Bis der erste Mensch den Roten Planeten betreten kann, gilt es noch viele Herausforderungen zu meistern. Die Liste der medizinischen Risiken von Marsmissionen wird immer länger.

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Als Scott Kelly im März 2016 endlich wieder Erdboden unter den Füßen hatte, bemerkte er schnell, dass diesmal etwas anders war. Ganze 340 Tage hatte der Nasa-Astronaut durchgängig auf der Internationalen Raumstation (ISS) verbracht, viel länger als bei seinen drei früheren Weltraummissionen. Der lange Aufenthalt im All hatte seinen Preis: Kelly fühlte sich nach der Rückkehr über Monate hinweg stark gealtert, litt unter Schmerzen, geschwollenen Beinen, Übelkeit und Schlafproblemen. Seine früheren Raumflüge hatten ihm nicht ansatzweise so zugesetzt.

Viele Beschwerden des erfahrenen Raumfahrers waren angesichts der langen Missionsdauer erwartbar gewesen – die Schwerelosigkeit hat zahlreiche bekannte Auswirkungen auf den menschlichen Körper. Einige Veränderungen bei Kelly kamen jedoch überraschend und bereiteten Weltraummedizinern Sorgen: So zeigten Untersuchungen, dass Kellys geistige Leistungsfähigkeit abgenommen hatte. Die genaue Ursache blieb unklar.

Geringeres Volumen

Seither mehren sich die Hinweise darauf, dass längere Aufenthalte im Weltraum zu Hirnschäden führen können. "Wir haben in den vergangenen Jahren in MRT-Aufnahmen von europäischen und russischen Raumfahrern Veränderungen im Gehirn gesehen", sagt Peter zu Eulenburg, Professor für funktionelle Bildgebung an der Universität München. 2018 konnte der Mediziner mit Kollegen nachweisen, dass das Volumen der sogenannten Grauen Substanz, die hauptsächlich aus Nervenzellkörpern besteht, im Weltraum abgenommen hatte. "Die entscheidende Frage lautet: Wie schädlich ist das?"

Auf der Suche nach Antworten ist zu Eulenburg kürzlich gemeinsam mit schwedischen Kollegen ein wichtiger Schritt gelungen: Die Wissenschafter konnten mithilfe neuer Analysemethoden im Blut von ISS-Heimkehrern nachweisen, dass nach mehrmonatigen Weltraummissionen tatsächlich Verletzungen des Gehirns vorliegen.

Problematische Proteine

"Diese Verletzungen sind nicht nur unmittelbar nach der Rückkehr feststellbar, sondern noch Wochen später", sagt zu Eulenburg. Für den Münchner Mediziner, der als wissenschaftlicher Berater für die europäische Weltraumorganisation Esa tätig ist, zu der auch Österreichs Klimaschutzministerium jährlich finanzielle Beiträge leistet, steht fest: "Wir müssen das Gehirn von Raumfahrern bei Langzeitmissionen deutlich besser schützen." Andernfalls wären lange Astronautenflüge, etwa zum Nachbarplaneten Mars, kaum machbar.

Für die aktuelle Studie im Fachjournal "Jama Neurology" untersuchten die Wissenschafter Blutproben von fünf russischen Raumfahrern, die im Schnitt 169 Tage auf der ISS verbracht hatten. Den Kosmonauten wurde dafür vor dem Start, am Tag nach ihrer Rückkehr sowie eine und drei Wochen nach der Landung Blut abgenommen.

Nachweisliche Gehirnverletzung

Die Analysen in einem Göteborger Labor zeigten im Vergleich einen erheblichen Anstieg mehrerer verräterischer hirneigener Proteine, vor allem in der ersten Woche nach der Rückkehr aus dem All. Diese Proteine gelten als Marker für Alterungsprozesse und Verletzungen des Gehirns. Betroffen war nicht nur die Graue Substanz: Aus den Ergebnissen lässt sich auch auf eine Schädigung von Nervenfasern und der Glia schließen, des Stützgewebes des Gehirns. "Die Verletzung ist nicht isoliert, sondern betrifft offenbar alle Gewebearten, also das gesamte Hirn", sagt zu Eulenburg.

