"Dem Mann kann geholfen werden", so lautet der finale Satz aus Schillers Räubern. Man möchte ergänzen: Dem Mann kann nicht, ihm muss geholfen werden, und möglichst, bevor es zur finalen Tat kommt.

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Gauner und Ganoven, Räuber und Mörder, auch Amokläufer, Söldner, Terroristen und Diktatoren sind selten weiblich. Hier hat keine feministische Bewegung je eine Gleichstellung gefordert. Bei den Gefängnispopulationen der Welt sind Frauen deutlich unterrepräsentiert – variabel je nach Land bewegen sie sich so ungefähr um die fünf Prozent und jedenfalls im einstelligen Prozentbereich. Das Kriminelle ist seit Menschengedenken mehrheitlich männlich, keine Statistik und keine Studie haben das je in Zweifel gezogen.

Die lüsterne Aufbereitung von Frauenmorden in den Krawallblättern geht Hand in Hand mit der politischen Instrumentalisierung weiblicher Leichen – wenn Ausländer, Migranten oder Geflüchtete tatverdächtig sind. Ebenso populär ist die vereinfachte Vorstellung von Männern als Täter und Frauen als Opfern. Die Welt ist nicht nur schwarz und weiß, das Weibliche ist nicht nur gut und das Männliche nicht nur böse.

Malestream-Wissenschaften

Ungleichgewichte bestehen auch in Forschungsfeldern. Lange Zeit mussten sich die Malestream-Wissenschaften den Vorwurf gefallen lassen, dass sie in Bezug auf die Diskursivierung des Körpers, auf Beschädigungen, Verletzungen und Grenzüberschreitungen mit Blindheit geschlagen waren, was geschlechtlich konnotierte Übergriffe betrifft ("male bias"). Im Unterschied dazu wurden in der feministischen Theoriebildung Geschlecht und Gewalt von Anfang an zusammengedacht.

Diese männliche Verweigerung oder Ignoranz führten weibliche Wissenschafterinnen, etwa Eva Kreisky und Birgit Sauer (Das geheime Glossar der Politikwissenschaft), auf die historisch gewachsene Trennung von Öffentlichem und Privatem in der bürgerlichen Gesellschaft zurück.

Frauen und ihr Körper

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Geschlechterbezogene Auseinandersetzungen sind keinesfalls auf soziale Randgruppen beschränkt: Geprügelt wird quer durch alle Milieus.
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Erst seit den 1970er-Jahren konnte die Grenze zwischen diesen Sphären aufgebrochen werden. Mit dem Schlachtruf "Das Private ist politisch" und basierend auf dem Konzept "Politik der ersten Person", das individuelle Erfahrungen und Bedürfnisse und subjektive Befindlichkeiten zum Ausgangspunkt von sozialem Handeln nimmt, attackierten theoriegestählte Frauen die von Männern besetzten Machtgebiete.

Und indem Aktivistinnen den männlichen Zugriff auf den weiblichen Körper als Frauenunterdrückung bekämpften, ebenso die staatliche Kontrolle über die Gebärfähigkeit (Abtreibungsverbot) und die Vermarktung des weiblichen Körpers in der Werbung und in der Pornografie, wurde schließlich eine Teilpolitisierung des Privaten eingeleitet.

So wurde es möglich, Geschlechterungleichheiten als Auswuchs eines tiefverwurzelten Herrschaftssystems zu begreifen und im Zuge dessen häusliche Gewaltregime als gesellschaftlich bedingt und ideologisch legitimiert wahrzunehmen. Doch erst 1989 machte die Sexualstrafrechtsreform in Österreich Vergewaltigung und geschlechtliche Nötigung in der Ehe oder Lebensgemeinschaft strafbar. In Deutschland trat ein entsprechendes Gesetz 1997 in Kraft.

