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Es gibt keine einzige Studie, die die Wirkung des Entwurmungsmittels bei Covid-19 belegt. Im Gegenteil, es kann sogar zu Vergiftungen führen.

Foto: AP/Mike Stewart

Eine Steirerin liegt nach einer Überdosis Ivermectin auf der Intensivstation. Sie ist außer Lebensgefahr, doch nicht der einzige Vergiftungsfall. Dass das Entwurmungsmittel von vielen als Corona-Heilmittel angesehen wird, liegt an einer Laborstudie vom April 2020, die in Zellkulturen eine hemmende Wirkung von Ivermectin auf die Vermehrung von Sars-CoV-2 gezeigt hat. Die eingesetzte Dosis habe jedoch weit über der gelegen, die für Menschen zugelassen sei, wie DER STANDARD auch in einem Faktencheck berichtete.

Inzwischen gibt es auch einige abgeschlossene klinische Studien zu Ivermectin. Insgesamt 14 Studien wurden von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern der Universität Würzburg und der Cochrane Infectious Disease Group im Juli analysiert. Das Ergebnis: Es gibt nicht genügend Evidenz für die Sicherheit und Wirksamkeit von Ivermectin. Und auch eine im September 2021 in "Nature Medicine" publizierte Studie zeigt, dass die Erkenntnisse zu Ivermectin höchst unzuverlässig sind.

Das paradoxe an der Situation: Das Entwurmungsmittel wird von vielen propagiert, die die mRNA-Technologie der Impfungen kritisch sehen. Dabei wird das Medikament selbst von gentechnisch veränderten Bakterien produziert. Es handelt sich dabei um ein komplexes organisches Molekül, das mithilfe von rekombinanten, also gentechnisch veränderten Bakterien und einem chemischen Reinigungsverfahren hergestellt wird.

Gentechnik und Chemie

Das Molekül stammt aus der Klasse der Makrolide, wie die Mikrobiologin Sigrid Neuhauser, stellvertretende Leiterin des Instituts für Mikrobiologie an der Universität Innsbruck, erklärt. "Diese Gruppe von Molekülen wird in der Medizin für verschiedene Anwendungen verwendet, Antibiotika etwa, Antimyotika oder Immunsuppressiva." Die Makrolide werden mithilfe von Bakterien oder Pilzen durch Fermentation im Bioreaktor produziert. "Das kann man sich ähnlich wie Bierbrauen vorstellen, nur etwas komplizierter."

Im Fall von Ivermectin setzt man das Bodenbakterium Streptomyces avermitilis ein. Um möglichst viel Produkt zu bekommen, versucht man das Bakterium zu verbessern und sucht nach Linien, die schnell wachsen und viel von der gewünschten Substanz produzieren. Neuhauser: "Man weiß, welche Gene für die Produktion der Wirkstoffe verantwortlich sind und baut deshalb sogenannte Plasmide. Das sind ringförmige, kurze DNA-Abschnitte, die man in die Zellen einbringt und dort 'einschalten' kann, damit sie das gewünschte Produkt erzeugen. Damit die Ivermectin-Produktion des Bakteriums beschleunigt wird, hat man mit Gentechnologie an der Verbesserung der Stämme gearbeitet."

Ist das alles passiert, muss das Ivermectin aus der bei der Fermentation entstehenden Zellsuppe herausgefiltert werden. Das passiert mit Chemikalien wie Methanol, Essigsäureethylester und Aceton. Am Ende dieses Reinigungsprozesses bleibt das Ivermectin übrig, das zu Tabletten gepresst wird.

"Dieses Mittel ist ein hochpotenter Wirkstoff gegen Parasiten, das ist unbestritten", betont Neuhauser. "Dabei handelt es sich aber um Würmer, Milben und Läuse, keine Viren. Er wirkt gegen klassische Parasiten, keine Mikroorganismen."

Keine Evidenz für Wirksamkeit

Eine neue Theorie, warum Ivermection so gehyped wird, wurde auf Twitter geboren: Da Ivermectin in einigen Ländern angewendet werde, wo das Gesundheitssystem nicht so entwickelt sei, würden dort viele Menschen unter Parasitenbefall leiden. Das schwäche aber das Immunsystem. Durch die Einnahme von Ivermectin seien die Parasiten abgetötet worden, dadurch könne das Immunsystem besser arbeiten und Covid-19 bekämpfen. Doch auch wenn diese Theorie plausibel klinge, so Neuhauser, "glaube ich, dass man das nicht so einfach sagen kann. Hier werden unterschiedliche Erklärungsansätze in einen Topf geworfen, die man nicht so vereinfachen kann."

Das bestätigt auch Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für klinische Pharmakologie in Wien: "Ich habe dazu keine Daten, halte das aber für Unsinn. Ich kenne, unabhängig vom Land, keine einzige Studie, die vom Design her richtig war, die eine positive Wirkung gezeigt hätte."

Tatsächlich gibt es keinerlei Evidenz, dass das Entwurmungsmittel gegen Corona hilft. Das bestätigen auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), das Österreichische Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) und andre namhafte Institutionen wie das deutsche Robert Koch Institut (RKI) oder die Food and Drug Administration (FDA) in den USA, die sich alle gegen eine Anwendung aussprechen. Selbst die Herstellerfirma Merck (in Europa unter dem Namen MSD) stimmt mit einer Aussendung in diese Warnungen ein. Virologe und Infektiologe Christoph Steininger von der Med-Uni Wien dazu in dieser Aussendung: "Zusammenfassend kann daher nur dringend von der Verwendung von Ivermectin bei Covid-19 abgeraten werden, da, zusätzlich zur fehlenden Zulassung und Wirkung, die Möglichkeit schwerer Nebenwirkungen zu bedenken ist." (Pia Kruckenhauser, 19.11.2021)