Wolfgang Mueller, Professor für russische Geschichte an der Universität Wien, kritisiert in seinem Gastkommentar, dass beim Kommunismus gerne ein Auge zugedrückt werde.

"Stadt der Volkserhebung" – so hieß Graz unter NS-Herrschaft, als 1938 einheimische Nazis die Straße eroberten, bevor die deutschen kamen. Heute macht Graz mit einer KPÖ-Bürgermeisterin Schlagzeilen, deren Genossen Diktator Alexander Lukaschenko preisen und den EU-Austritt fordern.

Es soll hier aber nicht argumentiert werden, Graz sei politisch weniger informiert als der Rest Österreichs. Generell drückt man beim Kommunismus gerne ein Auge zu. Frei nach dem Motto: Wenn die Sowjetunion friedlich untergegangen ist, kann es nicht so schlimm gewesen sein. Als später auf dem Wiener Volkstheater der Sowjetstern prangte, gab sich die Mehrheit mit dem Kalauer zufrieden, es handle sich um kein Symbol des Kommunismus, sondern um fünf "V". Während rechtsextreme Symbolik zu Recht mit gutem Grund verboten ist, ist kommunistische hierzulande straffrei.

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Wie viel Kommunismus steckt in der Grazer KPÖ? Und wie gefährlich ist das?
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Das fehlende Problembewusstsein zeigt sich in Einschätzungen, die KPÖ sei die "neue Caritas" oder die "neue Sozialdemokratie". Die "demokratiefeindlichen" (Verfassungsjurist Klaus Poier) Aspekte des klassischen Kommunismus werden nicht berücksichtigt. Dass er nicht nur gerechte oder gleiche Güterverteilung fordert, sondern mit wenigen Ausnahmen und im Gegensatz zur Sozialdemokratie auch die "revolutionäre", das heißt gewaltsame irreversible Machtübernahme abseits freier Wahlen, ist wenig präsent. Dass der Ideologie von Massenmördern wie Lenin, Stalin, Mao, Kim Il-sung, Ho Chi Minh und Pol Pot etwa 100 Millionen Menschen durch Genickschuss, Sklavenarbeit, Aushungerung und Massengewalt zum Opfer fielen, lernen Jugendliche nur am Rande.

Eindeutige Bilanz

Die "Diktatur des Proletariats" wurde von Kommunisten von Beginn als Einparteiendiktatur interpretiert. Seit 1917 wurde KP-Herrschaft üblicherweise durch Gewalt hergestellt und hat danach die Bürgerrechte eingeschränkt und Parteienvielfalt abgeschafft. Fast jede KP weltweit wurde an das sowjetische Modell angepasst und vertrat die von Moskau oder China vorgegebene Politik. Das schloss Putschversuche, die Unterdrückung Andersdenkender, das Bündnis mit beziehungsweise den Kampf gegen Hitler, das Lostreten des Koreakrieges, das Niederwalzen des Prager Frühlings ein. Das gilt auch für die KPÖ, die heute die "friedfertige Politik" des "Realsozialismus" preist.

Das mindert nicht den Wert des Strebens nach gerechter Güterverteilung oder aber die Verdienste von Kommunistinnen und Kommunisten in Bildung, Entwicklung und Widerstand. Aber die Bilanz ist eindeutig. Die Mehrheit lebte im Kommunismus schlechter und politisch weniger frei als in der liberalen Demokratie, die von Kommunisten als "Kapitalismus" verteufelt wurde.

"Die Mehrheit lebte im Kommunismus schlechter und politisch weniger frei als in der liberalen Demokratie."

Das veranlasste "eurokommunistische" Parteien, sich von Moskau und Peking zu distanzieren. Aus dem Ende der UdSSR und den KP-Verbrechen zogen viele die Konsequenz, ihre Partei aufzulösen oder das K-Wort im Namen zu streichen. Nicht so die KPÖ, die viele Reformer hinausmobbte.

Damit stellt sich die Frage, was die KPÖ meint, wenn sie sich noch so bezeichnet. Das Programm der KPÖ Steiermark von 2012 erkennt zwar punktuell die "teils verfehlte Politik", "mit der Person Stalins verbundene Verbrechen" und "dunkle Seiten" des Kommunismus an. Eine tiefere Auseinandersetzung fehlt aber. Dafür beklagt es die Preisgabe von Lenins "Normen", den auf das rücksichtslose Machtmonopol abzielenden Ideen eines Putschisten und Massenmörders. Dessen Oktoberrevolution war nicht im Einklang mit dem Mehrheitswillen, sondern die Terrorherrschaft einer Minderheit. Vom Ende der KP-Diktaturen in Osteuropa erwähnt die KPÖ nur die "katastrophalen Folgen", die in Wahrheit viel weniger katastrophal waren als die Diktaturen. Statt den Gewaltverzicht Michail Gorbatschows zu loben, bezichtigt die KPÖ ihn des "Verrates an der sozialistischen Staatengemeinschaft". Die deutsche Einheit wird als "Verkauf" der "DDR an die BRD" diffamiert.

"Barbarei" und "Dreck"?

Widersprüchlich ist die KPÖ auch bei der liberalen Demokratie. Einerseits akzeptiert das Programm, "dass das Volk auch im Sozialismus ein Recht auf Widerstand beziehungsweise Sturz der Regierenden hat". Sozialismus dürfe nur demokratisch geschaffen werden. Das ist anzuerkennen. Der reale Kommunismus walzte das und alle, die es forderten, nieder.

Andererseits distanziert sich die KPÖ "radikal" von der bürgerlichen Demokratie und diffamiert jede Alternative zum Sozialismus als "Barbarei". Die laut Programm nötige Veränderung könne nur "in einer Revolution vor sich gehen". Dies sei, so Karl Marx, "nötig, weil die herrschende Klasse auf keine andre Weise gestürzt werden" und man nur so "den ganzen Dreck" beseitigen kann. Hält die KPÖ unsere Demokratie für "Barbarei" und "Dreck"? Offenbar, denn für die KPÖ liegt ihr Beitrag darin, "die Kämpfe um Reformen auf einen revolutionären Prozess auf Überwindung des Kapitalismus auszurichten". Die Straße solle Druck "auf die im Dienste des Kapitals tätigen Mandatsträger in den Parlamenten" ausüben.

Druck der Straße

Die KPÖ fordert also eine Revolution. Das verletzt unsere liberale Verfassung, scheint aber niemanden zu interessieren. Sie zitiert Lenin und Marx (gegendert, aber grammatikalisch-inhaltlich falsch) und nennt sich kommunistisch. Sie sollte klären, ob sie weiter Revolutionsfantasien anhängt oder sich zur liberalen Demokratie bekennt und damit vom Kommunismus distanziert. Ihre Koalitionspartner sollten deklarieren, warum sie das Tabu brechen, mit einer Partei zu koalieren, die einen Umsturz fordert. Und Österreich sollte mehr in politische Bildung investieren, damit es kein Land der Volksverwirrung wird (Wolfgang Mueller, 17.11.2021)