Beherrschung und Beherrschte

Männliche Monopolisierung von Machtpositionen basiert indes nicht zwingend auf Gewalt. Hier erweist sich das Konzept der kulturellen Hegemonie des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci als brauchbares Erklärungsmodell, wonach eine soziale Einheit eine andere dominiert, weil diese Machtkonstellation von beiden Gruppen nicht infrage gestellt wird. Hegemonie funktioniert konsensual – die Beherrschten gestatten ihre Beherrschung.

Deswegen zirkuliert Gramscis Hegemoniekonzept auch in feministischen Zirkeln. Denn Ungleichheits- und Unterordnungsverhältnisse gründen häufig nicht auf Zwang, sondern auf Zustimmung, auch wenn diese mitunter zähneknirschend oder resignierend erfolgt. Aber Geschlechterhierarchien fußen eben nicht nur auf Einvernehmen, sie produzieren reichlich Druck und Willkür, körperliche und psychische Verletzungen.

Brutalität und Blutrunst

Geschlechtsbezogene Grenzüberschreitungen sind keinesfalls auf soziale Randgruppen wie Außenseiter, Kriminelle oder Bildungsferne beschränkt, wie aus ideologischen Gründen gern behauptet oder angenommen wurde und wird. Vor einigen Jahrzehnten war dies keineswegs so klar wie heute, wo nach einer Konjunktur der Gewaltforschung und noch offensichtlicher der Geschlechterforschung kein Zweifel besteht, dass Übergriffe in all ihrer Vielfalt nicht klassenspezifisch normiert sind. Geprügelt, gepöbelt und gemordet wird quer durch alle Milieus.

Ratlos und fassungslos angesichts von Brutalität und Blutrunst greifen Berichterstatter und Kommentatorinnen oft auf das Adjektiv "sinnlos" zurück. Aber Gewalt ist nicht sinnlos. Das Gegenteil ist der Fall. Gewaltakte erfolgen zweckgeleitet und zielgerichtet, auch wenn sie im Affekt geschehen.

Randale und Tumulte ebenso wie individuelle Ausfälle und Attacken können nur in ihrer sozialen Verortung begriffen werden. Sie erfolgen sinnhaft. Es geht jedoch nicht so sehr um den subjektiven Sinn für Akteure respektive Täter, sondern um die Bedeutung im Hinblick auf das gesellschaftliche Ganze, in dem solche Handlungen stattfinden, also eine gesellschaftliche Sinnhaftigkeit. Sie sind konstitutiv für die Aufrechterhaltung einer hierarchisierten (Geschlechter-)Ordnung.

Männlichkeitsritual Gewalt

Körperbezogene Grenzüberschreitungen sind für verschiedene Männlichkeitskonstruktionen konstitutiv, und dies gilt nicht nur für Initiationsrituale indigener Minderheiten irgendwo am Amazonas oder in Afrika. Die üblichen Verdächtigen in westlichen Ländern: Burschenschaften, Rechtsextreme, Waffennarren, Hooligans, Ultras, Skinheads, Punks, Hells Angels, Jugendgangs, wobei sich nicht alle diese verhaltensauffälligen Subgruppen und auch nicht alle ihre Jünger gleichermaßen und in gleicher Art gewaltaffin oder verbrecherisch gebärden.

Jedenfalls setzen derartige Männlichkeitsinszenierungen formative soziale Kräfte frei, die imstande sind, Freundschaften und Bündnisse zwischen Spießgesellen und Kumpanen zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Derartige Gewaltpraktiken sind kommunikative Handlungen, sie schaffen nicht nur Zugehörigkeiten, sondern auch Machtgefälle.

Als perfide Abart von aggressiver Überlegenheitsdemonstration qualifizieren sich Angriffe, die gegen die sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung einer Person gerichtet sind – also sexuelle beziehungsweise geschlechtsbezogene Gewalt oder sexualisierte Gewalt.

