Kommunikationsberaterin Christina Aumayr-Hajek rechnet in ihrem Gastkommentar mit der Pandemiebekämpfung der ÖVP ab. Sebastian Kurz ist gescheitert, sagt sie.

Wir haben dank Sebastian Kurz in den letzten Monaten in viele politische und moralische Abgründe geblickt. Doch bei Kurz' jüngstem politischem Hasardspiel fällt selbst langjährigen, abgestumpften Politikanalysten das Kaffeehäferl aus der Hand. Man bleibt fassungslos zurück, dabei hat man sich Fassungslosigkeit hierzulande bereits abgewöhnt.

Die reine Taktikfixierung der ÖVP ist nicht neu. Doch die jetzt zelebrierte Bündnistreue der türkisen Länderchefs Wilfried Haslauer und Thomas Stelzer zu Kurz fordert Menschenleben.

Der Mann im Hintergrund: Ex-Kanzler Sebastian Kurz.
Foto: Heribert Corn

Zu Beginn der Pandemie schockierten uns die Bilder von nächtlichen Leichentransporten aus Bergamo. Insgesamt 4.500 Menschen starben in diesen ersten tragischen Wochen der Pandemie in besagter Region. Die Bilder gestapelter Särge gingen um die Welt. Kurz nützte diese Bilder zu Beginn seiner Krisenkommunikation gezielt dafür, mit Angstmache die Schotten dichtzumachen. Doch sein Interesse für Menschenleben ist ihm jetzt abhandengekommen, seine eigene Erzählung vom Ende der Pandemie für Geimpfte geht vor.

Wir stehen bei 15.145 Neuinfektionen, so vielen wie noch nie, die Spitäler schlagen Alarm, in Salzburg und Oberösterreich wird triagiert, und die Todeszahlen klettern nach oben. Die letzten Verschärfungen des Bundes kommen um Wochen und Monate zu spät, die Idee einer Impfkampagne wurde im sommerlichen Wohlfühl-Vorwahlkampf in Oberösterreich von den Türkisen aufgegeben – so wie Kommunikation mit den Ungeimpften. Schließlich waren die eigenen ÖVP-Wähler ja überwiegend geimpft. Das wusste Kurz aus seinen Zahlen, also aus den einzigen Zahlen, für die sich der Ex-Kanzler interessiert. Der Demoskop seines Vertrauens geht nahezu wöchentlich für die Türkisen ins Feld, um das parteipolitische Stimmungsbarometer zu erheben.

Geistiger Beipackzettel

Für die Zahlen des Prognosekonsortiums oder jenen des Wiener Krisenstabs interessiert man sich hingegen innerhalb der türkisen Reihen nicht so sehr. Der FPÖ ließ man freien Lauf, immerhin war Wahlkampf im zweitgrößten Flächenbundesland. Dort stand der ehemalige Corona-Patient Manfred Haimbuchner neben dem Impfverweigerer Herbert Kickl auf der Bühne, nachdem Ärzte und Pflegekräfte wochenlang um das Leben Haimbuchners gekämpft hatten. In Oberösterreich sind Entwurmungspräparate für Pferde nicht mehr lieferbar, weil Dr. Kickl seine Therapieempfehlung für die Covid-Behandlung kundtat.

Wer aber glaubt, die intellektuellen Tiefschläge in Zeiten der Pandemie beschränken sich auf die FPÖ, irrt. Während die Salzburger Spitäler den Notstand erklären und die dortigen Ärzte triagieren, erklärte uns Haslauer, man könne ja leider nicht alle Menschen einsperren, denn die verdursten ja! Im Kopf von Herrn Stelzer purzelten tagesaktuell die intensivmedizinischen Kapazitäten durcheinander. Der jüngste kommunikative Streich von Haslauer war: Ein Lockdown verhindert die Impfbereitschaft. Zu dieser Aussage fehlt ihm vermutlich der geistige Beipackzettel.

Tourismusministerin Elisabeth Köstinger erklärte uns, man könne nicht nur auf die Experten hören, man müsse auch die Lebensrealität der Menschen berücksichtigen. Gut, tun wir das, Frau Köstinger. Die Lebensrealität ist, dass Menschen durch die ungebremste Durchseuchung sterben! 61 Todesfälle seit Montag – der höchste Wert seit neun Monaten.

Blinde Loyalität

Wie sind diese Wortmeldungen zu erklären? Ist diese Wissenschaftsfeindlichkeit mangelndes intellektuelles Fassungsvermögen oder blinde Loyalität zum Bundesparteiobmann? Das eine bedient vermutlich das andere. Immerhin ein denkender Landespolitiker hatte den Mut auszusprechen, was ist. Der Salzburger Landesrat Heinrich Schellhorn (Grüne) nannte die Ursache beim Namen: Unser Landeshauptmann orientiert sich leider an der Linie der Bundes-ÖVP – und die Bundes-ÖVP ist Kurz.

Dieser arbeitet gerade an seinen Comebackplänen. Kurz würde die ÖVP eher in eine Spaltung treiben, als sich vom Acker zu machen. Als Sündenbock für das Corona-Debakel hat man sich ein dankbares Opfer auserkoren: den Politikneuling Wolfgang Mückstein. Reißt den Grünen angesichts der Kurz’schen Sabotage der Faden, müsse man eben leider, leider mit Kurz als Spitzenkandidaten in eine Wahl gehen. Denn wer könnte sonst einen kompletten Absturz verhindern? Schallenberg? Eben.

Der Wind hat sich gedreht

Der Blick auf die Opposition wähnt die türkisen Taktiker in Sicherheit. Denn nur für 30 Prozent der eigenen Wähler ist SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner die beste Spitzenkandidatin für einen kommenden Wahlkampf. Dass Rendi-Wagner keine Wahlen gewinnen und Menschen von sich überzeugen kann, ist in der Politik leider ein Problem. Die Neos haben sich mit ihrer Forderung nach einem Lockdown-Verbot ins Out manövriert. So erstrebenswert das wäre, die pandemische Lage ist eine andere, die Idee damit realitätsfremd. Im Gegensatz zu Rendi-Wagner ist Beate Meinl-Reisinger eine begnadete Wahlkämpferin, aber es fehlt der Partei der inhaltliche Kompass.

Kurz wittert bereits Morgenluft. Für seine politische Rückkehr nimmt er die Katastrophe in Kauf. Wer braucht schon Einigkeit in einer Regierung am Höhepunkt der Covid-Sterbestatistik? Doch der Wind hat sich gedreht. Der Boulevard ist längst gekippt, es gibt Berichte von Leichensäcken auf dem Gang und seit Tagen Bilder von Covid-Intensivpatienten. Haslauer und Stelzer haben realisiert, dass sie entweder springen müssen oder mit der türkisen Titanic untergehen. Ein Lockdown für Oberösterreich und Salzburg wurde angekündigt, damit ist die Kurz’sche Erzählung im Eimer. Der treue Diener Alexander Schallenberg sammelt jetzt die Scherben auf und wird als letzter Briefträger von Kurz als Randnotiz in die Geschichte eingehen. Kurz hat seine letzte Schlacht verloren. (Christina Aumayr-Hajek, 18.11.2021)