Seine Uni tue genug, um stabile akademische Karrieren zu ermöglichen, sagt der langjährige Rektor Heinz Engl.

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Zu Herbstbeginn wurde die Uni Wien dafür kritisiert, dass auch im vierten Pandemiesemester zu wenig Lehre vor Ort stattfinde. 30 Prozent der Veranstaltungen wurden als reine Onlineformate konzipiert. Angesichts des massiven Infektionsgeschehens ist mittlerweile aber fraglich, ob die Hörsäle überhaupt offen bleiben können. Rektor Heinz Engl spricht im Interview mit dem UNISTANDARD über die Corona-Maßnahmen für Studierende, das Verhältnis von Wissenschaft zur Politik in Österreich und über unsichere akademische Arbeitsverhältnisse.

STANDARD: Ist der vorwiegende Präsenzunterricht an den Unis angesichts des massiven Infektionsgeschehens noch aufrechtzuerhalten?

Engl: Wir hoffen, dass wir so lange wie möglich mit Präsenzformaten weitermachen können. Mich beruhigt, dass über 90 Prozent der Uni-Wien-Studierenden geimpft oder genesen sind, diese Quote ergibt sich aus den Covid-Eintrittskontrollen vor den Uni-Gebäuden. Außerdem haben wir seit dieser Woche wieder eine FFP2-Masken-Pflicht am Sitzplatz eingeführt.

STANDARD: Die Uni Wien hat noch am 25. Oktober – da war die vierte Welle schon ordentlich im Anrauschen – die seit Semesterbeginn geltenden Abstandsregeln und die Maskenpflicht in den Hörsälen aufgehoben. War das ein Fehler, haben auch Sie die Dynamik unterschätzt?

Engl: Ob das ein Fehler war, mag man im Nachhinein beurteilen, das ist aber nicht so wichtig. Außerdem gab es auch nach dem 25. Oktober eine Maskenempfehlung, an die sich meines Wissens mehr als die Hälfte der Studierenden gehalten hat. Viel wichtiger ist: Jetzt haben wir schnell reagiert und sie wieder zur Pflicht gemacht.

STANDARD: Volle Hörsäle sind an der Uni Wien theoretisch noch erlaubt – zugleich fordern viele Experten allgemeine Kontaktbeschränkungen, zumal auch Geimpfte derzeit zur Übertragung des Virus beitragen. Blüht nicht doch die Rückkehr zum Digitalbetrieb?

Engl: Natürlich besteht momentan ein verschärftes Risiko, und wir beobachten die Lage tagesaktuell. Wenn es notwendig ist, werden wir sofort strengere und angemessene Maßnahmen ergreifen. Noch halten wir im Rektorat eine Fortsetzung der Präsenzlehre mit Maskenpflicht aber für gangbar.

STANDARD: Die Uni Klagenfurt hat eine 2G-Regel eingeführt, ist das für Sie auch eine Option?

Engl: Wir bleiben bei 2,5G. Wir haben auch nicht die Berechtigung, 2G einzuführen.

STANDARD: Sie halten das Klagenfurter Vorgehen also für rechtswidrig?

Engl: Ich möchte zu anderen Unis nichts sagen und das auch nicht inhaltlich kritisieren. Als Uni Wien sind wir aber der Meinung, dass wir mit 2G auf juristisch unsicherem Boden wären.

STANDARD: Die Rektoren müssen derzeit selbst festlegen, welche Corona-Regeln an ihrer Uni gelten. Sie mutieren damit quasi zum obersten Gesundheitspolitiker für fast 100.000 Studierende der Uni Wien. Entspricht das dem eigentlichen Sinn der Uni-Autonomie, oder bräuchte es einheitliche Vorgaben?

Engl: Ich fühle mich nicht als oberster Gesundheitspolitiker. Aber die rechtliche Situation ist so, und ich habe mich danach zu richten, ob mir das nun angenehm ist oder nicht. Die Autonomie ist insgesamt ein wichtiges Prinzip der Universitäten, und in den meisten Fällen sind wir darüber sehr froh. Jetzt müssen wir uns eben der Verantwortung stellen. Man kann nicht sagen: Die Autonomie passt uns nur dann, wenn sie uns angenehm ist.

Eine 2G-Regel wie in Klagenfurt ist an der Uni Wien nicht geplant. Die Immunisierungsquote bei Präsenzkursen liege über 90 Prozent, hat die Uni anhand der Eingangskontrollen berechnet.
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STANDARD: Aus wissenschaftlicher Sicht ist unstrittig, dass die Corona-Impfung sinnvoll und effektiv ist. Dennoch hat sich bisher ein Drittel in Österreich nicht impfen lassen. Warum dringt die Wissenschaft mit ihren Erkenntnissen zu einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung nicht durch?

Engl: Die Universitäten haben sich seit Beginn der Pandemie stark in den Diskurs rund um Corona eingebracht. Unsere Forscherinnen und Forscher sitzen in allen wichtigen Beratungsgremien und melden sich auch medial zu Wort. Je länger die Pandemie dauert, umso mehr sollten die wissenschaftlichen Argumente auch ankommen. Das Handeln ist aber Sache der Politik.

STANDARD: Aber wieso machen so viele Menschen die Evidenz nicht von sich aus zum Maßstab ihres Handelns? Fehlt es in Österreich an Akzeptanz der Wissenschaft?

