Der einflussreiche österreichische Schriftsteller Oswald Wiener ist im Alter von 86 Jahren gestorben.

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Freiheit, schrieb der Autor und Privatgelehrte Oswald Wiener 1982, dürfe "nicht als Freiheit des Handelns oder des Willens gesucht werden, hier ist nichts zu holen." Wiener, kein Kind anarchischer Traurigkeit, schlug etwas anderes, Verblüffenderes vor: "Nur im Künstlichen liegt Freiheit, in der Liquidierung starrer Vorstellungen."

Wiener war Mitbegründer der mindestens hierzulande weltberühmten Wiener Gruppe. Im Verein mit Friedrich Achleitner, Konrad Bayer und Gerhard Rühm – mit H.C. Artmann als gelegentlichem Trabanten – suchte Wiener ab den frühen 1950er-Jahren Auswege aus der drückenden Enge Nachkriegsösterreichs: als gerade einmal 18- oder 19-Jähriger.

Wiener spielte nicht nur Jazztrompete. Er und seine Kollegen warfen der einheimischen Welt vor, vorsätzlich hinter den eigenen, oftmals unentdeckten Möglichkeiten zurückzubleiben. Wieners Revolte war von Anfang an kein reines Fortschrittsprojekt. Das experimentelle Dichten und Denken von Wiener & Co glich vielmehr einem inwendigen Rütteln am Käfig der Sprache: Man musste, schien es, die Begriffe quetschen wie Zitronen, damit sie endlich neue Bedeutungen preisgaben. Anfangs trugen die Mitglieder der Wiener Gruppe nicht nur Anzug, sondern sie führten den frühen Wittgenstein als Wegzehrung mit sich.

Poesie in rasender Bewegung

Im Heißhunger verschlangen diese Erkenntniskritiker der vielen allzu schönen Wörter entlegene Denker der Anarchie, wie den Hegel-Schüler Max Stirner (Der Einzige und sein Eigentum). Man ergötzte sich am Erfindungsreichtum der Barock-Literatur und baute, unter Zuhilfenahme von Wörter- oder Exerzierhandbüchern, streng kalkulierte Texte. Wider den Dünkel der alten, zum Teil noch aus dem Austrofaschismus emeritierten Literaturbeamten setzte man das Schwungrad der Poesie in rasende Bewegung. Das fröhliche Experimentieren verschaffte der Dichtkunst Anschluss: an Theorien des Spracherwerbs, des menschlichen Bewusstseins.

Wer oder was denkt überhaupt, wenn ich sage: "Ich denke?" Mit der provokanten Formulierung dieser und ähnlicher Fragen flutete Oswald Wiener nicht nur den Diskurs unter den Freunden. Verhaltensformen wurden zum Prüfstein des Verständnisses; man provozierte die Gesellschaft mit unvorhergesehenen Gedanken, Worten und Werken. Sein Frühwerk hat Wiener später vernichtet; dokumentiert ist seine Strenge gegenüber Zeitgenossen, die seinem Reflexionsniveau nicht standhielten.

1958 reizte die Wiener Gruppe die Öffentlichkeit mit ihrem "1. literarischen Cabaret" zu Lachstürmen: Man erzählte sich Witze ohne Pointe und zerlegte einen Konzertflügel mit der Axt. 1964, mit Bayers Selbstmord, war das furiose Kapitel zu Ende. Wiener hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Kybernetik zu studieren begonnen. Er dockt 1963 bei der Firma Olivetti an.

Mängel des Denkens

Als Literat macht er nur noch mit grandiosen Verweigerungsleistungen auf sich aufmerksam. Wieners "Roman" Die Verbesserung von Mitteleuropa, Roman erschien erst stückweise in den Grazer manuskripten. Er wird 1969 endlich bei Rowohlt verlegt. Das Buch enthält einen Abriss der gröbsten Mängel, deren sich das Denken, sei es aus Schlampigkeit oder Unfähigkeit, in der Moderne schuldig gemacht hat. Das Programm: Illusionsabbau. Die Bezugnahme gilt Mustern, die verbessertes Denken versprechen. Wiener empfiehlt: "sätze einnehmen wie sonst pillen." Sein Schmöker ist eine Art Pillenknick, ein Pamphlet wider die denkfaule Altertümelei; "Die Verbesserung" bleibt ein Wurf, ein Jahrhundertbuch.

Als Dichter ging Wiener dem Betrieb fortan verloren. Wohl nahm er an der berüchtigten "Hörsaal 1"-Aktion ("Uni-Ferkelei") teil, in deren Rahmen er Module an die Tafel kritzelte. Die "schöne Literatur" umging dieser vollkommen eigenständige Kopf immer weiträumiger. Er wurde Exilant. Wiener amtierte in den 1970/80ern in Westberlin als Wirt und Herbergsvater für ungebärdige Geister. Später lebte er zusammen mit seiner Frau Ingrid in Alaska, Auge in Auge mit riesigen Elchen.

"Bio-Adapter" und "Schleimklumpen"

Wieners Beiträge zu Problemen der "Künstlichen Intelligenz" ersetzen heute das poetische Werk, das zu verfertigen ihn nicht mehr interessierte. Sie zeigen ihn als "wissenschaftlichen Renegaten", den vornehmlich Fragen der Automatentheorie und der Denkpsychologie umtrieben. Auf dieses Gebiet, das er sich in geduldiger Selbstbeobachtung erschloss, sind ihm überschaubar viele Leser gefolgt.

Diese werden sein Konzept des "bio-adapters" auf ewig in Ehren halten: die Erfindung eines Moduls, das den Menschen umschließt als dessen eigenes "bio-komplement". Nur so, meinte Wiener, wäre der "miserabel ausgerüstete schleimklumpen" Mensch von allen Unbilden der Existenz zu erlösen. Jetzt ist Wiener an den Folgen einer Lungenentzündung 86-jährig in der Steiermark gestorben. (Ronald Pohl, 18.11.2021)