Woher stammen diese Schäden? Von der etwas höheren Strahlendosis, die die ISS-Besucher im Vergleich zu uns Zurückgebliebenen abbekommen, wohl nicht. Für Marsreisende wird die kosmische Strahlung zwar zu einem sehr ernsthaften Problem. Die Raumstation, die unseren Planeten in nur etwa 400 Kilometer Höhe umrundet, wird aber noch gut vom Erdmagnetfeld geschützt. Viel naheliegender ist daher, dass der problematische Proteinanstieg im Gehirn der ISS-Rückkehrer durch die Schwerelosigkeit verursacht wird, die für eine veränderte Zirkulation im Körper sorgt.

Der menschliche Körper reagiert sofort auf einen Wechsel in die Schwerelosigkeit: Schon binnen Minuten kommt es zu einer Verlagerung der Körperflüssigkeiten in die obere Körperhälfte, die Halsvenen und das Gesicht schwellen an. Zu Eulenburg und Kollegen vermuten, dass ein gestörter Abfluss des venösen Bluts aus dem Kopf über einen längeren Zeitraum auch zu einem Druckanstieg im Nervenwasser führt – und das Gehirn schädigt.

Problem für Langzeitmissionen

"Wir gehen davon aus, dass diese Druckerhöhung nach zwei Monaten relevant wird", sagt der Mediziner. Darauf deuten auch Veränderungen am Augapfel hin, die bei vielen Astronauten in etwa nach dieser Zeit im All auftreten und mit Sehstörungen einhergehen. "Das Problem betrifft also Langzeitmissionen. Für zwei bis sechs Wochen ist das wahrscheinlich unbedeutend, dann beginnen sich aber Schäden bemerkbar zu machen." Betroffene Raumfahrer würden zwar nicht unbedingt Kopfschmerzen entwickeln, aber häufig von einem leichten Druckgefühl berichten.

Welche dauerhaften Schäden Langzeitastronauten ohne bessere Schutzmaßnahmen drohen, ist aber noch unklar. Zu Eulenburg sieht hier großen Forschungsbedarf, befürchtet aber, dass es insgesamt zu einem deutlich beschleunigten Alterungsprozess des Gehirns kommen könnte – mit Folgen für die geistige Leistungsfähigkeit.

Es gibt aber auch gute Nachrichten: Die Suche nach Gegenmaßnahmen beginnt nicht bei null, es gibt längst vielversprechende Ansätze. Forscher haben etwa aussichtsreiche Medikamente identifiziert, die dem Hirnüberdruck entgegenwirken und künftig auch in der Raumfahrt Anwendung finden könnten.

Unterdruck in der Hose

Eine ganz andere, voraussichtlich sehr wirksame Maßnahme wäre es, Raumfahrer im All regelmäßig mittels Zentrifugen unter künstlicher Schwerkraft trainieren zu lassen. Das könnte einigen Problemen durch die Schwerelosigkeit vorbeugen – ist allerdings aufwendig und bei Astronauten unbeliebt: Der Übergang in die Schwerelosigkeit nach dem Training wäre jedes Mal mit Übelkeit verbunden.

Viel einfacher wäre die Weiterentwicklung einer Erfindung, die seit Jahrzehnten im Einsatz ist: die Unterdruckhose. Dieses Accessoire sorgt dafür, dass Flüssigkeiten aus der oberen Körperhälfte nach unten transportiert werden, wodurch das Herz-Kreislauf-System angeregt wird. Russische Raumfahrer nutzen die Technik am Ende ihrer Missionen, um den Körper auf die Rückkehr zur Erde vorzubereiten. Denkbar wäre, dass man solche Hosen auch über lange Zeiträume regelmäßig trägt, um das Gehirn zu entlasten, sagt zu Eulenburg. "Das halte ich, in Kombination mit Medikamenten, für erfolgversprechend."

Dem Nasa-Astronauten Scott Kelly bleibt die Unterdruckhose jedenfalls erspart. Er ist inzwischen in Ruhestand. (David Rennert, 20.11.2021)