Irmgard Griss, ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Präsidentschaftskandidatin 2016 und spätere Neos-Mandatarin, sprach sich zuletzt klar für eine Impfpflicht aus – und ist damit nicht allein.

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"Das wird alles geprüft, der Gesundheitsminister spricht sich sehr eng mit Juristen ab, mit Verfassungsjuristen", sagte Justizministerin Alma Zadić (Grüne) nach dem Ministerrat am Mittwoch über die Impfpflicht in Gesundheitsberufen, die Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) ja bereits angekündigt hat – aber auch die Frage einer generellen Impfpflicht solle bewertet werden.

Prominente Juristen als Fürsprecher

Während die Regierung also mit Juristen berät, melden sich einige Rechtsexperten bereits klar zu Wort. Etwa der renommierte Jurist und Rektor der Linzer Johannes-Kepler-Universität (JKU), Meinhard Lukas. Er glaube, es gebe "keinen Verfassungsexperten und keinen Rechtswissenschafter, der der Meinung ist, dass eine solche allgemeine Impfpflicht verfassungswidrig ist", sagte er im Interview mit dem ORF-Radio Oberösterreich am Mittwoch.

Unter allgemeiner Impfpflicht sei dabei nicht zu verstehen, dass Menschen zur Impfung gezwungen werden, zumindest nicht direkt. Dass es aber "Folgen hat, wenn jemand nicht geimpft ist". Über diese Folgen brauche es nun eine Debatte. Lukas kann sich einen "Selbstbehalt bei einer Behandlung" vorstellen oder "dass eine bestimmte Teilhabe am öffentlichen Leben eine gewisse Zeit nicht möglich ist".

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Auch Irmgard Griss, ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Bundespräsidentschaftskandidatin und spätere Abgeordnete der Neos, sprach sich klar für eine Impfpflicht aus – bereits im November 2020, als noch gar nicht absehbar war, dass die Impfbereitschaft in der österreichischen Bevölkerung tatsächlich zu wünschen übrig lässt. Eine Impfpflicht werde aus ihrer Sicht "die einzige Lösung sein", sagte sie damals in einer Fernsehsendung. Wenn einmal ein Impfstoff zugelassen sein werde, sei es kontraproduktiv, nur auf Freiwilligkeit abzustellen, "weil das das Ganze wieder schwächt".

Und Griss bleibt dabei: "Man darf die Freiheit des Einzelnen einschränken, wenn es notwendig ist, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen." Das sei nicht nur legitim, es sei auch Verantwortung und Verpflichtung der Politik, Maßnahmen zu treffen, die sicherstellen, dass die öffentliche Gesundheit nicht gefährdet werde, so Griss. Dabei dürfe man nicht auf Umfragen schielen. Es sei kontraproduktiv gewesen, dass bereits bevor es eine Impfung gab, einer Impfpflicht von so vielen Seiten eine klare Absage erteilt wurde, sagte Griss unlängst. "Wir alle wissen: Es gibt ja eine Impfung, es gibt genügend Impfstoff. Wir müssen nur die Leute dazu bringen, hinzukommen." Ohne Pflicht werde das nicht gehen. Beginnen müsse man mit Gesundheitspersonal und Pädagogen. "Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung." Das Wort Zwang sei dabei fehl am Platz.

Geänderte Meinungen zur Impfpflicht

Auch die Patientenanwälte Sigrid Pilz und Gerald Bachinger sind mittlerweile für eine Impfpflicht – unter anderem. "Mitte Oktober haben Kollege Bachinger und ich die Regierung aufgefordert, endlich wirksame Corona-Maßnahmen zu setzen; eine allgemeine Impfpflicht forderten wir damals als Ultima Ratio. Der Moment ist nun erreicht – Impfpflicht und Lockdown für alle ist das Gebot der Stunde", schrieb Pilz auf Twitter.

Diese Meinung vertrat sie auch am Mittwochabend in der "ZiB 2". Gesundheitsökonom Thomas Czypionka (Institut für Höhere Studien) fand es traurig, dass es überhaupt so weit gekommen sei, so etwas diskutieren zu müssen. Aber angesichts der hohen Infektionszahlen sei es der Zeitpunkt, das Thema zumindest einmal in den Raum zu stellen. Man müsse aber vorsichtig sein, um die Gesellschaft nicht zu spalten. Eine Impfpflicht mit einer Strafe durchzusetzen sei schwer umzusetzen.

