Die Strahlung des umgangssprachlich auch als "gelbe Sau" bekannten Sterns kann für Menschen gravierende gesundheitliche Folgen haben – und sie vor Gericht bringen.

Foto: imago images / Rene Traut

Wien – Es ist ein eher seltsamer Prozess, den Richterin Sonja Weis gegen Pawel F. und seine Mutter führt. Der 45-Jährige und die 70-Jährige sind wegen Quälen und Vernachlässigen eines Unmündigen angeklagt: Sie sollen den zweijährigen Sohn beziehungsweise Enkel am 9. Mai so sehr der Sonne ausgesetzt haben, dass das Kleinkind Verbrennungen ersten und zweiten Grades und einen Sonnenstich erlitt. Die beiden Unbescholtenen bestreiten das und vermuten den Obsorgestreit mit der Kindesmutter als Hintergrund für deren Anzeige.

Im Sommer 2020 ließen sich der Erstangeklagte und die Kindesmutter scheiden, jeden Dienstag und jedes zweite Wochenende sind die beiden gemeinsamen Söhne bei ihm. Auch am 8. Mai habe er die Kinder abgeholt, am nächsten Tag, dem Muttertag, habe man einen Ausflug gemacht – insgesamt fünf Kinder hätten sich in einem Garten beziehungsweise auf einem Spielplatz vergnügt, die anderen vier hätten dabei keine Schäden erlitten.

Lichtschutzfaktor 50 verwendet

Er habe seinen Sohn auch mit einem rund neun Monate alten Sonnenschutzmittel mit Lichtschutzfaktor 50 eingecremt, beteuert der Erstangeklagte. Als er das Kind gegen 18.30 Uhr bei der Mutter abgeliefert habe, sei der Bub fröhlich gewesen und habe keine Rötungen aufgewiesen.

Eine knappe Stunde später machte die Mutter Aufnahmen, die dem Gericht vorliegen: Zu sehen ist der krebsrote Kopf des Kindes und Blasen an den Ohren. "Ich bin schockiert. Ich habe die Bilder erstmals am 1. Juni vor dem Familiengericht gesehen", sagt der Angeklagte dazu. Seine Ex-Frau habe ihm zwar noch am Abend eine SMS mit dem Inhalt "Seid ihr verrückt geworden, was habt ihr mit ihm gemacht?" geschrieben, er habe aber nicht darauf reagiert.

Der Verteidiger legt eine Whatsapp-Konversation zwischen der Zweitangeklagten und der Kindesmutter vor. Letztere hatte beim Zurückbringen der Kinder den Erzeuger nämlich für seinen Alkoholkonsum kritisiert. Er erzählte das seiner im Auto wartenden Mutter, die ihn bei der Ex-Frau daraufhin schriftlich verteidigte. Der Zustand des Kindes spielt in dieser Unterhaltung keine Rolle.

Zwei Tage später zur Kinderärztin

Das liege daran, dass die Rötung erst gegen 19 Uhr aufgetreten sei, sagt die Kindesmutter als Zeugin. "Aber laut diesem Foto muss er ja beim Heimkommen geleuchtet haben wie ein roter Lampion?", ist Richterin Weis verwirrt. "Nein, als er gekommen ist, war er nur minimal gerötet", erklärt die Zeugin. "Warum sind Sie erst am 11. Mai zur Kinderärztin gegangen?", interessiert die Richterin auch. Das liege daran, dass sich der Bub sowohl am Montag im Kindergarten als auch Dienstagfrüh übergeben habe, begründet die 39-Jährige. "Und die im Kindergarten haben auch nichts gesagt?", kann die Richterin kaum glauben, dass niemand wegen des Zustandes des Kindes Alarm schlug. "Ich habe gesagt, er hat sich ein bisschen verbrannt", wiegelt die Mutter ab. Von der Kinderärztin wurden dann ein Sonnenstich, Verbrennungen und eine Mandelentzündung festgestellt. Am 22. Mai zeigte die Zeugin ihren Ex-Gatten schließlich an.

Der 94-jährige dermatologische Sachverständige belastet in seiner Expertise den Angeklagten. Das Kind habe Verbrennungen ersten und zweiten Grades erlitten, führt der Greis aus. Das könne selbst bei Verwendung eines starken Sonnenschutzmittels auftreten. Die von der Richterin bei der Zentralanstalt für Meteorologie erfragte Globalstrahlung der Sonne von bis zu 800 Watt pro Quadratmeter, die an diesem Tag herrschte, sei für einen derartigen Sonnenbrand ausreichend.

Greiser Sachverständiger

Allerdings bezieht der Sachverständige sich offenbar auch auf Angaben der Kindesmutter, wonach der Erstangeklagte an dem Wochenende in Wahrheit gearbeitet habe, und er daher gar keine Sonnencreme auftragen konnte. Diese Behauptung wird allerdings vom Verteidiger widerlegt, indem er eine Bestätigung von F.s Arbeitgeber vorlegt, wonach dieser am fraglichen Wochenende nicht im Dienst gewesen sei. Der Staatsanwältin wiederum fällt auf, dass der Sachverständige konsequent ein falsches Alter des Kindes angibt.

Die Staatsanwältin ergreift dann noch einen ungewöhnlichen Schritt und zieht die Anklage gegen die 70-jährige Mutter von F. zurück, die daraufhin von Weis rechtskräftig freigesprochen wird. Sie hatte nämlich ohnehin keinerlei Fürsorgepflicht für den Enkel, da der Vater ja anwesend war, warum sie überhaupt auf der Anklagebank gelandet ist, bleibt ein Rätsel.

Der Richterin missfällt dafür das Gutachten, sie hält es für nicht schlüssig. Weis kündigt an, auf unbestimmte Zeit zu vertagen, um einen neuen Dermatologen zu beauftragen, zusätzlich will sie auch die Kinderärztin hören, die den Bub zwei Tage nach dem Sonnenbrand behandelt hat, um mehr über seinen Zustand zu erfahren. (Michael Möseneder, 18.11.2021)