Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) preschte zuletzt mit neuen Maßnahmen vor. Dem Anliegen eines nächtlichen Lockdowns für alle will Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) jedoch nicht folgen.

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Was ist ein Gipfel? Es ist eine Frage, die man theoretisch einfach beantworten kann. Zumindest in Friedenszeiten. Wenn Menschen zusammenkommen und sich besprechen, dann nennt man das Treffen oder etwas neudeutsch Get-together, Besprechung oder eben ein bisschen großspuriger Gipfel – passend ist die Bezeichnung, wenn es dabei um viel geht. So wie gerade. Eigentlich.

Der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein hat am Sonntag angekündigt, er werde am Mittwoch die Corona-Situation neu bewerten. Die ersten Einschränkungen für Ungeimpfte durch die 2G-Regeln gelten dann seit genau zehn Tagen. Ein guter Zeitraum, um zu evaluieren, welche Effekte die Maßnahme auf das Infektionsgeschehen hatte. Mückstein will daraus auch weitere "Schlüsse ziehen". Journalisten hatten ihn so verstanden: Er wolle einen neuerlichen Gipfel einberufen. Am Montag wurde Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) danach gefragt: Gipfel? Von so einem wisse er nichts, es werde deshalb auch kein Gipfel stattfinden.

Der österreichweite Lockdown für Ungeimpfte war somit erst wenige Stunden in Kraft, da wurde die nächste kleine Regierungskrise sichtbar. Und das in einer Situation, in der Spitäler kurz davor sind, entscheiden zu müssen, wen sie noch intensivmedizinisch behandeln können und für wen die Kapazitäten nicht mehr reichen.

Situation spitzt sich weiter zu

Man kann sagen: Die Lage spitzt sich derzeit fast stündlich zu. Am Dienstag meldeten die Behörden 61 Todesopfer innerhalb von 24 Stunden. Es ist der höchste Wert seit neun Monaten. 113 Personen wurden zudem wegen einer Covid-Infektion neu im Spital aufgenommen – damit liegen 2.568 Corona-Patientinnen und -Patienten auf einer Normalstation. 458 Schwerkranke müssen in einem Intensivbett behandelt werden, das sind 17 mehr als am Vortag.

Am Dienstag wiederholte das Büro Mückstein: Der Gesundheitsminister wird die Situation am Mittwoch neuerlich einschätzen. Punkt. Von einem Gipfel habe er ohnehin nie gesprochen, Mückstein werde sich lediglich mit seinen Corona-Expertinnen und -Experten beraten. Am Sonntag hatte Mückstein noch angekündigt: "Es wird auch für geimpfte Menschen nächtliche Ausgangsbeschränkungen geben. Hier erwarte ich mir eine Entscheidung am Mittwoch."

Gehässige Wortmeldungen

Zumindest damit rechnet diese Woche nun aber niemand mehr. Die ÖVP ist vehement dagegen, auch die Nachtgastronomie müsse offenbleiben. Der Streit um diese Frage hatte sich so zugespitzt, dass die türkise Tourismusministerin Elisabeth Köstinger ihrem Kollegen ausgerichtet hatte, "überhaupt nichts von den Wortmeldungen des Gesundheitsministers" zu halten. Das Krisenmanagement wurde zum türkis-grünen Streit auf offener Bühne. Die grundlegende Frage dahinter lautet: Muss Österreich wieder gesamtheitlich zusperren, oder reichen – zumindest weitgehend – scharfe Maßnahmen für Ungeimpfte?

Es werde innerhalb der Regierung nur "politisches Kleingeld" gewechselt, kommentierte Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) das Hickhack bei der Verkündung strengerer Maßnahmen für das Burgenland. Und: "So kann man eine Krise nicht bewältigen. Das geht nicht." Für Doskozil sei in den vergangenen Tagen bei der Corona-Bekämpfung "sehr eindrucksvoll" bewiesen worden, "wo die Bruchlinien in dieser Koalition liegen". Dem Gesundheitsminister richtete Doskozil aus, er solle "überdenken", wie er seinen Job macht. Mückstein müsse die Kommunikation mit den "Mitbetroffenen – und das sind die Länder" – verbessern, ärgerte sich Doskozil.

Mückstein will jedenfalls auch in kommenden Tagen "Überzeugungsarbeit für weitere Maßnahmen leisten", wie seine Sprecherin betonte. Mögliche Verschärfungen will man nicht nur auf nächtliche Ausgangssperren für alle reduzieren. Auch eine bundesweite Ausweitung der FFP2-Masken-Pflicht steht im Raum. Allerdings haben diese mittlerweile beinahe alle Bundesländer selbstständig umgesetzt.

Ein härteres Vorgehen in der Pandemiebekämpfung schließt auch Schallenberg nicht generell aus. Die nächste Chance, die Corona-Situation im ganzen Bundesgebiet mit den Ländern zu betraten, hat Schallenberg Ende der Woche. Zum Treffen der Landeshauptleute hat sich auch der neue türkise Kanzler angekündigt.

Zahlen "überinterpretiert"?

Von der Erzählung seines Vorgängers, es handle sich nur noch um eine Pandemie der Ungeimpften, rückte Schallenberg bisher allerdings nicht ab. So begründete er unter anderem den Lockdown für Ungeimpfte damit, dass unter den Immunisierten die Neuinfektionen laut den Daten der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit sänken. Nun warnte Ages-Epidemiologin Daniela Schmid vor der Überinterpretation der eigenen Zahlen: Aufgrund von Meldeverzögerungen seien die Impfinzidenzen der aktuellsten drei Tage nämlich nicht verlässlich. Daher sei die Ages auch gerade dabei, die Statistik umzustellen. Klar sei lediglich, dass die Neuinfektionen Ungeimpfte stärker betreffen als Immunisierte.

Für strengere Regeln sprechen sich auch viele Expertinnen und Experten aus. Der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) erklärte via Twitter am Dienstag, dass "die derzeitigen Maßnahmen nie ausreichend waren". Es handle es sich "um ein Notbremsmanöver". (Oona Kroisleitner, Katharina Mittelstaedt, 16.11.2021)