott Thanatos), der in der Avengers-Filmserie eine wichtige Rolle spielt. Spoiler: Per Fingerschnips löscht Thanos die Hälfte der Menschheit aus, dabei trägt er einen gepanzerten Handschuh. Könnte er damit überhaupt schnipsen?

Diese Vase, die Pan und eine Mänade beim Tanzen zeigt, demonstriert: Fingerschnipsen geht historisch mindestens aufs antike Griechenland zurück.
Foto: Wikicommons

Diese Frage brachte das Team um Saad Bhamla vom Georgia Institute of Technology dazu, zu eruieren, wie das optimale Schnipsen zustande kommt. Ihre Studie dazu wurde nun im britischen Forschungsmagazin "Journal of the Royal Society Interface" veröffentlicht. Um bei der Bewegung ganz genau hinzuschauen, hatte die Forschungsgruppe unter anderem Highspeed-Kameras und Kraftsensoren im Einsatz und erarbeitete zusätzlich entsprechende Schnips-Simulationen.

Zwanzigmal so schnell wie Blinzeln

Das Ergebnis: Zunächst lässt sich die extrem schnelle Bewegung in mehrere Stufen unterteilen. Dabei griff die Gruppe auf frühere Forschungsarbeiten zu schnellen Bewegungen bei lebenden Organismen zurück. Zunächst baut sich Kraft zwischen Daumen und Mittelfinger auf, die gegeneinanderdrücken. Die Reibung der Fingeroberflächen sorgt dafür, dass die Energie vorläufig gespeichert wird, sofern man nicht sofort abgleitet. Damit wird die Bewegung "verriegelt". Beim Entriegeln rutscht der Mittelfinger am Daumen entlang und dann vorbei. So wird die Energie wie in einer Explosion frei, und das hört man normalerweise auch.

Diese Bewegung ist sehr schnell. Das überraschte sogar Saad Bhamla, der sich sonst mit ultraschnellen Bewegungen von Einzelzellen bis hin zu Insekten beschäftigt. "Das Fingerschnipsen geschieht in nur sieben Millisekunden", sagt Bhamla, "das ist mehr als zwanzigmal so schnell wie das Blinzeln mit den Augen, das mehr als 150 Millisekunden dauert."

Perfektes Schnipsen ohne Handschuhe oder Creme

Diese Geschwindigkeit reicht zwar nicht an die schnellste Rotationsbewegung heran, die der menschliche Körper erwiesenermaßen zustande bringt: Diese wurde nämlich bei professionellen Baseballspielern gemessen, die in der Rolle des Pitchers oder Werfers den Ball in Richtung Baseballschläger schmeißen und dafür das Schultergelenk anstrengen. Dafür ist beim Schnipsen aber die Beschleunigung extremer – sie ist fast dreimal so schnell wie beim Baseballpitchen und damit die schnellste bisher gemessene Winkelbeschleunigung im menschlichen Körper.

Das Team ließ die wissenschaftlichen Erkenntnisse auch von einer Zeichnerin in Comicform bringen.
Foto: Lindsey Leigh for Georgia Tech

Wie sieht aber nun das perfekte Schnipsen aus? Die Haut der Fingerspitzen scheint dafür ein prädestiniertes Material zu sein, meinen die Forscher. Und ihr Geheimnis steckt im Reibungskoeffizienten sowie in ihrer Kompressionsfähigkeit. Das zeigt sich im Vergleich mit anderen Materialien – oder wenn die Hände etwa mit viel Schweiß oder Creme rutschig werden. So kann nicht ausreichend Kraft aufgebaut werden, um die Energie erst zu ver- und dann zu entriegeln. Andersherum lässt sich mit Gummihandschuhen mehr Kraft aufbauen, dafür funktioniert das Gleiten nicht mehr so gut.

Spezialeffekte statt Physik

Auch den Thanos-Effekt prüfte die Forschungsgruppe, und zwar mit Metallaufsätzen für die Fingerspitzen, also quasi Fingerhüten. Damit sank die maximale Schnipsgeschwindigkeit dramatisch: Die Kompressionsfähigkeit des Materials war so viel niedriger, die Reibung ebenfalls. "Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Thanos wegen seines Panzerhandschuhs nicht hätte schnipsen können", sagt Erstautor Raghav Acharya. "Es waren also eher Hollywood-Spezialeffekte als tatsächliche Physik am Werk."

Das Modell der Forschungsgruppe liefert eine Grundlage zum Verständnis, wie andere Tierbewegungen vonstattengehen – etwa das Schnappen der Mandibeln, das bei Ameisen und Termiten beobachtet wird. Auch Anwendungen in der Robotik sind denkbar. Studienleiter Bhamla sagt allerdings, der tatsächliche Zweck der Studie sei, "das erstaunliche Geheimnis zu lösen, das sich direkt an unseren Fingerspitzen abspielt". Und: "Das ist das einzige wissenschaftliche Projekt in meinem Labor, in dem wir mit den Fingern schnipsen und so Daten bekommen konnten." (sic, 17.11.2021)