Mit System und Vorbedacht

Sexualisierte Gewalt steht im Unterschied zu gewalttätiger Sexualität; während bei Letzterer Sexualität das Ziel und Gewalt das Mittel ist, ist es bei Ersterer genau umgekehrt. Nicht die sexuelle Handlung ist das primäre Anliegen, sondern eine Verletzung, die über Sexualität ausgeführt und zugefügt wird. Es ist also eine Vergeschlechtlichung von Gewalt als Mittel einer Machtpraxis.

Auch derartige Grenzüberschreitungen erfolgen nicht wahllos und nicht sinnlos, sondern mit System und Vorbedacht. Sexualisierte Gewalt hat eine instrumentelle und kommunikative Dimension. Sie kommt als strategische Waffe zum Einsatz, mit dem Ziel der Erniedrigung und Demütigung. Dem und der Unterlegenen wird zur Kenntnis gebracht, dass sie auf den unteren Stufen der hierarchisierten Ordnung angesiedelt sind. Es geht um Kontrolle und um die Aufrechterhaltung von Machtpositionen.

Toxische Weiblichkeiten

Man muss die toxischen Maskulinitäten – mit ihren Symptomen Macht- und Kontrollausübung, Aggressivität und Gewalt, Homophobie und Misogynie – als soziale Krankheit betrachten. An ihr leiden jene schwachen Männer, die sich für besonders stark halten, die Männlichkeit nur als hypermännlich oder unmännlich begreifen können, die gegenwärtig auch im Schoß und in der Geborgenheit rechtsdemagogischer und rechtsextremer Parteien ihre Verwirklichung suchen.

Aber wenn es toxische Männlichkeiten gibt, dann auch toxische Weiblichkeiten. Die These vom Patriarchat als Urheber aller geschlechtsspezifischen Ungleichheiten hat einen Schönheitsfehler. Sie weist alle Schuld Männern zu und berücksichtigt nicht, dass auch andere Geschlechter als Kompliz*innen männlicher Macht an der Produktion von Über- und Unterlegenheitsstrukturen beteiligt sind.

So arbeiten Frauen mit an der Unterdrückung von Frauen, an der Aufrechterhaltung von Geschlechterasymmetrien – als Mütter, Schwiegermütter, Ehefrauen, Vorgesetzte, Kolleginnen.

Tat, Täter, Komplizin

Sie tun dies aktiv, wenn sie Gewaltregime mitgestalten, etwa im familiären Bereich bei Kindesmisshandlungen, Kindesmissbrauch oder Kinderpornografie – auch wenn der Anteil von Müttern bei solchen kriminellen Aktivitäten sehr viel kleiner ist als der von Vätern und männlichen Verwandten. Sie tun dies passiv, indem sie die Verhältnisse dulden und schweigen, sich nicht zuständig fühlen, nicht eingreifen.

Sie tun dies durch direkte und indirekte Zustimmung zur Höherwertung des Mannes, wodurch sie Privilegien und Anerkennung ernten. Die deutsche Sozialwissenschafterin Christina Thürmer-Rohr hat sich mit der These der weiblichen Mittäterschaft viele Feindinnen geschaffen – Frauen, die sich lieber nur in der Opferrolle wahrnehmen.

Frauen sind nicht nur schweigende Kollaborateurinnen und Dulderinnen männlicher Macht und männlicher Zwangsmittel. Die Soziologin Manuela Boatcă analysiert Gewalthandeln und Geschlechterasymmetrien in Relation zu gesellschaftlicher Zuschreibung und realer Ausführung. Weibliche Gewaltakte sind dokumentiert in der Französischen Revolution, in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, in den postkolonialen Kriegen und Massenmorden, wenn auch in weit geringerem Ausmaß als männliche.

Doch Gewalthandeln wird geschlechterdifferent zugeschrieben und gewertet. Das Männliche ist essenzialistisch festgelegt auf den aktiven Part des Leidzufügens, das Weibliche auf den passiven des Leiderduldens – ein Konstrukt, das in feministischen Debatten als Infantilisierung der Frau abgelehnt wird.

