James Stewart 1958 in Alfred Hitchcocks "Vertigo".

Foto: NBC Universal

Im Jahre 1958 veröffentlichte Alfred Hitchcock Vertigo, einen Thriller über einen ehemaligen Polizisten, der die Frau eines Freundes davor bewahren soll, vom Turm zu stürzen, zugleich aber unter lähmender Höhenangst leidet. Um die Höhenangst darzustellen, setzte Hitchcock eine neuartige Kameratechnik ein, die später als Hitchcock-Zoom, Dolly-Zoom oder Vertigo-Effekt bezeichnet wurde. Der Trick soll ein Gefühl von Schwindel erzeugen – dazu fährt die Kamera, auf einer Schiene (Dolly) gelagert, geradewegs auf ein Objekt zu, während gleichzeitig in entgegengesetzter Richtung von dem Objekt weggezoomt wird. Vertigo wurde nicht nur einer von Hitchcocks besten Filmen, sondern zählt zu den größten Filmen aller Zeiten; die Vertigo-Aufnahme wurde zur Ikone und kam in Filmen wie Der weiße Hai oder Herr der Ringe zum Einsatz.

Geometrische Figuren

2020 stand der Thriller Pate für Brice Pausets Komposition Vertigo / Infinite Screen, die diesen April bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik uraufgeführt wurde und nun im Rahmen von Wien Modern ins Wiener Konzerthaus übersiedelte. Auf der Bühne steht eine achtzehnteilige Leinwand, die vom russisch-wienerischen Künstlerduo Arotin & Serghei mit einer schwindelerregenden Audioinstallation bespielt wird. Geometrische Figuren des Hitchcock-Films wie Vier- und Rechtecke wechseln einander mit 3D-Bildern ab; dazwischen flimmern Sequenzen aus Vertigo auf, um kurz darauf wieder zu verschwinden.

Zum dreifarbigen Rauschen und Flackern der Leinwand interpretiert das Klangforum Wien unter der Leitung von Titus Engel Pausets spektakuläre Klangsequenzen zwischen flirrenden Streicherklängen, melodischen Bläserpassagen, choralartige Melodien, Rauschen und Klopfen. Unter Pausets wandelbares Klanggemenge mischen sich immer wieder elektronische Effekte, die sich vom Orchester lösen bzw. es unterspülen und über Lautsprecher in den Saal projiziert werden.

Die perfekte umgesetzte Symbiose zwischen Instrumentalklang und Computersound, Bild- und Klangsprache, analog und digital lässt ein virtuelles, in abstrakte Farbmuster getauchtes, hypnotisches LSD-Spektakel entstehen, das einem förmlich den Boden unter den Füßen wegzieht. Ein herrlicher Trip! (Miriam Damev, 18.11.2021)