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Sophia Urista von der US-Band Brass Against. Kurz war ihr leichter, dann wurde es schwer, Shitstorm-schwer.

Foto: Getty

Was tun, wenn einem die Natur kommt? Was schon Georg Büchners Woyzeck die Sorgenfalten ins Gesicht schrieb, ereilte nun Sophia Urista. Sie ist Sängerin der US-Band Brass Against und ihre Not überkam sie auf der Bühne, vor zehntausenden Fans.

Frau Urista teilte dieses Bedürfnis dem Publikum mit, inklusive des Wunsches, deshalb nicht die Bühne verlassen zu müssen, weil die Show gerade so abginge. Brass Against spielten gerade beim "Welcome to Rockville"-Festival in Daytona Beach im US-Bundesstaat Florida. Da entstand in ihr in einem Moment großer künstlerischer Freiheit die Idee, sich gleich vor Ort zu erleichtern.

Win-win

Das allein besäße schon ein gewissen Huch!-Potenzial. Doch wie das Promi-Portal "TMZ" mitteilte, erkundigte sich die 35-jährige Sängerin, ob nicht im Publikum jemand zugegen wäre, der Lust auf eine goldige Erfahrung habe. So im Sinne einer herzustellenden Win-Win-Situation. Und siehe da: Einer hatte.

Ein Mann legte sich also rücklings auf die Bühne unter Sophia Urista, die entledigte sich ihres Beinkleids und ließ der Natur ihren Lauf. Das konnte nicht ohne Folgen bleiben.

Urarge Kunst

Menschlich enttäuschte Bandmitglieder leisteten Abbitte im Internetz, die Sängerin, die derart gesät hatte, erntete einen Shitstorm und versuchte, die Sache mit dem Verweis auf Rock 'n' Roll als ausschweifende und urarge Kunstform ins Trockene zu bringen: ebenfalls in den sozialen Medien.

Klar, denn nirgendwo ist die moralische Überheblichkeit größer als im Netz, nirgendwo sind gleich nebenan mehr Schweinerein zu finden als ebendort und – ganz analog gesprochen – nirgendwo pinkeln mehr Menschen wild durch die Gegend als auf Rockfestivals – wiewohl die Domestizierung der meist männlichen Entleerer zum Glück recht weit fortgeschritten ist.

White Trash

Melancholiker und Nostalgiker memorieren an dieser Stelle einen Mann, der derlei Bühnengebaren quasi, ähm, kultiviert hat: GG Allin.

Den muss man nicht kennen, viele, die ihn kennen, tun das eher vom Wegschauen. Der 1993 an einer Überdosis gestorbene Punkrocker war so etwas wie der fleischgewordene Bodensatz der USA. White Trash in braunen Unterhosen. Er defäkierte regelmäßig auf die Bühne, suhlte sich darin, bewarf das Publikum mit seiner Eigenproduktion und trug dabei oft nicht mehr am Leib als Militärstiefel und Häfentattoos.

Der angeblich Jesus Christ Allin getaufte Musiker propagierte so ziemlich alles, was verboten war, lebte und starb danach. Der lieb "Fürst der Finsternis" gerufene Ozzy Osborne war dagegen ein Heiliger, und würde Allin heute noch leben und wirken, man müsste für die in seine Richtung tobenden Shitstorms eine eigene Serverfarm einrichten. Und anders als bei Sophia Urista bestünde bei Allin der begründete Verdacht, dass der Shitstorm erwidert würde – auf traditionelle Art.

Schön, dass auch das besprochen werden konnte. (Karl Fluch, 17.11.2021)