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Wer ein echter Cowboy ist, wäscht sich lieber nicht allzu oft: Benedict Cumberbatch in "The Power of the Dog".

Foto: AP

Bei den Burbanks, irgendwo hinter dem Kaff Beech in Montana, steht hoher Besuch an. Der Gouverneur persönlich will mit Gattin vorbeischauen. Für die Brüder Phil und George Burbank, zwei Rinderfarmer in der Einschicht einer grandiosen Landschaft, eigentlich Grund genug, sich in Schale zu werfen und sich davor auch gründlich zu waschen.

Doch Phil, ein mustergültiger Cowboy, hat keine Lust auf Zivilisation. "Ich stinke, und ich stehe drauf", entgegnet er George, dem seinerseits an einem gesitteten Abendessen sehr gelegen ist. Er möchte nämlich seine Braut vorstellen, die schöne Witwe Rose, die ein vergleichsweise feines Restaurant in Beech aufgegeben hat, um auf der Farm ein neues Leben zu beginnen. Phil lässt sich später doch noch blicken bei dem noblen Anlass.

Netflix

Das Maß seiner olfaktorischen Zumutung wird aber nicht mehr groß thematisiert. Im Kino zählen andere Kriterien, und das bedeutet im Fall von Jane Campions "The Power of the Dog": Phil ist ein Sexsymbol, George ein fader Zipf. Benedict Cumberbatch spielt den einen, Jesse Plemons den anderen. Phil ist einer, der mit tiefer Stimme und Witz jede Herrenrunde dominiert. George hingegen ist anständig, auch etwas langsam im Kopf. Phil sitzt rank und schlank im Sattel, George aber reitet, als säße er in einem Ohrensessel.

Brüder sind im menschlichen Erzählen seit jeher ein zentrales Motiv. Seit Kain und Abel ist die Konstellation ein Klassiker, und weil der Western als Genre gern bei den älteren Stufen der Kultur ansetzt, gibt es wie in der Bibel auch unter Cowboys immer wieder markante Gegensätze. "Duell in der Sonne" von King Vidor wäre ein Beispiel, da prallten Gregory Peck und Joseph mit – wie man in solchen Fällen dann eben gern sagt – alttestamentarischer Wucht aufeinander.

Blick zurück und nach vorn

"The Power of the Dog" spielt allerdings am Ausgang der Westerngeschichten, es gibt in Montana anno 1925 sogar schon Autos. Der Konflikt zwischen Phil und George hat also auch eine historische Dimension: Der eine schaut nach vorn, der andere lieber zurück. Phil idealisiert eine Vergangenheit, für die ein Mann namens Bronco Henry steht, der ihn alles gelehrt hat, was ein Cowboy können muss. Ob zur Ausbildung auch Regeln zur Körperpflege zählten (einmal im Monat?), muss man sich zusammenreimen.

Denn Phil ist Wasser und Seife keineswegs abhold. Er badet aber lieber in der Natur. Das sieht dann stark nach Freikörperkultur aus, ein bisschen auch nach schwulem Ritual, denn die Cowboys planschen im Adamskostüm auch in der Gruppe. Phil bleibt in solchen Momenten lieber für sich, weil er dann besser seinem Fetisch huldigen kann. Er hat von Bronco Henry noch ein Stück Textil, das andere Reaktionen in ihm hervorruft, als man von einem Cowboy erwarten würde.

"The Power of the Dog" macht aber nicht einfach dort weiter, wo nach "Brokeback Mountain" ohnehin schon der Pfad bereitet ist. Campion ist keine Regisseurin, die Filme auf befreiende Identifikation ausrichtet. Sie sucht nach Konflikten, die sich ins Pathos steigern lassen und in die feineren Verästelungen der menschlichen Motivation zergliedern lassen. In diesem Fall hat sie ihre Vorlage in einem Roman von Thomas Savage gefunden. Und so tritt sie nun, fast zehn Jahre nach der Fernsehserie "Top of the Lake" und bald dreißig Jahre nach "Das Piano", eben mit einem Western hervor, der zugleich klassisch und modern ist.

Homosoziale Initiation

Definitiv modern ist zum Beispiel die Figur der Rose, großartig gespielt von Kirsten Dunst. In einem früheren Leben war sie einmal Klavierspielerin, allerdings im Kino: Sie klimperte zu Stummfilmen den Soundtrack. Rose hat einen Sohn, der für die ganze Geschichte die motivische Klammer gibt und sich als ambivalente Figur erweist: Ben (Kodi Smit-McPhee) wirkt anfangs wie eine Mischung aus Geck und Tölpel, sein Hobby ist die Floristik. Das Drama beginnt, als Phil ihn unerwartet unter seine Fittiche nimmt.

Die homosoziale Initiation eines (in jedem Sinn dieses Wortes) queeren jungen Mannes läuft aber nicht einfach auf eine Erweiterung sexueller Identitätsregister hinaus, sondern erweitert das Repertoire, das im Genre für solche Figuren angelegt ist. Bei Karl May tummelten sich Typen wie Ben an den Rändern, nun aber rücken sie ins Zentrum – siehe auch "First Cow" von Kelly Reichardt.

Campion hat den Roman von Savage geradezu mustergültig auf den Punkt gebracht, ohne irgendetwas an Komplexität zu reduzieren. Sie hat in Neuseeland ein angemessenes Montana gefunden und für das Retortenkino von Netflix einen großen Western verfertigt, bei dem man die Gelegenheit, ihn im richtigen Kino zu sehen, nicht versäumen sollte. (Bert Rebhandl, 19.11.2021)