Engl: Das glaube ich nicht. Ich nehme an, Sie spielen auf die Eurobarometer-Umfrage an, bei der immer betont wird, dass Österreich innerhalb der EU beim Vertrauen in die Wissenschaft so schlecht abschneidet. Das stimmt zwar im Vergleich, weil die anderen noch höhere Werte haben. Dennoch zeigt sich, dass auch in Österreich die weit überwiegende Mehrheit der Wissenschaft, vor allem im naturwissenschaftlich-technischen Bereich, eine wichtige Rolle attestiert.

STANDARD: Aber zum Beispiel hat das Forschungsprojekt "Austrian Corona Panel" ermittelt, dass sich ein Viertel der Bevölkerung lieber auf den vermeintlich "gesunden" Menschenverstand verlassen will als auf Studien. Muss die Wissenschaft ihre Relevanz besser vermitteln?

Engl: Na ja, in einer epidemiologischen Krise reicht eben der "gesunde Menschenverstand" für vernünftige Entscheidungen nicht aus, weil die Phänomene zu komplex sind. Zugleich sehen wir, dass im Laufe der Pandemie die wissenschaftlichen Modelle immer ausgefeilter und präziser werden. Das wird dann sehr wohl auch in der Politik registriert, und man beginnt, die Vorzüge dieser Modelle zu schätzen, da bin ich auf längere Sicht optimistisch.

STANDARD: Themenwechsel. Seit diesem Semester ist die neue Kettenvertragsregelung in Kraft. Wie lautet Ihre erste Bilanz?

Engl: Sie hat einige Vorteile, momentan bemerken wir aber bereits gravierende Nachteile. Die lebenslange Acht-Jahr-Begrenzung hat zur Folge, dass Doktoranden zusätzliche Lehraufträge zurückgelegt haben, damit nicht die entsprechende Zeit in die acht Jahre eingerechnet wird. Wir haben daher in manchen Fächern ein Problem in der Abdeckung der Lehre, das unmittelbar auf die Novelle zurückzuführen ist.

STANDARD: Sie fordern also eine Gesetzesänderung, damit solche Lehraufträge nicht in die acht Jahre eingerechnet werden?

Engl: Anders lässt sich das nicht sanieren. Ob das passiert, weiß ich aber nicht.

STANDARD: Gerade die Universität Wien ist dafür bekannt, dass sie kaum unbefristete Verträge vergibt...

Engl: Das stimmt nicht! Wir haben 700 Professoren und davon in den letzten Jahren 150 als Tenure-Track-Positionen vergeben, das ist unser Modell.

STANDARD: Ich meinte eher unterhalb der Professorenebene.

Engl: Das Tenure-Track-Modell handhaben wir so, wie es an internationalen Spitzenunis gang und gäbe ist. Es gibt dabei auch die Möglichkeit, durch das Einwerben eines ERC-Grants in ein unbefristetes Dienstverhältnis zu kommen. Das ist natürlich ein kompetitives Verfahren und herausfordernd, aber auch das ist international üblich.

STANDARD: In manchen Fächern wird der Gutteil der Lehre von Lektoren abgedeckt, die ohnehin jedes Semester gebraucht werden und trotzdem nur semesterweise angestellt werden. Die könnte man doch unbefristet anstellen.

Engl: Das tun wir auch.

STANDARD: Im einstelligen Prozentbereich.

Engl: Genau das wird sich aber durch die neue Kettenvertragsregelung ändern. Diese zwingt uns, die Entscheidung über eine Entfristung schon früher zu treffen. Wir werden mitunter mehr auf Senior Lecturers setzen. Da stößt die Novelle eine Entwicklung an, die für die Betroffenen und auch für die Uni durchaus positiv ist. Wobei es wiederum Nachteile in Bezug auf die Flexibilität gibt: Bisher hatten wir Personen, die zur Hälfte als Senior Lecturer und zur Hälfte über FWF-Drittmittel beschäftigt waren – das geht jetzt nicht mehr so leicht.

STANDARD: Gibt es ein Ziel, wie viel Prozent der Lehraufträge entfristet werden sollen?

Engl: Das können wir noch nicht sagen, wir sind gerade bei einer genauen Analyse.

STANDARD: Auch nach Auslaufen von Drittmittelprojekten werden von der Uni wenige Forscher in Anstellungen übernommen. Von Wissenschaftern hört man daher oft die Sorge, dass sie nach einem Projekt plötzlich vor dem Nichts stehen und die Laufbahn mit Mitte 30 immer noch höchst wackelig ist. Machen Sie als Uni genug, um stabile akademische Karrieren zu ermöglichen?

Engl: Ja. Wir machen von vornherein klar, dass ein Post-Doc ein befristetes Dienstverhältnis bildet. Der Weg in einen unbefristeten Vertrag ist eben aus unserer Sicht Tenure-Track. Wir haben bereits jetzt die bis 2028 geplanten Tenure-Track-Stellen publik gemacht. Jeder kann also nachsehen, wann es in seinem Metier eine Dauerstelle an der Uni Wien gibt. Diese Transparenz ist notwendig, und wir gewährleisten sie. Es kann übrigens nicht das Ziel sein, dass jedes universitäre Dienstverhältnis zu einem dauerhaften wird. Es ist ganz natürlich, dass man nach dem Doktorat in die Privatwirtschaft wechselt und nicht in der Wissenschaft bleibt. Wir bilden ja auch für die Gesellschaft aus, nicht nur für uns selbst. (Theo Anders, 18.11.2021)