Verkehrtes Machtgefälle

Andererseits sind die Ehefrau mit dem Nudelwalker in der Hand, die Soldatin mit der Waffe, die kämpfende Amazone Gegenstand von Karikaturen. In einer Umkehr dessen, was gesellschaftlich erwünscht ist, wird zum Witz gemacht, was nicht sein darf, denn wenn es Ernst wäre, würde es die Ordnung der Geschlechterhierarchien infrage stellen. Und das wollen so manche doch nicht … Oder?

Nicht nur Frauen sind Adressaten individueller Gewaltausübung. Zögerlich, aber doch hat die soziologische Gewaltforschung sich auch der Männer als Opfer angenommen. Sie erleiden physische und psychische Angriffe und Verletzungen durch andere Männer, aber auch durch Frauen – in scheinbar verkehrtem Machtgefälle in der Geschlechterkonstellation.

Es sind dies jedoch andere Formen von Gewalt, deren Folgen sind sehr viel seltener tödlich. Der Maskulinitätsforscher Hans-Joachim Lenz spricht von der "kulturellen Verleugnung der männlichen Verletzbarkeit". Prügel, Ohrfeigen, sexuelle Übergriffe, Drohungen, Mobben und Stalken und andere gewaltsame Interventionen kommen in der Kindheit, in der Schule, in der Ausbildung, beim Wehrdienst und beim Zivildienst, in der Arbeit und in der Freizeit, im Gefängnis und gewiss auch im Kloster vor.

Grenzüberschreitungen ereignen sich im öffentlichen Raum und in häuslicher Abgeschiedenheit und nicht zuletzt im partnerschaftlichen Zusammenleben, sei es hetero- oder homosexuell, also in allen gesellschaftlichen Bereichen und in allen Lebenslagen. In heterosexuellen Haushalten erleben Männer den Geschlechterkampf durch weibliche Betriebsamkeit im Schikanieren, Beleidigen, Demütigen, Erniedrigen, Verspotten, Beißen, Kratzen, mit Gegenständen Bewerfen, mit Kochtopf oder Besenstiel Bedrohen.

Männer als Opfer

Ingrid Thurner: "Anderssein und Andersmachen. Über Diversitäten, Diskriminierungen und Dummheiten." 248 Seiten, 22 Euro. Löcker Verlag, 2021
Cover: Löcker Verlag

Gewalt gegen Männer, und schon gar ausgeübt von Frauen, ist gesellschaftlich beinahe ein tabuisiertes Thema, scheint der Opferstatus doch dem Geschlechterstereotyp von maskuliner Stärke zu widersprechen. Der geschlagene Mann wurde zum Buch-, Vortrags- und Filmtitel. Er erntet nicht Mitgefühl, sondern Spott. Die Polizei nimmt ihn schon gar nicht ernst. Er ist der Lächerlichkeit preisgegeben, und vielleicht ist gerade deswegen das Forschungsfeld auch in den Wissenschaften eher vernachlässigt.

Jedenfalls wurden die generalisierte Stigmatisierung von Männern als Verursacher und die selbstverständliche Entlastung von Frauen als Opfer von Gewaltkriminalität und Diskriminierungen als ideologisch verworfen.

Aber wo sollen Männer hin, wenn sie weggewiesen werden? Oder wenn sie geschlagen werden? Wohin tragen sie ihre gekränkte Eitelkeit? Was machen sie mit ihrer Verzweiflung und mit dem Unvermögen, eine Situation zu meistern? Der Hass und die Wut der Männer nützen niemandem, und der Hass und die Wut auf die Männer, wie sie nun durch viele mediale Kanäle gespült werden, nützen auch niemandem.

Das Land braucht Männerbetreuung, Therapie, Perspektive, bei Bedarf Resozialisierung, Reintegration in ein selbstverantwortliches Leben. Die Lösungskonzepte sind bekannt – es bedarf halt des politischen Willens, ihre Finanzierung sicherzustellen. (Ingrid Thurner, ALBUM, 20.11.2021)