Er reibt sich gerne am Status quo: Dem Maler Georg Baselitz war in jüngerer Vergangenheit eine ganze Reihe an Ausstellungen gewidmet.

Geoffroy Van Der Hasselt

Da stehen sie. Fünf ineinander verkreuzte, verkohlte Äste. Neun Meter hoch reckt sich die Skulptur aus Bronze vor der Pariser Akademie in den Himmel. Der Anlass ist würdig: Georg Baselitz wird Ende Oktober 2021 als erster Deutscher in die französische Akademie der schönen Künste aufgenommen. Fast zeitgleich wird im Centre Pompidou eine große Retrospektive eröffnet.

Die Skulptur vor der Pariser Akademie ist so etwas wie der Bote, der der ganzen Stadt verkündet, dass hier Epochales geschieht. Baselitz’ Salzburger Galerie Ropac übernahm alle Kosten, um sie auf dem linken Seine-Ufer errichten zu lassen, gleich gegenüber vom Louvre. Dorthin schielt das Werk von Baselitz über den Hype hinweg zum Kanon großer Kunst.

Die großen Baselitz-Ausstellungen in Paris sind nur die jüngsten in einer Reihe von Präsentationen. Tate Modern und Royal Academy, Metropolitan und Guggenheim, Biennale und Documenta, Albertina und bald Wien Modern (siehe Infokasten) – seit den frühen Siebzigerjahren ist er, der anfangs heftig für seine gegenständliche Malerei kritisiert wurde, überall dabei. Dutzende Kataloge schreiben ihn in die Kunst der Nachkriegszeit.

Mit dem Kopf nach unten

Georg Baselitz wurde 1938 in Sachsen geboren. Seine Heldenbilder aus den 1960ern erzählen von der Unmöglichkeit, im Deutschland nach 1945 noch Helden zu haben. Sie sind grotesk überzeichnet und arg zugerichtet. Als Baselitz ab 1969 seine Bildmotive auf den Kopf stellt, ermöglicht ihm dies, Abstraktion und Figuration zu versöhnen, davon ist jedenfalls Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder überzeugt: "Indem er das Motiv umdreht, nimmt er ihm sozusagen seine Funktion, seine Substanz, seinen Gehalt, seine Bedeutung – und kann gleichsam wie ein abstrakter Maler verfahren, ohne in die Falle der Beliebigkeit zu geraten, die so oft mit der ungegenständlichen, abstrakten Kunst verbunden wird."

Das Wiedererringen der Malerei wäre die epochale Leistung von Baselitz, ohne die sich auch die Kunst der Achtzigerjahre nicht verstehen ließe, so Schröder. Die Albertina zeigt Baselitz 2023 zum dritten Mal in drei Jahrzehnten und kann dabei aus üppigen Beständen – 40 Gemälde, über 200 Arbeiten auf Papier – schöpfen.

Warum aber sollte man Georg Baselitz heute noch feiern? Warum dieser Hype um diesen umstrittenen "Malerfürsten".

Kunst ist vielstimmiger geworden, globaler, polyzentraler und diverser. In dieser Gegenwart wirken Eulogien auf Georg Baselitz vor allem gestrig. Im Gestern hatte der Künstler Skandale nicht gescheut. In Ostberlin flog er von der Kunsthochschule, 1963 wurde ein Bild wegen Obszönität in Westberlin beschlagnahmt, und 1980 stellte er dann auf der Biennale in Venedig eine Skulptur mit erhobener, rechter Hand aus. Dass die Geste mit einem Hitlergruß verwechselt wird, war einkalkuliert. Im Sommer hatte Baselitz dann die deutschen Corona-Maßnahmen in eine Reihe mit Nationalsozialismus und der DDR gestellt.

Im Ranking ganz oben

Auch mit seiner Kunst wollte sich Baselitz am Status quo reiben. Jetzt ist er der Status quo. Das zeigt auch der Kunstkompass des Capital-Magazins. Einmal pro Jahr werden die wichtigsten Künstlerinnen und Künstler gereiht. Zu den Kriterien zählen Ausstellungen, Artikel, Awards oder Ankäufe durch ansehnliche Häuser. Baselitz rangiert seit Jahren auf dem dritten Platz. Den Vorsprung auf Rosemarie Trockel konnte er zuletzt ausbauen. Solche Rankings sind natürlich Unsinn, sagen alle, die von sich glauben, wichtige Kunst zu verstehen. "Was wir aber ernst nehmen, ist, wie die Künstler in den großen Museen behandelt werden", so Galerist Thaddaeus Ropac.

Als Galerie helfe man, wo man kann, um für Künstler die besten Plätze zu finden, man organisiert bestimmte Werke, berät die Häuser inhaltlich, und auch finanzielle Unterstützung ist möglich. "Manchmal kann sich ein Museum das überhaupt nicht mehr leisten", sagt Ropac: "Und das geht dann nur über Schenkungen der Künstler. Wir unterstützen das sehr." Die Kuratierung bleibe aber ganz und gar dem Museum überlassen.

Das Centre Pompidou hat etwa das große, erschütternde Spätwerk Wagon-lit mit Eisenbett überlassen bekommen, Häuser in Paris, München und New York wurden mit Werken beschenkt, und auch die Albertina durfte sich heuer über 50 Zeichnungen freuen. Das ist nicht weiter ungewöhnlich. Schröder: "Eine große Verschwörungstheorie des Kunstmarktes ist es, dass er manipuliert werden kann. Der Kunstmarkt kann nur ganz kurz gestaltet werden. Nachhaltig setzt sich das durch, was wirklich von Bedeutung ist. Was vorbildhaft ist, was innovativ ist und einzigartig."

Es ist unbestritten, dass Baselitz all das war. Wenn Kunst aber ihre Gegenwart und die Themen ihrer Zeit zum Schillern bringen soll, kann man zumindest fragen, ob Baselitz den Hype um ihn auch heute noch verdient. (Stefan Niederwieser, 18.11.2021)