Christine Dollhofer: "Der Markt wird diverser. Ein Trend sind Filme für spezifische Zielgruppen."

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Seit November leitet Christine Dollhofer den Filmfonds Wien (FFW), die nach dem Österreichischen Filminstitut (ÖFI) zweitgrößte Fördereinrichtung (Budget: 11,5 Millionen Euro) für Film. Die langjährige Leiterin des Linzer Filmfestivals Crossing Europe wechselt damit in einen Bereich, in dem es rund um die Themen ökologische Nachhaltigkeit und Gender-Budgeting auch um Weichenstellungen für die Zukunft geht. In der Branche herrscht Nervosität: Die Entscheidung einer Quote im ÖFI hat die Filmschaffenden gespalten. Eine große Mehrheit der Regisseurinnen ist im Oktober aus dem Regieverband ausgetreten.

STANDARD: Warum sorgt die Debatte um die schon beschlossene Quote nach wie vor für solche Konflikte?

Dollhofer: Verkürzt gesagt, ein Teil des Verbands hätte ein anderes Modell bevorzugt. Daraus ergaben sich die Unstimmigkeiten. Ich fände es gut, wenn man das Gender-Budgeting-Modell jetzt die nächsten vier Jahre einmal durchzieht und beobachtet, welche Effekte es bringt. Über mehr Frauen in der Filmbranche reden wir seit Jahrzehnten, ohne Regularien passiert nichts. Wie auch der letzte Woche veröffentlichte "Gender Report" aufzeigt, ist die Verteilung etwa ein Viertel zu drei Vierteln. Im Filmfonds Wien haben wir durch solche Anreize bei der TV-Förderung mehr Einreichungen von Frauen bewirkt, bei der budgetären Verteilung bildet sich das jedoch weniger stark ab.

STANDARD: Eine der Ängste, die geäußert werden, lautet, dass vor allem junge Männer weniger Chancen auf Förderung hätten. Plausibel?

Dollhofer: Dem kann man entgegnen, dass es zuallererst immer um die Qualität des Projekts geht. Ein tolles Projekt, das vielleicht nur mit Männern besetzt ist, wird man sicher umsetzen. Wir arbeiten mit Jahresbudgets und werden auf die Verteilung achten. Die Angst der Männer ist auch deshalb irreal, weil ihnen laut Modell ohnehin mindestens 50 Prozent zustehen. Und diese angestrebte Quote sollte idealerweise bis Ende 2024 erreicht werden.

STANDARD: Könnte das Modell dazu verleiten, dass v. a. Großprojekte von renommierten Regisseuren zum Zug kommen, nicht aber von jüngeren?

Dollhofer: Das sind im Spielfilm ja alles Großbudgets, was die maximale Fördersumme des FFW betrifft, bei den niedrigeren Summen handelt es sich meist um Dokumentarfilme und Koproduktionen. Wir sind nur eine der Fördersäulen im Finanzierungsplan.

STANDARD: Ein Beispiel: Ein neuer Film von einem Publikumsliebling wie Josef Hader – der die Quote unterstützt – wird wohl kaum hinterfragt. Weist Haders neues Projekt Frauen in den Key-Departements auf?

Dollhofer: Ich glaube nicht. Die Quote ist aber nur ein Parameter, es muss auch der Brancheneffekt gewährleistet sein. Es geht weiters um das internationale Potenzial. Das Verhältnis von Einreichung und Zusagen in der Herstellung liegt beim Filmfonds bei 70 zu 30 Prozent, nur 30 Prozent können verwirklicht werden. Die Qual der Wahl wird noch größer werden, es wird einen Wettbewerb der guten Projekte geben. Helfen würde ein Steueranreizmodell, das jedoch noch nicht umgesetzt ist. Zudem erhöht Covid-19 derzeit die Produktionskosten. Es gibt viele Baustellen.

