Geizte lange mit stimmlicher Durchschlagskraft: Bryn Terfel.

Foto: Staatsoper

Da haben sich zwei gefunden. Er, ein rastloser Bindungsunfähiger, der alle unheiligen Zeiten die Kontaktaufnahme mit dem anderen Geschlecht wagt und dann aber sofort XL-Forderungen stellt. Die absolute Hingabe bis ans Lebensende muss es sein, darunter macht er’s nicht! Klappt aber nie: Denn von pathologischer Eifersucht gepeinigt, haut der Narziss bei der kleinsten Kleinigkeit wieder ab. Sie, die Bessergestelltentochter mit suizidaffiner Aufopferungslust. Was gibt es Begehrenswerteres als einen Meereswanderer "mit leidenvollen Zügen" und "unerhörtem Gram"? Den bleichen Seemann erkennt sie als Chance auf Erhöhung durch Selbstaufgabe: "Mit ihm muss ich zugrunde gehn!"

Schauer und Dezenz

Bei der Wiederaufnahme der atmosphärisch starken Inszenierung von Christine Mielitz (von 2003) gaben Bryn Terfel und Ricarda Merbeth das verrückte Paar. Die beiden Rollenschwergewichte und Routiniers kennen sich und die Produktion – gut so. Terfel ging mit seinem Stimmvermögen recht geizig um: Im ersten Aufzug hatten seine Experimente im Pianissimo-Labor noch den Beiklang spukhafter Schauerromantik, im zweiten fesselte der Waliser mit prägnanter Dezenz. Zartheit der Stimme als Ausdruck einer Zartheit des Herzens. Am Ende gab’s dann endlich Zunder.

Die Bayreuth-erprobte Ricarda Merbeth bedachte die Senta erst mit einem volatilen Vibrato und einem schlierigen Timbre, dann wurde es besser. Ihren Erzeuger Daland gab Franz-Josef Selig mit gewichtigem und trotzdem beweglichem Bass. Zu den Einspringern: Mit trompetenfeinem Ton verzweifelte Jörg Schneiders Erik, Daniel Jenz (Steuermann) rief den Südwind mit geschmeidiger Dringlichkeit herbei. Kraftstrotzend und impulsiv der Männerchor, etwas undeutlich meist die Spinnerinnen. Bertrand de Billy dimmte die Betriebsdynamik des Staatsopernorchesters bei Bedarf stark herunter, ließ es aber auch ordentlich krachen. Begeisterung für alle. (sten, 19.11.2021)