Nach dem Wahlsieg der KPÖ tritt am Mittwoch der neu gewählte Grazer Gemeinderat zusammen. Strukturell wird sich auch unter einem KPÖ-Stadtoberhaupt nicht viel verändern, sagt Samuel Stuhlpfarrer, Herausgeber der linken Monatszeitschrift "Tagebuch", im Gastkommentar.

Die Nachricht hätte die antikommunistische Erregung im Nachhall der Grazer Gemeinderatswahl möglicherweise zügeln können: Nach Philipp Sarasin hat die Linke bereits im Jahr 1977 aufgehört, an die Revolution zu glauben ("1977. Eine kurze Geschichte der Gegenwart", Suhrkamp 2021). Seither, so der Schweizer Historiker, gebe es kaum noch jemanden, der die im Bedarfsfall auch handfeste Umwälzung der Verhältnisse im politischen Bauchladen führe. Zur endgültigen Beruhigung der Gemüter sollte der letzthin vorgestellte Koalitionspakt von KPÖ, Grünen und SPÖ gereichen. Wenn Elke Kahr am Mittwoch zur ersten kommunistischen Bürgermeisterin von Graz gewählt wird, droht der Stadt an der Mur allenfalls eine Revolution der Bescheidenheit.

"Ausgerechnet die KPÖ hat der türkisen ÖVP ihre erste Wahlniederlage überhaupt beigebracht."

Kahr und ihre kommunistischen Kollegen im Stadtsenat werden auch weiterhin nicht mehr als 1.950 Euro von ihrem Monatsgehalt behalten, um mit dem Rest Menschen in Not zu helfen. Das hilft dort, wo der zunehmend ausgehöhlte Sozialstaat versagt. Und es gewährleistet, dass sich die öffentlichen Funktionsträger der Partei nicht vom gesellschaftlichen Durchschnitt entfernen. Um die Distanz zwischen Regierenden und Regierten abzubauen, dafür sollen in Graz künftig auch offene Regierungsbüros sorgen. Dass sich die Bescheidenheit der Grazer KPÖ obendrein als Antithese zu den übrigen Parteien erfolgreich politisieren lässt, haben schon die Wahlen vom September gezeigt. Ausgerechnet die KPÖ hat der türkisen ÖVP damals ihre erste Wahlniederlage überhaupt beigebracht, da saß Sebastian Kurz noch im Kanzleramt.

KPÖ-Chefin Elke Kahr will Graz sozial, klimafreundlich und demokratisch-transparent führen.
Foto: APA / Erwin Scheriau

Kein Experiment

Bescheidener ist die lokale KPÖ indes auch in ihren politischen Zielen geworden. Seit zwei Jahrzehnten steht sie in Graz in Regierungsverantwortung. Bemerkenswert war daran bisher, dass sie im Vergleich zu anderen linken Parteien in Mitteleuropa seit der Epochenwende von 1989 bis 1991 erstaunlich prinzipienfest geblieben ist. Als SPÖ und Grüne den drittplatzierten Kommunisten Ernest Kaltenegger im Jahr 2003 zum Bürgermeister von Graz machen wollten, verweigerte sich Kahrs Vorgänger an der Parteispitze dem Experiment. Anders als etwa die Berliner Linke, die zu jener Zeit mit der SPD einen Gutteil des kommunalen Wohnbestands der deutschen Hauptstadt verkaufte, wollte Kaltenegger für ein Amt keine seiner "Haltelinien" aufgeben.

Ein einziges Mal, im Jahr 2014 und just mit der ÖVP, unterschrieb die KPÖ ein Arbeitsübereinkommen. Für ihre Zustimmung zum Doppelbudget 2015/16 mussten die Konservativen am Ende einen Privatisierungsstopp, den Bau von 500 neuen kommunalen Wohnungen, das Einfrieren der städtischen Gebühren und eine Verbilligung der Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr um nahezu die Hälfte hinnehmen. Dieses Übereinkommen verdient vor allem deshalb, erinnert zu werden, weil es den – in der entideologisierten medialen Rezeption der Partei oft vergessenen – programmatischen Horizont der KPÖ andeutet: ein Abgehen vom Primat profitgetriebener privater Akkumulation zugunsten öffentlicher Investments – wenn es sein muss, auch unter Aushebelung des Stabilitätspakts.

Wenige Spielräume

Davon ist im Koalitionspakt von KPÖ, Grünen und SPÖ nur mehr wenig zu lesen, stattdessen von Budgetdisziplin. Es liegt auf der Hand, dass die dringend notwendigen Investitionen in eine ökosoziale Stadtentwicklung so nicht zu stemmen sein werden, zumal es Graz (im Gegensatz zu Wien etwa) an Möglichkeiten fehlt, selbst zusätzliche Einnahmen zu lukrieren.

Zwar will die Rathauskoalition den kommunalen Wohnbau weiter stärken und die Teuerung abfedern. Konkrete Zahlen blieb sie zuletzt jedoch schuldig. Gleiches gilt für den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Auch in Fragen der Alltagskultur sind keine großen Sprünge zu erwarten. Die Alkoholverbotszonen in der Stadt werden vorerst nicht aufgehoben, die städtische Ordnungswache bleibt bestehen. Davon, die in die Holding Graz ausgelagerten städtischen Betriebe zu rekommunalisieren, hat man sich ohnehin schon frühzeitig verabschiedet.

Besseres Leben

Strukturell wird sich in Graz also auch unter Elke Kahr nicht viel verändern. Die Stadt wird besser und sparsamer verwaltet, die wenigen Spielräume, die es gibt, genützt werden. Das ist nicht viel – und gleichzeitig das Beste, was derzeit im Angebot ist. Daran, ob dieses Projekt darüber hinaus dazu in der Lage sein wird, den Glauben an die Veränderbarkeit der Verhältnisse neu zu verwurzeln, wird sein eigentlicher Erfolg zu messen sein. Gelingt der Beweis, dass das alltägliche Leben der allermeisten Menschen in der Stadt tatsächlich zum Besseren verändert werden kann, dann könnten sich am Ende selbst in diesem an relevanten linken Kräften armen Land Möglichkeiten für eine Veränderung der politischen Tektonik auch auf Bundesebene auftun. (Samuel Stuhlpfarrer, 17.11.2021)