STANDARD: Wird es auch beim FFW im Kinofilmbereich eine Quote geben?

Dollhofer: In den Förderzielen steht ganz klar, dass Gleichberechtigung und Diversität Förderziele sind. Und die Filmbranche hat hier die Chance, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Ich würde das Gender-Budgeting-Modell gerne dem Kuratorium vorschlagen, das hier das Beschlussrecht hat. Ich strebe generell eine Harmonisierung mit dem ÖFI an, auch was Green Producing betrifft – das ÖFI hat hier eine neue Richtlinie ausgearbeitet. Es macht für alle Beteiligten Sinn, hier an einem Strang zu ziehen.

STANDARD: Ihre Expertise geht in Richtung Arthouse. Ihre Vorgängerin wollte einst mehr Genrefilme. Steht eine Kurskorrektur bevor?

Dollhofer: Wir beurteilen nach Einreichungen. Natürlich kann die Projektkommission signalisieren, welche Form des Kinos auf mehr oder weniger Akzeptanz stößt. Was ich nicht mag, ist dieses Auseinanderdividieren von künstlerischem Film und Publikumsfilm, denn die Schnittstellen sind fließend. Ich stehe für Formen, die auch international Potenzial haben. Es ist wichtig zu beobachten, wo die Trends hingehen.

STANDARD: An welche Trends denken Sie?

Dollhofer: Der Markt wird diverser. Ein Trend sind in diesem Zusammenhang Nischenprodukte, Filme, die eine spezifische Zielgruppe ansprechen.

STANDARD: Wie zum Beispiel?

Dollhofer: Etwa Dokumentarfilme über Urbanismus oder alternative Lebensmodelle. Oder LGBT-Themen. Eine weitere wichtige Tendenz sind Koproduktionen. Und dann natürlich Digital Producing, das betrifft auch die Ausbildung und spezifische Skills, die sich in der Branche verändern.

STANDARD: Für wann ist das lang erwartete Steueranreizmodell geplant?

Dollhofer: Ich hoffe, das kommt bald mit dem Green-Producing-Bonus. Die Verhandlungen sind im Gange. Mir ist es wichtig, minoritäre Koproduktionen zu ermöglichen. Österreichische Firmen sollen sich an Produktionen beteiligen können, auch wenn die Effekte nicht an Drehtagen in Wien gemessen werden.

STANDARD: Das heißt, der Brancheneffekt wird loser interpretiert?

Dollhofer: Man muss ja ohnehin mindestens 100 Prozent der FFW-Fördermittel in die Wiener Filmbranche fließen lassen, das muss nicht in Wien-Drehtagen, sondern kann auch in Kreativleistung bemessen werden.

STANDARD: Am nationalen Markt war der Zuspruch für heimischen Film schon vor Corona am Sinken. Hat der österreichische Film trotz internationalen Erfolgs ein Imageproblem?

Dollhofer: Das ist ein Thema, das mich schon 30 Jahre lang begleitet! Ich glaube, es ist auch ein gewisses Selbstbewusstsein wichtig: Wir haben international einen exzellenten Ruf und eine enorme Bandbreite, sehr renommierte, eigensinnige Regiepersönlichkeiten. In der Verwertung werden insgesamt etwa 500 Filme pro Jahr gestartet. Es gibt eben mehr Filme mit immer weniger Besucherzahlen, das ist die Realität, auch für internationale Produktionen.

STANDARD: Braucht es nicht schon auch in der Entwicklung eine stärkere Qualitätskontrolle?

Dollhofer: Jeder Film ist ein Universum, hat eine eigene Genese und muss anders bewertet werden. Zentral ist vor allem die Entwicklungsphase, man kann durchaus auch einmal sagen, das wird nichts – dann muss man den Mut haben und das Projekt auch beenden. Aber natürlich brauchen die Produzierenden dafür auch den finanziellen Spielraum. (Dominik Kamalzadeh, 18.11.2021)