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Auch andere betonen, dass sie bis dato gegen eine allgemeine Impfpflicht waren, diese Ansicht nun aber ändern müssten, etwa der Epidemiologe Gerald Gartlehner: "Eine Impfpflicht im Gesundheitswesen ist überfällig. Ich war immer gegen eine generelle Impfpflicht, aber ich sehe das mittlerweile auch als letzte Ressource."

Weswegen damals – und teilweise heute – noch viele gegen eine allgemeine Impfpflicht waren, bringt Politikwissenschafterin Barbara Prainsack auf den Punkt. Bestrafungen von Impfunwilligen würden die Fronten zusätzlich verhärten. Besser sei es, bestehende Regeln strenger umzusetzen, gegen Falschinformationen hart vorzugehen und auf strukturelle Impfanreize zu setzen, argumentierte sie Anfang Oktober im STANDARD. "Ich teile die Vorbehalte gegenüber der Impfung nicht, aber aus demokratischer Perspektive muss man auch diejenigen schützen, deren Meinung man nicht teilt", sagte Prainsack, die auch der Bioethikkommission angehört, im Sommer. Das gelte aber nur, insoweit die Gefahr für andere dadurch nicht zu groß werde.

FPÖ strikt dagegen

Natürlich sind längst nicht alle von einer Impfpflicht überzeugt oder wollen überhaupt darüber diskutieren – allen voran ist die FPÖ dagegen. Als "perfide, um nicht zu sagen krank" bezeichnete Herbert Kickl, derzeit selbst an Covid erkrankter Chef der Freiheitlichen, die Aussagen von Griss zur Impfpflicht. Wieder betont er – fälschlicherweise –, dass die Wirksamkeit der Impfung "überhaupt nicht erprobt" sei und man die Österreicherinnen und Österreicher deswegen nicht zu "Versuchskaninchen in einem Massenexperiment" machen dürfe. "Eine Zwangsimpfung ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit – dass sich eine ehemalige Höchstrichterin dafür einsetzt, ist eine Schande."

Politiker halten sich (noch) zurück

Von den aktiven Politikerinnen und Politikern hat sich dezidiert noch niemand für eine Impfpflicht ausgesprochen. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) will zumindest darüber diskutieren. Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) sagte am Mittwoch nach der Regierungssitzung, eine Impfpflicht könne dazu beitragen, "dass die Pandemie besser gemeistert wird". Für die FPÖ fand sie deutliche Worte, ohne die Partei direkt anzusprechen: "Es gibt eine Oppositionspartei, die massiv Stimmung gegen das Impfen macht, die Fake-News verbreitet, die einen maßgeblichen Anteil daran hat, dass die Bevölkerung verunsichert ist."

"Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt", sagt auch die Obfrau der Jungen Volkspartei, Claudia Plakolm. Für eine umfassende Impfpflicht spricht sie sich nicht aus, allerdings für eine in den "relevanten Berufsgruppen", nicht nur im Gesundheits-, sondern auch im Bildungsbereich.

Und in der Bevölkerung? Eine Befragung des OGM-Instituts von Anfang September – und damit zu einer Zeit, in der die Überlastung in den Spitälern noch kein Thema war – ergab, dass 44 Prozent für eine Impfpflicht für alle sind, 50 Prozent sind dagegen, der Rest ist unentschlossen.

Dynamik in der Debatte seit dem Sommer

Die Debatte über eine Impfpflicht nahm allerdings bereits im Sommer Fahrt auf – Ende Juli sprach die Vorsitzende der Bioethikkommission, Christiane Druml, von der Sinnhaftigkeit einer Impfpflicht für mehrere Berufsgruppen. Gerhard Aigner, er war bis 2019 einer der obersten Juristen im Gesundheitsministerium, sagte damals bezüglich der rechtlichen Beurteilung einer Impfpflicht im STANDARD: "Eine Impfpflicht ist die Ultima Ratio. Solange Hoffnung besteht, dass man das Ziel auch mit gelinderen Mitteln erreicht, kann die Impfpflicht verfassungswidrig sein." Auf der anderen Seite allerdings könne es sein, dass der Staat eine Impfpflicht erlassen muss, um seine Bevölkerung zu schützen, wenn dies anders nicht gelingt. (Lara Hagen, 18.11.2021)