Wie Immunzellen (rot und rosa) die Tumorzellen eines Melanoms (gelb) infiltrieren, zeigt diese Aufnahme.

Foto: Translational Research Laboratory, Melanoma Institute Australia

Anna Obenauf zückt die Schlüsselkarte und öffnet die Tür zu Laborraum 3-076. In einer handtellergroßen Petrischale schwappt sanft eine klare, rötliche Flüssigkeit: Zellen eines metastasierenden Tumors in einem Nährmedium. Unter dem Mikroskop sehen sie wie harmlose Ringe und langgezogene Tröpfchen aus. "Die Proben stammen von einem Tumor, der schon Metastasen im Gehirn gebildet hat", sagt die Krebsforscherin.

Obenauf leitet eine Gruppe am Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP). Mit ihrem Team beobachtet sie diese und andere Tumorzellen im Zeitverlauf, denn manche von ihnen werden sich auffällig verändern. Einige werden Resistenzen gegen Medikamente entwickeln und sogar gegen völlig andersartige Therapien unempfindlich werden. Mit diesen Einsichten erregte die Gruppe um Obenauf zuletzt Aufsehen, als die renommierte Fachzeitschrift "Nature Cancer" ihre Forschungsergebnisse zur Covergeschichte erhob.

Neue Möglichkeiten der Krebstherapie stehen im Fokus der Forschung von Anna Obenauf am Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

Wie das Team herausfand, weisen Krebszellen, die gegenüber einer zielgerichteten Therapie resistent geworden sind, Kreuzresistenzen gegen Immuntherapien auf. "Im klinischen Alltag gab es die Beobachtung, dass rund die Hälfte der Patienten auf eine Immuntherapie anspricht, wenn diese als erste Anwendung eingesetzt wird", sagt Obenauf.

Beginne die Behandlung hingegen mit einer zielgerichteten Therapie, sinke diese Quote auf zwölf Prozent, wie ihre Studie belege. "Indem sie gewisse Signalwege verändern, werden Tumoren gegen zielgerichtete Therapien resistent", erläutert sie. "Gleichzeitig verändern sie mit chemischen Signalen ihre unmittelbare Umgebung, wodurch wichtige Zellen der Immunantwort nicht mehr aktiv werden können." Diese Blockade von dendritischen und T-Zellen führe letztlich zu den festgestellten Kreuzresistenzen.

Schwachstellen im System

Seit 2016 leitet die gebürtige Oststeirerin Anna Obenauf eine von 16 Forschungsgruppen des IMP am Vienna Bio-Center. Acht bis elf Personen umfasst ihr Team, mit dem sie als Vorhut in der Erforschung von Krebs agiert. Die Gruppe analysiert die Entstehung von Metastasen, die Entwicklung von Tumoren oder Resistenzen, kundschaftet die molekularen Strategien der Erkrankung aus und sucht nach Schwachstellen in diesen Systemen.

Mit ihrer Arbeit zählt Obenauf zu den Koryphäen der Krebsforschung. 2019 rangierte die heute 38-Jährige auf der Clarivate-Liste der meistzitierten Forschenden weltweit. Ihr Erfolg gründet auf Eigenmotivation und Zielstrebigkeit sowie auf der Unterstützung durch Mentoren, ihre Familie und ihren Partner.

Dem Biologiestudium an der Universität Graz folgte ein PhD am Institut für Humangenetik der Med-Uni Graz. Als Postdoc am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York forschte sie fünf Jahre in einem der angesehensten Krebslabore der Welt.

Unverzichtbarer Eckpfeiler

Eine teilweise kräftezehrende, jedoch auch aufschlussreiche und prägende Station ihrer Karriere. "It’s not a job, it’s a lifestyle" steht auf einem Post-it in ihrem Büro zu lesen. Obenauf schmunzelt angesichts der handschriftlichen Portion Selbstironie. "Ich habe alles immer auch aus Spaß und Liebe gemacht", sagt sie. Mit dem IMP sei sie nun auf die Butterseite gefallen. "Unsere Finanzierung ist sehr gut, und wir arbeiten in einer außergewöhnlich kollegialen Atmosphäre, geprägt von anspornendem Tatendrang", sagt sie.

Teamarbeit sei für die Forschung heute ein unverzichtbarer Eckpfeiler. Das betreffe die Gemeinschaft ihrer Studierenden ebenso wie den interdisziplinären Kontakt zu anderen Wissenschaftern, um Techniken, Materialien und Ideen auszutauschen.

Das IMP, das Forschende unterschiedlicher Disziplinen der Lebenswissenschaften aus rund 40 Nationen beschäftigt, bildet dafür eine ideale Basis. "Dieses vielfältige Umfeld hat unsere Forschung bestimmt auch gelenkt und hat innovative Ansätze aufgetan", schwärmt Obenauf. Neben neuen Fakten schafft die Gruppe auch potente Werkzeuge für die Forschung. "Viele unserer Technologien und Modellsysteme haben wir mit anderen Laboren geteilt, die damit nun eigene Fragestellungen beantworten", freut sich die Gruppenleiterin.

Neue Angriffspunkte

Ein Umstand, der die Wissenschafterin manchmal grämt, ist die Wahrnehmung ihres Forschungsfelds. Viele der generierten Ergebnisse würden so hoffnungslos klingen, klagt sie. Dabei bedeuten etwa die entdeckten Kreuzresistenzen nicht nur schlechte Nachrichten: "Wenn sich ein Tumor derart verändert, kann er durchaus auch neue Angriffspunkte für Therapien entwickeln." Ein interessanter Punkt für sie und ihr Team sei deshalb die Tumorevolution: die konstante Veränderung eines Krebsgeschwürs und seiner Umgebung.

Um diese Entwicklungen, ihre Folgen und Auslöser nachzuvollziehen, kreierte ihre Gruppe mit "Catch" eine Art molekulare Zeitmaschine. Grundlagen sind kurze, mittels Gen-Schere gewonnene Stücke verschiedener Nukleotidsequenzen. Diese DNA-Barcodes markieren unterschiedliche Krebsklone des Ursprungstumors. In einer Abstammungsverfolgung werden jene Klone identifiziert, die Resistenzen entwickeln.

"Dann können wir in die Ursprungspopulation zurückgehen, diese Zellen isolieren und prüfen, ob die resistenten Zellen schon zu Beginn vorhanden waren oder durch andere Einflussfaktoren entstanden sind", sagt Obenauf. So bewies das Team, dass die Kreuzresistenzen in ihren Modellen tatsächlich durch vorangegangene Therapie induziert wurden. Schon heute existiere die "Sandwich-Therapie", bei der Immun- und zielgerichtete Therapie in kurzer Folge abwechseln, um Resistenzen zu vermeiden.

"Wir forschen in einer total spannenden Zeit", sagt Obenauf. Viele Türen zu innovativen Therapien haben sich aufgetan, in deren Kombination die Zukunft der Krebsbehandlung liege. "Wir müssen jetzt die besten Kombinationen herausfinden." (Marlene Erhart, 26.12.2021)